Am Niederrhein. So einen 1. Mai hat die DGB-Funktionärin Karina Pfau noch nicht erlebt. Eine Sache ist in der Coronakrise für sie jetzt besonders wichtig.

In der Corona-Pandemie ist vieles anders. Selbst die traditionellen Feiern zum 1. Mai finden schwerpunktmäßig im Internet statt. Über Fluch und Segen des Digitalen, aber auch über Konsequenzen aus der Krise berichtet Karina Pfau, Vorsitzende des DGB-Ortsverbandes Moers, Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn, im Interview mit Matthias Alfringhaus (NRZ).

Der 1. Mai ohne Kundgebung: Wie fühlt sich das für Sie an?

Karina Pfau: Dieser 1. Mai wird mir wohl immer in ganz besonderer Erinnerung bleiben, da es sich sehr merkwürdig anfühlt, nicht wie in jedem Jahr rausgehen zu dürfen um zu demonstrieren. Es ist das erste Mal in vielen Jahren, dass ich zu Hause bleibe. Auch die hektische Betriebsamkeit in den Tagen vorher fehlt, auch wenn dennoch viele Dinge zu tun bleiben.

Was wäre in einer Rede zum 1. Mai Ihr wichtigstes Thema gewesen?

Für mich wäre das wichtigste Thema die Solidarität gewesen, Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen in Tarifauseinandersetzungen, faire Bezahlung und für bessere Arbeitsbedingungen.

Warum ist das Thema besonders wichtig?

Es gibt immer noch so viele Bereiche in der Arbeitswelt, wo dringend nachgebessert werden muss bei der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen. Vor allem in den Bereichen Pflege und Reinigung, aber auch in allen anderen Bereichen der haushaltsnahen Dienstleistungen. Aber auch die Forderungen aller anderen Branchen sind berechtigt. Nur wird einer allein oft nicht so viel bewegen können. Wenn sich viele zusammen stellen, auch aus anderen Branchen, dann finden wir Gehör. Daher ist für Solidarität für mich so wichtig. Der Kampf der GebäudereinigerInnen uns Weihnachtsgeld im letzten Jahr ist ein gutes Bespiel dafür, es ist noch nicht erreicht, aber ein Anfang ist gemacht und hier standen auch andere bei.

Trägt die Coronakrise dazu bei, den Blick auf Arbeitnehmerfragen zu schärfen?

Sicher trägt die Krise dazu bei, dass bekannte Probleme noch stärker ans Licht treten. Als Gewerkschafterin setzte ich mich sowieso ständig damit auseinander und kenne viele der Probleme. Aber ob die Verantwortlichen das auch sehen wollen und Abhilfe schaffen, dass bleibt die spannende Frage. Kurzarbeit ist sicher eine gute Sache, aber nicht jeder ist dadurch abgesichert. Allen voran die Minijobber, da sie ja meistens nicht sozialversicherungspflichtig arbeiten. Nur weil sie keine andere Stelle bekommen, heißt das ja nicht, dass sie auf das Geld nicht angewiesen sind.

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Wie schätzen Sie die Situation von Arbeitnehmerinnen und –nehmern am linken Niederrhein zurzeit ein?

Da die Branchen sehr unterschiedlich betroffen sind, ist das natürlich auch für die Arbeitnehmerinnen und -nehmer sehr unterschiedlich. Manche können unter Einhaltung der Corona-Regeln fast normal arbeiten. Wer kann, arbeitet zu Hause. Das wäre in dem Ausmaß vor der Krise nicht denkbar gewesen. Eltern stehen trotzdem vor großen Herausforderungen. Einige Branchen haben so viel zu tun, dass Überstunden gerade an der Tagesordnung sind, und andere können/dürfen nicht arbeiten und fürchten um ihren Arbeitsplatz.

Corona hat vieles verändert, aber (noch) nicht die vergleichsweise niedrigen Löhne unter anderem in der Pflege. Hier ist eine Krankenpflege-Schülerin  im Corona-Screeningzelt am Bethanien-Krankenhaus im Einsatz.
Corona hat vieles verändert, aber (noch) nicht die vergleichsweise niedrigen Löhne unter anderem in der Pflege. Hier ist eine Krankenpflege-Schülerin im Corona-Screeningzelt am Bethanien-Krankenhaus im Einsatz. © FFS | Volker Herold

Zum Beispiel in der Pflege sind die Löhne niedrig. Wird sich das nach der Coronakrise ändern?

Das würde ich mir sehr wünschen, wie für alle Kolleginnen und Kollegen in den niedrig bezahlten haushaltsnahen Dienstleistungsbranchen. Die ReinigerInnen leisten ja auch einen höchst wichtigen Beitrag und werden meistens vergessen. Im Moment ist durch die Krise ja das Solidaritätsgefühl in der Gesellschaft sehr stark spürbar und ich hoffe, dass es auch nach der Krise dazu beitragen wird, die Löhne nach oben zu ändern.

Was können Gewerkschaften aus der Coronakrise lernen?

Das Gewerkschaften wichtig sind, wie zu allen anderen Zeiten auch, zeigt uns diese Situation nur noch deutlicher. An vielen Stellen wurden jetzt Arbeitszeiten deutlich verlängert, und ohne den Widerstand der Gewerkschaften würde das ganz sicher noch viel schlimmere Ausmaße annehmen. Und wir müssen gerade lernen, uns auch noch viel mehr digital aufzustellen, da ja auch wir bei unserer Arbeit Abstand halten müssen. Nur Mails reichen da nicht aus, aber wir arbeiten an Lösungen. Unser digitaler 1. Mai ist da ganz sicher nur der Anfang!

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Eine Maikundgebung im klassischen Sinn wird es in diesem Jahr in Moers und auch anderswo am Niederrhein nicht geben. Das hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Ende März entschieden. Dafür gibt es jetzt den digitalen 1. Mai.

„Zum ersten Mal seit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1949 wird es 2020 keine Demos und Kundgebungen auf Straßen und Plätzen zum Tag der Arbeit am 1. Mai geben. Denn die Gewerkschaften sind sich ihrer Verantwortung bewusst. In Zeiten von Corona heißt Solidarität: mit Anstand Abstand halten“, heißt es beim DGB Niederrhein.

Statt der sonst üblichen Kundgebungen soll es Demonstrationen im Internet geben. Ab 11 Uhr soll es am Freitag, 1. Mai bundesweit auf https://www.dgb.de/erster-mai-tag-der-arbeit sowie auf Facebook und Youtube Live-Acts, Gespräche und Interviews und mit Solidaritätsbotschaften aus ganz Deutschland geben. Das Motto zum Tag der Arbeit lautet in diesem Jahr: „Solidarisch ist man nicht alleine!“ Mehr auf www.niederrhein.dgb.de