Kamp-Lintfort. In der Tierherberge Kamp-Lintfort warten beschlagnahmte Hunde auf ihre Vermittlung. Bis dahin scheppert mancher Napf neben ihnen auf den Boden.
Die Mitarbeiter der Tierherberge nennen sie „die Gocher“. Zehn Hunde waren es ursprünglich, die am Drehmannshof nach einer Beschlagnahme Aufnahme gefunden haben. Jetzt sind es noch fünf, die ein neues Zuhause suchen, und „Jakob“, der erst im Januar in der Tierherberge zur Welt gekommen ist und einen Blick hat, der jedem Dackel Konkurrenz macht.
Diese Hunde sind nicht leicht zu vermitteln, wissen die Leute von der Tierherberge, denn sie sind sogenannte Angsthunde. Sie hatten nämlich bis dahin nichts erlebt, sondern kannten nur ihre Besitzerin, der die Hundehaltung laut Jessica Hinchado Gomez wohl über den Kopf gewachsen ist, und ihren Garten.
Tiere kannten keine Spaziergänge
Ob sie überhaupt Zugang zum Haus hatten, ist unklar. Jedenfalls hatten sie sich Erdlöcher gebuddelt. Spaziergänge kannten „die Gocher“ nicht, normale Umweltreize nicht, und weil sich niemand mit ihnen beschäftigte, machten sie sich „Stress untereinander“. Davon zeugen diverse Bissnarben.
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Angsthunde sind nicht nur wegen ihres Gepäcks schwer zu vermitteln, sondern aus einem ganz lapidaren Grund: Sie suchen sich ihr neues Herrchen oder Frauchen nicht aus, sie kommen niemandem freudig entgegen gerannt, sondern verstecken sich am liebsten in schützenden Höhlen. Wie soll da einer aufmerksam werden?
Üben, auf Fliesen zu laufen
In der Tierherberge wurde die gestresste Meute erstmal getrennt von einander untergebracht. „Aber es war kein Rankommen, man konnte sie nicht anfassen, manche noch nicht mal angucken, dann bekamen sie schon panische Angst“, erinnert sich Jessica Hinchado Gomez. Da sieht die Sache heute schon ganz anders aus.
Sie können für eine Zeit durchaus wieder miteinander. Die fünf wirken jetzt schon relativ entspannt, wenn sie sich Besuchern vorsichtig nähern. Nicht zu nah, aber immerhin.
Dafür hat das Team eine Menge mit ihnen geübt. Auf Fliesen gehen zum Beispiel. Auf dem Bürgersteig sitzen, auch wenn Autos vorbeikommen. Herausfinden, dass Waschmaschinen nix tun, und auch das Klick vom Toaster keine Bedrohung ist. Mittlerweile können sie sogar ertragen, wenn ein Napf scheppernd neben ihnen zu Boden geht. „Die Ruhe durch Corona hat uns da sogar in die Karten gespielt.“
Nach vorn gehen die „Gocher“ bei Stress so gut wie gar nicht. Wer sich für einen von ihnen entscheidet, müsse damit rechnen, dass es bis zu einem Jahr dauert, bis sich ihr Hund öffnet und genügend Sicherheit gefunden hat. Dann aber, vermutet Hinchado Gomez, dürften sie sehr anhängliche und schmusebedürftige Exemplare werden. Gibt ja ‘ne Menge nachzuholen. Ihr Vorteil: „Die sind alle ziemlich clever.“ Will heißen: Sie wollen gefallen und sie wollen Beschäftigung. Die Rasse ist nicht festzustellen.
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„Senf-Hund“ nennt Sarah Noreikat das, wo jede Rasse wohl mal den ihrigen dazu gegeben hat. Das
Ergebnis: mittelgroß, mittelbraun, mal etwas struppig, mal glatt.
Hundeerfahrung sei nicht zwingend nötig, befinden die beiden Tierpflegerinnen. „Wenn Hundeerfahrung heißt, dass ich zehn Jahre einen Labbi lieb neben mir hergehen hatte, bedeutet das nichts.“ Viel wichtiger sei: „Man kann viel falsch machen.“ Indem etwa vor lauter Mitleid die nötige Konsequenz abhanden kommt oder ständiges Trösten unerwünschtes Verhalten eher bestärkt.
Das hat wohl auch Jungspund Jakob sein neues Zuhause gekostet. Er war kurz vermittelt, aber bald gaben die Besitzer ihn wegen Überforderung wieder zurück. „Naja, er ist ein bisschen jammernd unterwegs. Und er kann schlecht zur Ruhe kommen.“
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Beim nächsten Anlauf werden die Mitarbeiter noch genauer hinschauen. Denn das können Angsthunde nur sehr schwer ab: gerade gewonnenes Vertrauen wieder verlieren.
Informationen gibt es bei der Tierherberge Kamp-Lintfort unter 02842/9283213