Moers/Neukirchen-Vluyn. . Der ehemalige Bundestagsabgeordnete für Moers, Neukirchen-Vluyn und Krefeld, Siegmund Ehrmann, sitzt im Beirat der Stasi-Unterlagenbehörde.

15 Jahre hat Siegmund Ehrmann (66) dem Deutschen Bundestag angehört. Vor der Bundestagswahl 2017 hat der Sozialdemokrat aus Neukirchen-Vluyn entschieden, nicht erneut zu kandieren. Doch so ganz ist noch nicht Feierabend: Von der SPD-Bundestagsfraktion wurde er gebeten, weiterhin im Beirat der Stasi-Unterlagenbehörde mitzuarbeiten.

Die Behörde wurde am 3. Oktober 1990 gegründet, um das unheilvolle Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) in der DDR aufzuarbeiten. Der erste Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen war Joachim Gauck, der spätere Bundespräsident. Ihm folgte Marianne Birthler, seit 2011 ist Roland Jahn Bundesbeauftragter.

Anfrage kam überraschend

Für Siegmund Ehrmann kam die Anfrage aus dem SPD-Bundesvorstand schon ein bisschen überraschend. Eigentlich hatte der ehemalige Personal- und Kulturdezernent der Stadt Moers (1994 – 2002) ja seine politische Laufbahn beendet. Sinnvollerweise, so Ehrmann, sollten Abgeordnete mit Mandat in diesem Gremium mitwirken. Am Ende hat Ehrmann jedoch zugesagt, aus Überzeugung natürlich: „Ich habe viele Erfahrungen im Bundestag insbesondere zum Thema Aufarbeitung der SED-Diktatur machen können.“ Der Beirat begleitet die Arbeit des Bundesbeauftragten und der Behörde und kann sich bei Problemen unmittelbar an das Parlament wenden.

Ehrmanns Amtszeit liegt bei fünf Jahren, und es könnten fünf spannende Jahre werden. Ehrmann: „93,5 Prozent des Bestandes sind erforscht, noch warten 400 laufende Meter Unterlagen darauf, gesichtet zu werden. Es stellt sich natürlich irgendwann die Frage, wie es weitergeht. Die Stasi-Behörde ist ja keine Institution für die Ewigkeit.“

Für die Ewigkeit ist dagegen die Verantwortung, die Willkür und das Unrecht der Stasi für die Nachwelt dauerhaft zu dokumentieren. „Je besser wir Diktatur begreifen, umso besser können wir Demokratie gestalten“, meint der Bundesbeauftragte Roland Jahn.

Ein Thema, das die Gemüter bewegt

Dabei gehe es, so Ehrmann, zunächst einmal darum, die Aktenbestände zu sichern, zu erschließen, den Betroffenen Akteneinsicht zu ermöglichen. Und es geht um Digitalisierung und die künftigen Standorte. Das sind neben der zentralen Behörde in Berlin zwölf weitere Orte im Osten der Republik. Ehrmann: „Auch wenn die Unterlagen irgendwann einmal der Verantwortung des Bundesarchivs in Koblenz unterstellt werden könnten, sollen sie physisch an den Orten bleiben, wo sie jetzt auch liegen.“ Klar ist, dass aus wirtschaftlichen Gründen Standorte zusammengefasst werden müssen. Doch dieses Thema bewege viele Gemüter.

Ein zweites, großes Thema im Beirat und in der Behörde liegt in der Forschung und Vermittlung des Wissens über das Ministerium für Staatssicherheit. „Der Bundestag hat vor zwei Jahren 40 Millionen Euro für einen Zeitraum von sechs Jahren bewilligt, damit an Hochschulen zu diesem Thema intensiver geforscht werden kann. Dabei geht es wesentlich um die Frage, wie die Stasi funktioniert hat“, sagt Siegmund Ehrmann.

Erinnerung soll wach gehalten werden

Zum Beispiel forscht das Zeitgeschichtliche Institut Potsdam zum Thema Zwangsadoption. Fast 30 Jahre sind seit dem Ende der DDR vergangen, und doch ist das Interesse an der Stasi vorhanden. Ehrmann hat festgestellt: „Die Zahl der Anträge auf Akteneinsicht geht zurück, aber jetzt meldet sich die nächste Generation.“ Allein daran mag man ermessen, welche Folgen die jahrzehntelange Bespitzelung der Menschen in der DDR durch die Stasi gehabt hat. Das Trauma beschäftigt offenbar noch jene Generation, die im vereinten Deutschland aufgewachsen ist.

Für alle, die nicht direkt oder indirekt von diesen Folgen betroffen sind, ist es wichtig, die Erinnerung an das kriminelle Vorgehen wachzuhalten. Ehrmann: „Roland Jahn bereitet die Ergebnisse aus der Stasi-Unterlagen-Forschung auch als Lernorte auf. Dort soll von dem Unrecht berichtet werden, das in der DDR geschehen ist. Es ist wichtig, dass wir für die junge Generation begreifbar machen, was damals geschehen ist.“ Über sich selbst hat Ehrmann auch Auskunft eingeholt.

Man muss sich kümmern

Nachdem Ehrmann vier Mal direkt in den Bundestag gewählt wurde, musste er Auskunft bei der Behörde einholen – jeweils ohne Befund. Was Ehrmann nicht für ausgeschlossen gehalten hätte: „Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre war ich mit dem CVJM Neukirchen in Ost-Berlin. Dort haben wir uns auch mit der Jungen Gemeinde aus Seelow-Falkenhagen oftmals unter konspirativen Bedingungen ausgetauscht. Beruhigend, dass das gemeinsame Erleben im Nachhinein nicht durch IM-Berichte betrübt wurde.“ Die Abkürzung IM steht für „inoffizielle Mitarbeiter“, eine Stasi-Bezeichnung für Spitzel. Aus dieser Kirchenpartnerschaft sei im Jahr 1990 dann übrigens die Städtepartnerschaft Moers – Seelow entstanden.

Zwei bis dreimal im Jahr wird Siegmund Ehrmann also doch wieder von Amts wegen nach in die Hauptstadt Berlin reisen. Nicht mehr zum Deutschen Bundestag, sondern, um an den Sitzungen des Beirats teilzunehmen. Bei diesem Ehrenamt kann er erneut deutlich machen, was sich wie ein roter Faden durch sein politisches Wirken zieht: „Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass Demokratie, Freiheit und Rechts- und Sozialstaat nicht vom Himmel fallen. Das wurde hart erkämpft. Da gibt es kein Ausruhen; man muss sich kümmern.“