Neukirchen-Vluyn. Der Bürgermeisterkandidat der Grünen in Neukirchen-Vluyn kritisiert, dass bei der Digitalisierung noch viel passieren muss. Er hat Vorschläge.
Drei Männer wollen das Gleiche: Sie wollen Bürgermeister in der Stadt werden – oder bleiben. NRZ-Redakteurin Sonja Volkmann hat mit Christian Pelikan gesprochen. Der 28-Jährige tritt für Bündnis 90/Die Grünen an.
Das politische Geschehen ist wieder angelaufen. Nach dem Shutdown: Wo sehen Sie gerade das dringlichste Problem in der Stadt?
Das größte Problem hat sich im Bereich der Bildung, speziell der Digitalisierung gezeigt. Bei den Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern, aber auch bei denen, die im Homeoffice waren, hat sich gezeigt, dass es nicht funktioniert, das Schulsystem auf Basis von Digitalisierung. Da ist Deutschland extrem weit zurück, auch Neukirchen-Vluyn.
Im Speziellen?
Zum Beispiel bei der Hardware. Nicht jede Schülerin, jeder Schüler kann es sich leisten, ein mobiles Endgerät zu besitzen. Anderer Makel ist der Netzausbau. Wenn ich durch Neukirchen-Vluyn laufe, habe ich ganz oft kein Netz. Auch bei Arbeitgebern kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Die andere Seite der Coronakrise lag im Bereich der Pflege. Ich selbst war sechs Jahre im sozialen Dienst im Altenheim tätig, das hat mir viel Spaß gemacht. Ich weiß, was es heißt, dort zu arbeiten. Wenn Leute auf dem Balkon stehen und klatschen, ist das toll. Nur bringt es den Leuten nicht wahnsinnig viel. Wie stellen wir uns für die Zukunft auf? Neukirchen-Vluyn ist keine junge Stadt. Wir müssen ältere Leute gut versorgen und die Pflege mit genügend Personal bestücken.
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Thema Klimaschutz: Die Stadt ist Mitglied in diversen Projekten, Bündnissen, Gruppen, wird ausgezeichnet. Wo sehen Sie die Stadt jetzt und wo in zehn Jahren?
Die Stadt hat verschiedene Konzepte. Aber ein Konzept ist nur so gut wie die Ausführung. Und daran mangelt es noch sehr. Wir haben schon eine Menge geschafft, auch dank uns Grünen, da brauchen wir uns gar nicht zu verstecken. Wir haben vieles vorangebracht und viel angestoßen. Die Projekte müssen aber inhaltlich gefüllt werden. Wir haben den Klimanotstand, wir sind Mitglied in der globalen nachhaltigen Kommune. Wir sind Mitglied im Bündnis für biologische Artenvielfalt. Da kam bisher gar nichts bei rum. Die Windenergie wurde abgesäbelt von CDU und SPD. Ohne die Windenergie können wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen.
Heißt, in zehn Jahren steht Neukirchen-Vluyn wo?
Mit mir als Bürgermeister, in der zweiten Amtszeit, sehr gut. Neukirchen-Vluyn steht in zehn Jahren komplett von erneuerbaren Energien getragen da. Und möglichst plastikfrei. Ich werde die Bürgerinnen und Bürger mitbeteiligen, Vereine und Verbände mit ins Boot holen. Ich werde Fridays For Future endlich ernst nehmen. Ich möchte, dass die Dinge, die angestoßen wurden, in zehn Jahren auch umgesetzt sind. Da ist beispielsweise das klimafreundliche Mobilitätskonzept …
Wie gut ist Neukirchen-Vluyn in puncto Radwege ausgestattet und wo muss noch was passieren?
Ich bin gerade wieder mit dem Fahrrad hierhin, über den Bendschenweg und könnte direkt wieder zum Physiotherapeuten. Der Radwegeausbau ist wirklich ein Witz. Wir haben wahnsinnig schlechte Radwege. Von denen, die fehlen, ganz zu schweigen. Wir sind umzingelt von Hochschulen, wie sollen die Studenten da mit dem Rad hinkommen? Wir haben kaum Radschnellwege. Die Wege sind auch gefährlich, in Vluyn beispielsweise, links stehen Autos, rechts stehen Autos, hinten hupen sie, vorne hupen sie. Wie soll ich mich als Fahrradfahrer da sicher fühlen? Deswegen wird das Rad auch weniger genutzt.
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Stichwort bezahlbarer Wohnraum. Gibt es ausreichend in der Stadt bzw. wo soll weiterer günstiger Wohnraum entstehen?
Wohnungswirtschaftliches Handlungskonzept: auch ein schönes Konzept, muss umgesetzt werden. Da steht klar drin: Es mangelt an kleinen bezahlbaren Wohnungen. Ich gönne jedem sein Eigenheim. Jetzt müssen wir ran an die Klötze. Nicht nur für die Studenten, die wir unbedingt hier halten müssen, weil sie die Steuerzahler von morgen sind. Sondern auch barrierefreie und altengerechte Wohnungen. Da muss 30 Prozent sozialer Wohnungsbau her. Für alle Neubaugebiete. Egal wie schick, egal wo. Ich möchte Fakten schaffen. Am Ende darf nicht der Klimaschutz vergessen werden. Soziales und Klimaschutz schließen sich nicht aus.
Warum halten Sie selbst Neukirchen-Vluyn für liebenswert?
Ich komme aus Duisburg-Rheinhausen. Dann hat mich die Liebe hierhergezogen. Ich habe mich nicht nur in die Frau, sondern dann auch in die Stadt verliebt. Wenn ich morgens durch die Felder zur Arbeit nach Kapellen fahre und die Pferde und die Kühe auf der Weide sehe, geht mir das Herz auf. Ich fühle mich wahnsinnig wohl, die Bürgerinnen und Bürger haben mich wärmstens aufgenommen. Ich habe mich so sehr verliebt, dass ich Bürgermeistermeister werden und noch mehr verändern möchte, damit ich dieser schönen Stadt ein grünes, nachhaltiges Gewand ankleiden kann.
Stichwort Sicherheit. Das Innenministerium hat zusätzliches Personal für die Kreispolizeibehörden angekündigt. Hat das Ihrer Meinung nach Auswirkungen auf die Stadt?
Ja. Wir brauchen eine höhere Polizeipräsenz. Um den Leuten ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln und Sicherheit zu gewähren. Ich halte aber nichts davon, die Befugnisse einzelner Polizistinnen und Polizisten zu erhöhen wie zum Beispiel in Bayern. Ich bin dafür, die Polizisten zu kennzeichnen, damit es eine Begegnung auf Augenhöhe gibt. Es kann auch nicht sein, dass Sanitäter und Polizisten ständig angegriffen werden. Im Moment wird gut kooperiert mit der Wache in Moers. Unsere Wache ist nicht ständig besetzt, das ist nicht ideal, ist aber momentan aufgrund des Personalmangels nicht anders möglich.
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Wo sehen Sie Neukirchen-Vluyn im Jahr 2040?
Immer noch mit mir als Bürgermeister selbstverständlich (lacht). Ich sehe Neukirchen-Vluyn als wahnsinnig fahrradfreundliche Stadt. Als digitale Stadt. Ich sehe Neukirchen-Vluyn als Silicon Valley des Niederrheins. Hier siedeln sich Start-Ups an, hier ist Gastronomie. Neukirchen-Vluyn ist gut aufgestellt im Bereich der Bildung, der Arbeit und des sozialen Lebens.
Hat die Stadt genug dafür getan, Unternehmen anzulocken?
Nein. Weil Neukirchen-Vluyn als Standort nicht zwingend für irgendetwas steht. Es gibt eine Chance, dass wir Silicon Valley des Niederrheins werden. Wir könnten toll eine Gründerszene starten. Das fängt schon ganz gut an mit dem KreativQuartier auf Niederberg. Da wird Raum für Künstler entstehen. Die Start-Up-Unternehmen könnten wir anlocken, indem wir sagen: Wir haben ein hervorragend ausgebautes 5G-Netz, wir bieten günstige Mieten, wir sind der Standort von heute und von morgen. Wenn wir da ein vernünftiges Konzept aufstellen, mit einem Digitalmanager, der Tipps gibt und bei Förderanträgen mithilft.
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Was ist Ihre Vision für Niederberg?
Die Gründerszene kann sich dort treffen und von dort die Stadt bereichern. Zudem finde ich wichtig, dass Neukirchen-Vluyn ein kleiner Kunststandort wird. Der zweite wichtige Punkt ist die Hotellerie / Gastronomie. Die hat während der Corona-Krise mächtig gelitten. Da müssen wir was tun. Neukirchen-Vluyn ist so schön, aber viele Touristen konnten wir noch nicht anlocken. Mit dem KreativQuartier können wir mit Tiny-Houses, mit Hotellerie und Gastronomie, mit Veranstaltungen auf dem Platz, mit illuminierten Fördertürmen Menschen anlocken.
Wir sprachen vorhin darüber, wie Neukirchen-Vluyn 2040 aussehen wird. Was ist Ihr Beitrag dazu? Warum sollten Sie den Weg als Bürgermeister weiter begleiten?
Ich stehe für bezahlbaren Wohnraum, für die Digitalisierung. Dafür, dass jeder willkommen ist, auch die LGBTQ-Szene. Die Fahne weht immer noch nicht vor dem Rathaus. Ich möchte Bürgerinnen und Bürger mehr beteiligen und ich glaube schon, dass ich als junger Mensch mit den Visionen, die ich habe, zusammen mit den Bürgern was auf die Beine stellen kann, um die Stadt voranzubringen. Beim Klimaschutz sind die Grünen und ich immer noch die Nummer eins.
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Die Reaktivierung der Niederrheinbahn muss kommen/nicht kommen, weil ….
Muss kommen. Ohne die Reaktivierung kann die Mobilitätswende nur schwer funktionieren. Die Anbindung nach Moers und Duisburg muss her, um es Arbeitnehmern zu ermöglichen, umzusteigen vom Auto auf die Bahn. Es müssen natürlich auch Schnellbuslinien her, die Busse müssen nach 18 Uhr und an den Wochenenden fahren. Ich verstehe, dass ein paar Anwohner verärgert sind. Die Bahn muss elektrifiziert fahren und braucht eine vernünftige Taktung.
Ein Satz: Was ist Ihre Herzensangelegenheit?
Das ist, dass sich in Neukirchen-Vluyn unter Berücksichtigung des Klimaschutzes wirklich jeder willkommen fühlt. Egal, welche Religion, welche Herkunft, egal welche Hautfarbe, egal woher. Hauptsache: Du bist ein guter Mensch, fühl dich wohl in Neukirchen-Vluyn, dieser schönen ökologischen Stadt.