Kreis Wesel/Dortmund. Die Lage im Wohnbau sei besorgniserregend, sagt der Hauptgeschäftsführer der Bauverbände NRW. Steuern und Standards müssten runter.
Die Baubranche steckt weiter in der Krise. Zwar zeigen sich leichte Verbesserungen, aber bis die Branche die Talsohle durchschritten hat, dauert es noch bis zu zwei Jahre. Das sagt der Hauptgeschäftsführer der Bauverbände NRW, Dr. Bernhard Baumann. Im NRZ-Interview erklärt er, was in der Politik falsch läuft und welche Maßnahmen er fordert.
NRZ: Wie ist die Stimmung?
Die aktuelle Lage im Wohnbausektor ist besorgniserregend. Im vergangenen Jahr verzeichneten wir einen deutlichen Rückgang der Baugenehmigungen um ca. 30 Prozent, und die Prognosen für dieses und das kommende Jahr stimmen nicht optimistischer. Die momentane Entwicklung betrachten wir mit großer Sorge – nicht zuletzt wegen unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Wohnraummangel führt zu sozialen Spannungen. Es zeichnet sich jedoch eine positive Veränderung ab, da politisch ein Umdenken in Gang kommt.
Inwiefern?
Das Bewusstsein für die Bau- und Wohnraumkrise hat in der politischen Landschaft deutlich zugenommen. Es ist ein zentraler Diskussionspunkt in vielen unserer Gespräche mit Vertretern der Landespolitik. Zudem beobachten wir, dass das Thema Bauen verstärkt in den politischen Positionspapieren aufgegriffen wird. Diese Entwicklungen lassen uns hoffen.
Welche Probleme gibt es denn dann?
Ein massives Problem ist das Förderchaos. Die Förderlandschaft hat sich von der Kfw-Förderung 55 auf Kfw 40 verschoben, was deutlich höhere Kosten nach sich zieht. Und das ständige Stoppen und dann wieder Freigeben von Fördermitteln führt zu Unsicherheiten. Obwohl die Bundespolitik erkannt hat, dass Bauherren finanzielle Unterstützung benötigt, fehlen oft die finanziellen Mittel oder es besteht ein Problem bei der gerechten Verteilung dieser Mittel. Das führt zu Ineffizienzen und hindert uns daran, Fortschritte in der Nachhaltigkeit und Effizienz im Bauwesen effektiv zu implementieren.
Was verlangen Sie in dem Zusammenhang?
Wir fordern insbesondere den Ausbau der Fördermittel. Vor 2022 stand ein Fördervolumen von rund zwölf Milliarden Euro zur Verfügung, während das Bundesbauministerium jetzt lediglich 6,7 Milliarden Euro bereitstellt. Zudem müssen die Baustandards auf ein vernünftiges Maß angepasst werden, um die Betriebe nicht zu überfordern.
Was bedeutet das konkret?
Ein Effizienzhaus-Standard 40 stellt für viele Unternehmen und Bauherren eine finanzielle Hürde dar, die schwer zu überwinden ist. Höhere Effizienzstufen bei Neubauten führen oft zu erheblichen Mehrkosten, die in die Zehntausende gehen können. Der Standard 55 ist gut und umsetzbar, jedoch nur mit einer adäquaten Förderstruktur. Und wir alle wissen: Ein Neubau, der nach dem Standard EH-55 gebaut ist, ist energetisch effizienter als ein Altbau.
Droht bei den Unternehmen eine Pleitewelle?
Eine flächendeckende Pleitewelle ist nicht unmittelbar zu erwarten, aber es wird signifikante Veränderungen im Markt geben. Einige Unternehmer, die in dieser Durststrecke bisher Eigenkapital eingesetzt haben, auch, um Mitarbeiter zu halten, fragen sich, wie lange sie das noch tun sollten. Diese Frage wird gerade in dieser Zeit der spannenden Tarifabschlüsse besonders kritisch diskutiert. Insbesondere wird es zunehmend schwieriger, Nachfolger für bestehende Betriebe zu finden. Kleinere Unternehmen sehen sich immer häufiger gezwungen, ihre Geschäfte an größere Akteure zu veräußern. Dies liegt nicht zuletzt an der wachsenden bürokratischen Last, die kleinere Betriebe überproportional trifft.
Wie könnte es einfacher gehen?
Wir müssen von einigen Vorschriften runterkommen.
Also Bürokratieabbau?
Bürokratieabbau ist ein ständiger Punkt auf den Flyern der Parteien. Der Wille zur Vereinfachung ist erkennbar, aber die Umsetzung erweist sich als komplex. Wir sollten stattdessen die Ermessensspielräume anpassen, klare Rahmenbedingungen setzen und die Standards dort senken, wo es möglich ist, ohne dabei die Sicherheit zu kompromittieren.
Ein konkretes Praxisbeispiel: wenn eine Grundschule in ein Gebäude zieht, das zuvor als Gesamtschule genutzt wurde, gibt es Diskrepanzen bei der Handhabung der Baugenehmigungen. Einige Bauaufsichtsbehörden argumentieren, dass es sich nach wie vor um die gleiche Nutzungsart – nämlich eine Schule – handelt und daher keine neue Baugenehmigung erforderlich ist. Andere Bauaufsichtsbehörden sehen in dem Wechsel von einer Gesamtschule zu einer Grundschule eine Änderung der Nutzung und fordern die Erfüllung sämtlicher neuer Standards. Wir stellen zunehmend fest, dass der vorhandene Ermessensspielraum oft nicht im Sinne der Nutzer ausgeübt wird, was zu unnötigen Verzögerungen und Kosten führt.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich die Situation ändert?
Es handelt sich um eine große Herausforderung, da man veraltete Denkstrukturen aufbrechen muss. Das erfordert Geduld und Ausdauer. Die Zukunft der Wohnbaubranche hängt von mehreren Faktoren ab: Sinkende Zinsen, effektive Förderprogramme, Stabilisierung des Marktes und die Lockerung von Flächenrestriktionen könnten der Branche in den nächsten anderthalb bis zwei Jahren einen Aufschwung geben. Allerdings ist es entscheidend, dass diese Veränderungen schnell umgesetzt werden, um eine zeitnahe Erholung zu ermöglichen.
Was ist dazu notwendig?
Ein wichtiger Schritt wäre die Senkung der Grunderwerbsteuer auf Landesebene. Mit einem aktuellen Satz von 6,5 Prozent gehört Nordrhein-Westfalen zu den Spitzenreitern. Wir plädieren für eine Reduzierung auf 3,5 Prozent. Aufgrund der gestiegenen Grundstückspreise profitiert das Land bzw. profitieren die Kommunen ohnehin von höheren Einnahmen.
Allerdings haben viele Kommunen kaum noch geeignete Grundstücke, auf denen sich etwas entwickeln ließe
Deshalb ist es essenziell, dass neue Gewerbe- und Wohnbauflächen geschaffen werden. Derzeit wird der Landesentwicklungsplan überarbeitet und im Entwurf ist vorgesehen, weitere Flächenversiegelungen zu vermeiden. Das halten wir für kontraproduktiv. Wir fordern daher eine Lockerung der Flächenrestriktionen. Derzeit macht der Anteil der Wohnbauflächen in NRW etwa 7,2 % der Landesfläche aus – im Vergleich zu anderen Bundesländern und der Bedeutung Nordrhein-Westfalens ist das zu wenig. Mehr Gewerbe- und Wohnbauflächen würden nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung fördern, sondern auch den Bürgern ermöglichen, ihren Traum vom Eigenheim leichter zu verwirklichen.
Das dürfte den Naturschutzverbänden nicht unbedingt gefallen
In einem Land, das so zersiedelt ist wie NRW, sind freie Flächen rar gesät. Es geht darum, berechtigte Interessen von Natur- und Artenschutz mit dem Wohnraum-, Industrie- und Gewerbebedarf in Einklang zu bringen. Aber wir können nicht unbegrenzt Wohnraum in Städten durch Nachverdichtung schaffen. Es bestehen Kapazitätsgrenzen. Wir werden neue Flächen für Wohnraum, Industrie und Gewerbe benötigen. Dazu müssen Quartierskonzepte erstellt werden, die diese Ansprüche erfüllen.