Kamp-Lintfort. . Eltern appellieren zum Welttag des Down Syndroms, darüber nachzudenken, ob nur ein perfektes Kind ein liebenswertes Kind ist
Es traf das Ehepaar Rickes-Buhl unvorbereitet, als im Sommer 1998 ihr erstes Kind zur Welt kam. Jelena hat das Down Syndrom. „Natürlich waren wir erstmal geschockt“, gibt Kerstin Rickes zu. „Ich war ja erst 30, da denkt man nicht darüber nach. Außerdem passiert sowas immer nur den anderen.“ Wenngleich es nichts geändert hätte, denn das Paar hatte für sich klar: Eine Fruchtwasseruntersuchung und die möglichen Konsequenzen wären für sie nie in Frage gekommen. „Außerdem hat man ein Kind ja sofort lieb, wenn man es im Arm hat.“
Die vielen Fragezeichen, die das Paar hatte wegen der Zukunft ihrer Neugeborenen, waren schnell fortgewischt. „Wir haben mit anderen Eltern gesprochen. Die haben so fröhlich und herzlich berichtet, wie es ist, mit einem Kind mit Down Syndrom zusammenzuleben, da haben wir gedacht: So schlimm kann das gar nicht sein“, erzählt die Mutter.
Zum Welttag des Down Syndroms am heutigen 21. März – und vor allem wegen der aktuellen Diskussion um pränatale Diagnostik – will sie alle wissen lassen: Es ist überhaupt nicht schlimm, sondern es ist eine Bereicherung. „Sie entführen uns in eine andere Welt, in der man lernt, anders mit Zeit umzugehen. Sie nehmen auch Kleinigkeiten wahr. Sie sind ehrlich, manchmal schonungslos ehrlich. Und wenn ich mal traurig bin, merkt Jelena es schneller als die anderen. Kinder mit Down Syndrom sind emotional hochbegabt“, weiß Kerstin Rickes heute.
Zunächst hatten die Eltern ohnehin ganz andere Sorgen, denn ein schwerer Herzfehler bedrohte das Leben ihres Säuglings. Tolle und engagierte Ärzte retteten ihr Kind.
Nach vier Jahren fühlten sich die Rickes-Buhls bereit für ein weiteres Baby. „Es war klar, dass wir jedes Kind annehmen. Egal, ob behindert oder nicht“, erzählt die Kamp-Lintforterin. Es folgten drei weitere fröhliche, gesunde Mädchen. Da geht es naturgemäß recht turbulent zu in so einem Vier-Mädle-Haus. Jelena bringt da fast so was wie Ruhe hinein. „Die Erziehung ist beinahe ein Spaziergang. Ich habe einfach manche Sorgen mit ihr nicht. Sie wird nie Drogen nehmen. Sie wird immer behütet sein. Pubertät fällt fast aus. Motzen gibt es nicht“, erklärt die Lehrerin für Englisch und Russisch am Georg-Forster-Gymnasium. Gut, die Geschwister sehen auch andere Dinge: „Die schubst manchmal“, sagt die achtjährige Aida. Aber spätestens beim Zank um die Puppe ist es doch wieder eine ganz normale Familie.
Trotzdem: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, geben die Eltern zu. Sie müssen manche Dinge früher planen. Ein Behinderten-Testament aufsetzen etwa. Oder sich klar machen, dass es das Beste für das Kind ist, wenn es mit spätestens 30 Jahren in eine Wohngruppe zieht. Jelena wird nie so selbstständig sein, wie es die Eltern gerne hätten. Eine klare Entscheidung haben die Rickes-Buhls auch bei der Schule getroffen: Gegen Inklusion, für die Bönninghardt-Schule. Jelenas Mutter ist sicher: „Da hat sie eher Freunde gefunden, kann Geburtstage mitfeiern.“
Und es ist natürlich nicht vom Himmel gefallen, dass ihre Tochter Keyboard spielen gelernt hat und Bücher verschlingt wie andere Backfische auch. Viel, viel Förderung und Geduld ist nötig. „Nur das mit dem Rechnen haben wir aufgegeben. Das wird sie nicht mehr lernen“, seufzt Papa Buhl. Und es wird nie ganz leicht sein, Jelena beim Sprechen zu verstehen.
Soviel zum Familienleben. Aber es gibt ja auch noch draußen. In der Nachbarschaft ist Jelena prima integriert, auch in der Kirchengemeinde. Aber Kerstin Rickes hat nicht immer nur gute Erfahrungen gemacht: „Mich stören diese Blicke auf der Straße. Das tut manchmal weh, wenn die Leute hinter einem hertuscheln. Oder schauen, als fragten sie: Wie viele Kinder wollt ihr noch in die Welt setzen?“
Und deshalb wollen die Rickes-Buhls allen zurufen: Ja, wir lieben unsere Kinder, alle. Auch wenn eines nicht perfekt erscheint.