Kamp-Lintfort. . Peter Wylenzek ist der allerletzte Bergmann vom Bergwerk West in Kamp-Lintfort und macht jetzt Schicht am Schacht
Peter Wylenzek ist Bergmann durch und durch. 1973 hat er als Lehrling angefangen, wurde Techniker. Wulfen, Fürst Leopold in Dorsten, Westerholt – hier hat er überall Schließungen miterlebt. In Kamp-Lintfort war er einer der Techniker, die nach der letzten Schicht am 21. Dezember 2012, den Saft abdrehten. Überall auf dem Gelände an der Friedrich- Heinrich-Allee sind die Uhren um 8.32 Uhr stehengeblieben. Bis dahin sind täglich bis zu 3000 Kumpel eingefahren. Jetzt ist Peter Wylenzek alleine. Allein mit Abbruchunternehmern, Schrotthändlern, Denkmalschützern, Flüchtlingsbetreuern. Die ersten Wunden sind schon in einige Fassaden gerissen.
Zechenerziehung
Sich als Einzelkämpfer ohne Aufsicht zu disziplinieren, war für ihn kein Problem: „Ich in jeden Morgen gegen halb sechs hier. Wie immer. Das ist Zechenerziehung“, erklärt er. Seinen Job empfindet er als zweifelhafte Ehre: „Ein ganzes Bergwerk nur für mich. Das hätte ich mir nicht träumen lassen.“
Klar, als er anfing, galt der Job auf der Zeche als sicher. Jetzt fühlt es sich für ihn schon ein bisschen gespenstisch an, wenn er uns an seinen Lieblingsort führt: den Fördermaschinenraum. Für dessen Technik war er verantwortlich, und damit für das Leben der 800 Kumpel pro Schicht, die auf über 800 Meter Tiefe einfuhren. Totenstille, nur ein paar Tauben, da wo sonst Motoren der riesigen Förderräder dröhnten, Lüftungen zischten, ständig irgendwo ein Bim-Bim ertönte.
„Eine schöne Maschine“, sagt der Rheinberger und meint das ernsthaft so. Er hat sie gehegt und gepflegt die letzten Jahre. „Ich gebe sie so ab, wie ich sie vor drei Jahren übernommen habe. Die läuft tadellos“, schwärmt er. Kampflos gibt er sie nicht auf: Diese Maschine muss ebenfalls – wie manches andere auf dem Gelände -- unter Denkmalschutz kommen, findet der 56-Jährige und erzählt, dass er deshalb schon Kontakt mit Bürgermeister Landscheidt aufgenommen habe.
Am traurigen Schicksal der prächtigen Lohnhalle ist er jedenfalls nicht schuld. Seit zwei Jahren ist das denkmalgeschützte Haus ohne Heizung und Strom. Ein Versicherungsstreit. Langsam macht sich Schimmel da breit, wo Anfang des vergangenen Jahrhunderts die ersten Kumpel Schlange standen, um ihre Lohntüten abzuholen.
„Ich bin gespannt, wie es nun weitergeht. Außer mir kennt sich doch hier keiner aus“, grübelt Wylenzek. Noch sei er Herr über „eimerweise Schlüssel“, die er – wem auch immer – am 10. November übergeben wird. „Aber das, was ich im Kopf habe, das kann ich nicht übergeben.“ Jeden Winkel kennt er hier.
Vergessene Seife
Wir sind in der Waschkaue angekommen. In der Ecke liegt ein vergessenes Stück Seife. Auch hier Grabesstille, wo sonst 800 verschwitzte, schmutzige Männer lautstark unter der dampfenden Dusche ihren Arbeitstag beendeten, die Kauen-Körbe von der Decke rasselten.
Draußen scheint die Sonne und verleiht dem früher so betriebsamen Gelände einen besonderen maroden Charme. „Eine schöne Anlage“, seufzt der letzte Bergmann von Kamp-Lintfort, „Ich hab mir auch Zollverein angeguckt. Die ist groß, aber großer Schrott. Wenn hier die Sonne abends im Westen steht, ist es besonders toll“, schwärmt er.
Da fällt jemandem der offensichtlich Abschied schwer: „Ich freue mich, habe aber auch Angst“, gesteht Peter Wylenzek. „Einen Monat lang fühlt es sich vielleicht wie Urlaub an, aber dann? Das gibt Streit zu Haus“, lacht er. Klar, und dann kommt die „Sehnsucht nach meiner Schachtanlage“. Diese will er voraussichtlich mit einem 450 Euro-Job stillen. In den Räumen der Ausbildung des Bergwerks. Da wohnen jetzt Flüchtlinge.