Moers. . Die Ehrenamtler der Moerser Tafel sind genervt von immer mehr Reglementierungen des Kreises. Lebensmittel müssen sie deswegen gar wegwerfen.

Vor fast 20 Jahren hat Horst Günter Schürings die Moerser Tafel ins Leben gerufen. Rund 100 Ehrenamtler versorgen dort Woche für Woche 2000 Menschen mit kostenlosen Lebensmitteln. Doch dieses Engagement werde durch immer mehr Regelungen behindert, klagen die zunehmend genervten Helfer.

Kein Missverständnis: Die Tafelmitarbeiter wissen und akzeptieren durchaus, dass es sauber zugehen muss, wo Essen verteilt wird, dass die Helfer bei der Ausgabe Schürzen und Handschuhe tragen müssen, dass verderbliche Ware in Kühlschränke gehört. Aber manche Regelungen und Anordnungen der Lebensmittelaufsicht des Kreises Wesel erscheinen ihnen doch schwer nachvollziehbar oder sogar überzogen.

Horst Günter Schürings ist Gründer der Moerser Tafel.
Horst Günter Schürings ist Gründer der Moerser Tafel.

Beispiel Joghurt: Die Töpfchen werden, wie nahezu alle Lebensmittel, von der Tafel-Truppe bei Supermärkten und Discountern mit Kühlwagen abgeholt. Logistisch war das bislang so gelöst, dass die Joghurts in den Räumen an der Klever Straße ein paar Minuten im Regal standen, bevor sie ausgegeben wurden. Jetzt müssen sie diese paar Minuten im Kühlschrank verbringen, bevor sie ausgegeben werden. Dazu musste ein weiterer Kühlschrank angeschafft werden. Kosten: 700 Euro aus Spenden.

Dazu kommt die tägliche schriftliche Dokumentation über die Lagertemperaturen, mit Unterschrift des Mitarbeiters, Datum, Uhrzeit und der gemessenen Temperatur. Auch die Putzmittel müssen – getrennt für Böden, Möbel, Waschbecken – dokumentiert werden.

Neunseitige Ordnungsverfügung

Darüber hinaus ist das Einfrieren von leicht verderblichen Lebensmitteln, deren Mindesthaltbarkeits- und Einfrierdatum sowie der Name des Mitarbeiters festzuhalten. Und selbstverständlich müssen diese Unterlagen ständig verfügbar sein, weil sie „auf Verlangen dem Kontrollpersonal des Fachdienstes 39 Veterinär- und Lebensmittelüberwachung des Kreises Wesel vorzulegen“ sind, wie es in einer neunseitigen Ordnungsverfügung an die Adresse von Horst Günter Schürings heißt.

Absurde Blüten treibt das Bemühen um eine saubere Essensausgabe durch das Portionierungsverbot. Die Tafel bekommt immer mal wieder in Folie verschweißte Wurst-Blöcke. „Das sind drei Kilo geschnittene Wurst, die haben wir früher in kleinen Portionen verteilt“, berichtet Vorstandsmitglied Brigitte Könntgen. „Das geht nicht mehr. Wir dürfen sehr wohl einem einzelnen Kunden das komplette Paket geben. Aber was soll einer mit drei Kilo Wurst?“, fragt Könntgen, die im Übrigen schon beobachtet hat, dass die Abnehmer vor der Tafel-Tür das tun, was sie und die anderen Helfer nicht mehr dürfen: Sie portionieren den Wurst-Block und verteilen ihn.

Keine kurzzeitige Lagerung

Geradezu karikiert wird der Sinn der Tafel, wenn die Verfügungen dazu führen, dass intakte Lebensmittel in den Müll geworfen werden müssen. „Manchmal bekommen wir so große Lieferungen, dass wir sie bei unseren Kunden gar nicht los werden“, berichtet Horst Günter Schürings. „Also haben wir andere Tafeln in der Umgebung angerufen, die die überschüssigen Produkte abgeholt und ihrerseits verteilt haben. Die dafür notwendige kurzzeitige, gekühlte Lagerung hat der Kreis untersagt. „Es ist furchtbar: Statt diese Lebensmittel Bedürftigen zu geben, schmeißen wir sie weg“, so Schürings. Dasselbe Schicksal erleiden die Essen, die gelegentlich bei der mobilen Tafel des Vereins „Klartext für Kinder“ übrig bleiben. Bislang hat die Moerser Tafel sie verpackt und gekühlt über Nacht aufbewahrt und am nächsten Tag ausgegeben. Auch Lebensmittel von Spendern, die ihren Namen nicht nennen möchten, dürfen Bedürftigen nicht mehr zugute kommen.

Es geht um Schutz der Verbraucher

Der Kreis scheint juristisch auf sicherem Terrain. Er kann sich auf Verordnungen der Europäischen Union berufen, und Horst Günter Schürings Klage gegen die Ordnungsverfügung des Kreises vom 3. November 2017 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf ist in allen Punkten abgewiesen worden.

Da Schürings dagegen Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Münster eingelegt hat, verweist der Leiter der Lebensmittelüberwachung beim Kreis, Dr. Antonius Dicke, auf ein laufendes Verfahren und lehnt eine Stellungnahme bezüglich der Moerser Tafel ab. Grundsätzlich aber gelte, „dass wir nichts gegen die Tafel unternehmen, sondern für den Verbraucherschutz“. Egal ob man Lebensmittel verkaufe oder sie kostenlos an Bedürftige abgebe – jeder müsse in Hygiene, Sachkunde und bei den Räumen Mindestanforderungen einhalten. Die Spielräume, die die Behörde habe, würden durchaus ausgelotet, so Dicke.

Ob der Kreis die Spielräume auch nutzt, daran haben die Tafel-Leute ihre Zweifel. Es ist die Summe an Regelungen, die sie nervt und – das merkt man Horst Günter Schürings an – mürbe macht: „Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“

>> DIE TAFELN: ENTSTEHUNG, VERBREITUNG UND PRINZIP

Die Idee der Tafeln stammt aus Amerika. Die erste „Food Bank“ entstand 1963 in Phoenix/Arizona. In Deutschland eröffnete die erste Tafel 1993 in Berlin. Horst Günter Schürings gründete die Moerser Tafel an der Klever Straße 26 199. Bundesweit gibt es heute mehr als 930 dieser Einrichtungen.

Das Prinzip: Die Tafel holen Lebensmittel, die kurz vor Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen und vom Handel aussortiert werden ab und verteilen sie kostenlos an Bedürftige.