Kreis Wesel. . Ein Gespräch über ihre Aufgabe, Öffentlichkeitsarbeit und Todesnachrichten. Warum die Polizei nicht nur die „mahnende Hand“ ist.
28 916 Straftaten führt die Kriminalstatistik 2017 für den Kreis Wesel auf. Der Umgang damit, wenn man Opfer eines Verbrechens geworden ist, kann schwierig sein. Dann kommt Tanja Lange ins Spiel.
Die 49-Jährige stammt aus Moers, ist von Beruf Polizistin und seit zehn Jahren Opferschutzbeauftragte des Kreises Wesel. Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland, in dem dieser Posten überhaupt existiert. Wer lässt sich beraten? Was machen daraufhin Lange und ihr Kollege Jürgen Boland? Und wie überbringen Polizisten Todesnachrichten? Ein Porträt der Arbeit der Opferschutzbeauftragten.
Niemand darf sich unter Druck gesetzt fühlen
Der Aufgabenbereich ist vielfältig. Zum einen ist da das Beratungsangebot bei sogenannten Katalogstraftaten. Darunter sind zum Beispiel Raub, Missbrauch oder Vergewaltigung gefasst. Die Opfer werden dann von Tanja Lange per Post angeschrieben. Ob sie sich zurückmelden, wann oder überhaupt nicht, bleibt jedem selbst überlassen. Wichtig sei es, dass sich niemand unter Druck gesetzt fühle.
„Wenn wir die Leute anrufen und sie in diesem Moment an der Supermarktkasse stehen, ist das einfach der falsche Zeitpunkt“, sagt Lange. Wie viele Leute sich überhaupt melden, sei nicht verzeichnet. Ein Beispiel: Im Jahr 2017 verzeichnete der Kreis Wesel 512 Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt. „Manche melden sich eventuell erst nach dem zweiten oder dritten Übergriff“, sagt die Opferschutzbeauftragte.
Wichtig: Polizisten sind keine Psychologen
Beratungen finden sowohl telefonisch als auch persönlich im Haus der Betroffenen statt. Die eigenen vier Wände seien nochmal ein besonders geschützter Raum, in dem sich ein Opfer sicherer fühle, erklärt die Expertin. Manchmal müsse sie aber auch ganz pragmatisch handeln. „Wenn ein Fall von häuslicher Gewalt auf dem Land passiert und der Partner mit dem Auto weggefahren ist, bleibt nichts anderes übrig, als das Opfer daheim zu besuchen“, so Lange. Das umfasse insgesamt eine breite Palette: Therapie, Lebens- und Erziehungsberatung nach häuslicher Gewalt. Zu beratende Menschen allen Alters kommen zu ihnen.
Eine psychisch belastende Aufgabe? „Sicherlich erzählt man auch abends mal etwas zuhause“, sagt sie, „aber ich komme damit gut klar.“ Wichtig sei ihr, dass sie keine Psychologen seien. Ein weiteres Tätigkeitsfeld ist die Öffentlichkeitsarbeit in Kooperation mit sozialen Einrichtungen, wie etwa in der vergangenen Woche bei einem Infostand zum Thema häuslicher Gewalt in der Moerser Fußgängerzone. Die Polizei sei eben nicht nur „die mahnende Hand“.
Lügen kommen immer heraus
Die Überbringung von Todesnachrichten koordinieren die Opferschutzbeauftragen lediglich. Sie bieten Fortbildung für die Kollegen an, denn dabei muss man einiges beachten: „Einfühlsam sein, aber nicht in den Arm nehmen und stets bei der Wahrheit bleiben“, erklärt Tanja Lange.
„Früher oder später kommen Lügen heraus, wenn man zum Beispiel behauptet, der Verstorbene habe bei seinem Tod nicht gelitten, obwohl es nicht stimmt oder man keine Informationen darüber hat.“ Vor Ort dabei sind zwei Polizisten, die sich freiwillig bereit erklärt haben, dieses Feld zu betreuen, sowie Notfallseelsorger. Sie müssen mit allen möglichen Reaktionen der Opfer rechnen: Von Freude, über Nervenzusammenbruch, bis zum Wunsch, ohne den Toten nicht mehr weiterleben zu wollen.