Moers. . Eine Delegation aus Moers besuchte Sant’Anna di Stazzema. Das Bergdorf in der Toskana war 1944 Ort eines Massakers der SS mit über 560 Toten.
Unter Führung des stellvertretenden Bürgermeisters Heinz-Gerd Hackstein hat sich eine Delegation aus Moers auf den Weg nach Sant’Anna di Stazzema gemacht. Das Bergdorf in der Toskana war am 22. August 1944 Ort eines Massakers der SS an der Zivilbevölkerung mit über 560 Toten. Frank Liebert engagiert sich mit dem SCI seit zehn Jahren unter dem Motto „Jugend gestaltet Zukunft“ mit Jugendlichen aus Moers, diesen Ort der Erinnerung im Gedächtnis zu halten.
„Begonnen hat unser Engagement für die Erinnerungs- und Friedensarbeit mit der Wiederherstellung des verwahrlosten Rosengartens, der im tschechischen Lidice nach dem Krieg – zur Erinnerung an die Zerstörung des Ortes und der Erschießung seiner männlichen Bewohner als Vergeltung für das Attentat auf Heydrich – angelegt worden war“, so Liebert. „Als wir ankamen, hatte sich der Bürgermeister geweigert, mit uns auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen. Als wir den Rosengarten wieder hergestellt hatten, hat er uns in deutscher Sprache verabschiedet. Das hat mich sehr berührt und uns gezeigt, wie wichtig unsere Arbeit für die Freundschaft zwischen den Nationen und für Europa ist.“
Sant’Anna di Stazzema war der nächste Ort, den es galt, der Vergessenheit zu entreißen. Inzwischen war der SCI mit über 100 Jugendlichen dort und hat an der Gestaltung vom Park des Friedens mitgearbeitet. Die Moerser wurden von der Stadtspitze von Stazzema herzlich begrüßt. Heinz-Gerd Hackstein überbrachte die Grüße von Bürgermeister Christoph Fleischhauer und dessen Wunsch, die gewachsene Freundschaft, die ihren Ausdruck auch im Besuch des stellvertretenden Bürgermeisters von Sant’Anna di Stazzema, Egidio Pelagatti, und des Zeitzeugen und Vorsitzenden des Opferverbandes, Enrico Pieri, 2016 fand, zu festigen.
Die Stadtspitze von Sant’Anna bekräftigte ebenfalls den Wunsch, die gewachsenen Beziehungen weiter zu entwickeln. Auf dem Kreuzweg zum Mahnmal folgte die Moerser Delegation den Vertretern der Landesregierung aus Rom unter Führung des Justizministers Andrea Orlando, den Würdenträgern aus Region und Nachbargemeinden. Das Grußwort von Bürgermeister Fleischhauer wurde verlesen. Justizminister Orlando begrüßte besonders die Gäste aus Deutschland an diesem Ort und griff die Warnung von Christoph Fleischhauer vor neuem nationalem Egoismus in Europa und seinen Hinweis auf die Krisen und Kriege rund um Europa auf, die alle darin bestärken sollten, sich weiter für ein gemeinsames, friedliches Europa einzusetzen.
Enrico Pieri, der als 10-jähriger die Ermordung seiner Familie durch die SS miterleben musste, fand bewegende Worte: „Hass führt zu nichts. Ich habe vergeben und freue mich über die jungen Deutschen aus Moers, die sich hier hinauf nach Sant’Anna machen.“
Als Junge hat er die vielen Leichen von Männern, Frauen und Kindern vor der Kirche von Sant’Anna gesehen, die die SS mit Kirchenbänken zu einem Scheiterhaufen aufgeschichtet und in Brand gesetzt hatte. Pieri hat sich allein auf den Weg in die Schweiz gemacht, dort am eigenen Leib erfahren, was Emigration und Migration bedeuten, ist spät als alter Mann in sein Heimatdorf zurückgekehrt, um sich zu engagieren, damit das Verbrechen vom 22. August 1944 nicht ungesühnt bleibt.
Unter den Gästen des Festaktes war auch Staatsanwalt Marco de Paolis von der Militärstaatsanwaltschaft in La Spezia, der alles daran gesetzt hat, die Verantwortlichen SS-Offiziere vor Gericht zu bringen.
1994 wurden im „Schrank der Schande“ im Justizpalast in Rom Akten aus dem Jahre 1945 gefunden, in denen die Alliierten mit gerichtsfesten Beweisen, direkt nach der Befreiung von Sant’Anna, die Verantwortlichen benannt, Zeitzeugen befragt und Beweise gesichert hatten. 2005 wurden zehn Angehörige der 16. Division der Waffen SS in La Spezia wegen hundertfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Auslieferungsgesuche liefen ins Leere. Das Massaker blieb bis heute ungesühnt.
Atilla Cikoglu (SPD): „Wie wichtig es ist, Gerechtigkeit zu erfahren, wenn auch spät, haben wir doch gerade in Deutschland erlebt. Über 70 Jahre hat es gedauert, bis es endlich zur Verurteilung reicht, dass man Mitglied einer Tötungsmaschinerie war, die nur funktionieren konnte, wenn alle mitmachten.“ Frank Liebert: „Umso wichtiger ist gerade deshalb, dass wir diesen Ort der Erinnerung im Bewusstsein halten. Wir werden uns weiter engagieren und würden uns freuen, wenn wir auf dem Weg zu einer echten Städtepartnerschaft zwischen Moers und Sant’Anna voran kommen.“