Kreis Wesel. Überall im Kreis Wesel ärgern sich Menschen über Kahlschläge. Wir haben nach fachlichen Gründen für die auffälligen Arbeiten gefragt.
Überall an Straßenrändern und in den Wäldern des Kreises Wesel werden derzeit Bäume gefällt, teils sehr alte Riesen. Anwohner und Passanten, denen das Grün ans Herz gewachsen sind, zeigen dafür wenig Verständnis. Warum jetzt, warum so viele? In Voerde, Drevenack, Wesel und andernorts hagelt es Kritik. Gibt es einen fachlichen Grund für die teils drastisch wirkenden Maßnahmen?
Julian Mauerhof, Leiter des Regionalforstamtes Niederrhein des Landesbetriebs Wald und Holz, klärt die Frage nach dem Zeitpunkt: „Herbst und Winter waren sehr nass, es war oft nicht möglich, den Wald zu befahren“, sagt der Förster, auch an den Straßenböschungen sei der Boden weich gewesen. Deshalb komme es jetzt dazu, dass alle aufgeschobenen Aufgaben erledigt werden müssen. Die Zeit drängt, an den Straßenrändern kann nur noch bis 1. März gearbeitet werden, dann beginnt die Brut- und Setzzeit.
Jetzt sei es an der Zeit, entlang der Straßen, Autobahnen und Bahnstrecken die in den vergangenen Dürrejahren geschädigten Bäume zu fällen, denn hier sind die Waldeigentümer in der Verkehrssicherungspflicht: Sie müssen dafür sorgen, dass niemand durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste verletzt wird. Vor allem die alten Bäume, Eichen und Buchen beispielsweise, fallen aktuell ohne Vorwarnung um. Ihr Wurzelwerk ist so nachhaltig durch die Dürre geschädigt, dass sie sich vor allem in nassem Boden nicht mehr halten können. Das, so Mauerhof, betreffe nicht die fünf bis zehn Meter hohen jüngeren Bäume, sondern die dicken alten, und das im gesamten Kreis Wesel. Mit sogenannten Verkehrssicherungskontrollen werde häufig vorher überprüft, wie viele Bäume geschädigt sind. Seien es zu viele, werde der gesamte Bestand entlang der Straße vorsorglich gefällt. Hier sind verschiedene Akteure am Werk: der Landesbetrieb Wald und Holz, der Regionalverband Ruhr, Straßen NRW, die Autobahn GmbH, die Deutsche Bahn etwa.
Zum Stichtag 29. Februar müssen die Arbeiten erledigt sein
Straßen NRW nennt die Aufgabe „Gehölzpflegemaßnahme“, die in der Zeit vom 1. Oktober bis zum 28/29. Februar des Folgejahres angesetzt werden. Auf Nachfrage teilt Sprecher Gregor Hürter mit, dass bis zum Stichtag 29. Februar an folgenden Straßen gearbeitet wurde: B 473 in Hamminkeln, B58 in Schermbeck, L 137 Rheinberg, außerdem an den Landesstraßen L237 und L140 in Duisburg. Weit im Voraus, so Hürter, werde jede Maßnahme mit der Unteren Naturschutzbehörde abgestimmt und die betroffenen Kommunen seien informiert. Der Landesbetrieb prüfe regelmäßig: „Jede Meisterei hat einen eigenen Gehölzflächenkontrolleur, der mindestens zweimal jährlich diese Flächen überprüft, belaubt und unbelaubt oder nach Unwetterereignissen“, so Hürter. Bei den Arbeiten gehe es um die Verkehrssicherungspflicht, aber auch um die Beseitigung von Sturmschäden, die Erhaltung von Bauwerken und die Sicherung von Böschungen oder Verkehrseinrichtungen.
Nicht nur an Straßenrändern, auch in den Wäldern wird aktuell abgeholzt, in Privatwäldern und in denen der öffentlichen Hand. Und das, obwohl die Brut- und Setzzeit dort nicht gültig ist, so Mauerhof, das sei eine gesetzliche Ausnahme. „Wald wird bewirtschaftet“, sagt er. Holz wird vermarktet. Hier geht es eher nicht darum, ob ein Baum krank ist, sondern unter anderem darum, ob er geerntet werden kann. Dennoch, so der Fachmann, ernte man das Holz nicht gern im Sommer. „Im Winter ist das Holz trockener, es hat eine bessere Qualität.“ Das liege daran, dass im Frühjahr die Blätter austreiben und der Baum wieder mit Wasser versorgt wird.
Wird doch mal im Sommer ein Waldbaum gefällt, beurteilen laut Mauerhof die Förster vorab, ob das möglich ist: Gibt es Höhlen, in denen ein Specht siedelt, Adlerhorste, Storchennester, Fledermäuse? Bäume, in denen Spezialisten, wie etwa die Hohltaube, brüten, werden gekennzeichnet, ergänzt Christoph Beemelmans, RVR-Revierförster mit einem rund 2000 Hektar umfassenden Revier im Kreis Wesel. Neben der Verkehrssicherung, an Radwegen etwa, nennt der RVR Ruhr Grün weitere Gründe für regelmäßige Durchforstungen, es gehe darum, „die vitalen Bestände zu fördern und die natürliche Verjüngung standortgerechter Hauptbaumarten einzuleiten“.
Förster bekommen das Unverständnis der Leute bei der Arbeit zu spüren
Beemelmans bedauert, dass viele Menschen „nicht verstehen, was Waldpflege bedeutet, das ist so schade“. Um den Wald über Jahrhunderte wunderschön und vital zu erhalten, sei es nötig, ihn zu entwickeln. Damit kräftige Bäume noch stärker und sehr alt werden können, sei es nötig, andere zu fällen, „die Säge gehört einfach dazu“. Die hat der RVR in dieser Saison am Esseltweg in Hünxe eingesetzt und Am Voshövel, oberhalb des Landhotels. „Wir werden häufig ungerecht angemacht, frei nach dem Motto ‚Was tut Ihr hier eigentlich?‘“ Als Förster lerne man: Gehe früh, mäßig und oft in den Bestand.
Auch an den Hecken in der Kulturlandschaft setzt zurzeit verstärkt die Säge an, sie werden zum Teil auf den Stock gesetzt. Das wiederum hat weder mit Verkehrssicherheit noch mit Wirtschaftlichkeit zu tun, sondern mit Naturschutz. Hecken haben für Wildtiere eine große Bedeutung, sie bieten Schutz und können das nur, wenn sie im unteren Bereich schön dicht sind. Werden die Heckenpflanzen älter, entwickeln sie sich zu Bäumen, im unteren Bereich kahl. Damit wäre Hasen, Vögeln und anderem Kleinwild der Schutz entzogen. Um dem entgegenzuwirken, werden dazu geeignete Baumarten bis auf Bodenhöhe eingekürzt, allerdings nur abschnittsweise und um die Funktion zu erhalten. „Innerhalb von zwei Jahren ist die Hecke wieder voll da“, erläutert Mauerhof. Hier gilt es aber, die Brut- und Setzzeit zu beachten, was die erhöhten Aktivitäten erklärt. Wer übrigens seine Gartenhecke stutzen will, sollte die Zeit noch nutzen, danach ist bis einschließlich 31. Juli in NRW nur noch der sogenannte Formschnitt erlaubt, um brütende Vögel zu schützen.