Kreis Wesel. Viele Tarifverträge werden gekündigt und verhandelt. Die Gewerkschaften im Kreis Wesel haben viel zu tun. Streiks sind nicht ausgeschlossen.
Das Jahr 2024 wird ein Jahr zahlreicher Tarifauseinandersetzungen. Ob IG Bau, IG Metall, NGG, Verdi oder IGBCE - branchenübergreifend kämpfen Gewerkschaften in den kommenden Monaten mit Arbeitgebern um bessere Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder. Ob es auch ein Streikjahr wird, werden die nächsten Verhandlungsrunden zeigen. Die Gewerkschaften im Kreis Wesel gehen aber auf Nachfrage bereits von harten Tarifgesprächen aus.
Bei Verdi ist man bereits in den Clinch mit den Arbeitgebern gegangen. Zum einen im Handel und beim Tarifvertrag Spedition und Logistik, zum anderen in der vergangenen Woche mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Den Tarifvertrag hatte Verdi im Dezember 2023 fristgerecht gekündigt. Am vergangenen Mittwoch starteten die Verhandlungen. Zuvor hatte der Geschäftsführer des Verdi-Bezirks linker Niederrhein, Dominik Kofent, schwierige Gespräche vorausgesagt. In der ersten Verhandlungsrunde in Dortmund erteilten die Arbeitgeber den Verdi-Forderungen in der Tat eine deutliche Absage. „Schon jetzt wird deutlich: Verbesserungen erreichen wir nur entschlossen und mit Druck!“, heißt es dazu auf der Verdi-Internetseite. Mittlerweile ist klar, dass es ab Freitag aufgrund von Warnstreiks deutschlandweit und auch im Kreis Wesel zu starken Einschränkungen im ÖPNV kommen soll.
Tarifrunde 2024: In diesen Branchen im Kreis Wesel sind Streiks möglich
Auch Kofents Amtskollege für den Bezirk Duisburg-Niederrhein, Matthias Baumann, sagt schwierige Verhandlungsrunden voraus, man sei aber gut organisiert. Nicht nur im ÖPNV, sondern vor allem für die Tarifrunde Öffentlicher Dienst für Bund und Kommunen. Dort herrsche die höchste Streikaffinität, so Dominik Kofent. Der Kündigungstermin für den Tarif ist der 31. Dezember 2024, und noch weiß Verdi nicht, welche Forderungen im Zentrum der Verhandlungen stehen sollen. Im Sommer, so Kofent weiter, werde man eine große Befragung starten, „ob diesmal die Work-Life-Balance im Mittelpunkt stehen oder ob es doch noch einen Schluck aus der Pulle geben soll“.
Vorher gibt es Verhandlungsrunden unter anderem mit der Druckindustrie und der Energiewirtschaft. Letztere „war in der Vergangenheit oftmals kooperativer als andere Arbeitgeberverbände“, sagt Matthias Baumann. Was auch eine Folge des Personaldrucks gewesen sei. „Die möchten ihre Fachkräfte nicht verlieren“, so Baumann weiter. Ob es überhaupt irgendwo einfache Gespräche geben könnte, darüber möchten die Gewerkschafter nicht spekulieren. „Druck ist überall auf dem Kessel“, sagt Matthias Baumann. Und klar sei auch, dass die Mitglieder „nicht immer den kompletten Ausgleich“ erfahren hätten.
Das bestätigen die anderen Gewerkschaften, die auf einen Ausgleich der Reallohnverluste in Folge der hohen Inflation pochen. „Unsere Erwartungshaltung ist schon, dass das Delta im Portemonnaie kleiner wird“, sagt der Bezirksleiter Niederrhein der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), Zafer Ates. Bis Mitte, Ende März will die IGBCE ihren finalen Forderungsbeschluss für einen neuen Tarifvertrag in der chemischen Industrie vorlegen. Anschließend beginnen die regionalen Verhandlungen. „Vermutlich im April oder Mai“, so Ates. Und Erfahrungswerte zeigten, „dass die Arbeitgeber kein Angebot vorlegen, mit dem man zufrieden sein kann“.
Davon geht auch die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) für ihren Bereich aus. Bald stehen die Tarifverhandlungen für das Bauhauptgewerbe an. „Es werden harte Verhandlungsrunden“, sagt der stellvertretende IG-Bau-Vorsitzende des Bezirksverbands Duisburg-Niederrhein, Klaus Brunken, der gleichzeitig Mitglied der Verhandlungskommission ist, die am 22. Februar die Tarifverhandlungen in Wiesbaden aufnimmt. Die Kernforderung der Gewerkschaft: 500 Euro mehr pro Monat für jede Lohngruppe, auch für Azubis.
Beschäftigte in den verschiedenen Branchen
Von 144.320 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Kreis Wesel arbeiteten laut Arbeitsagentur zum Stichtag 30. Juni vergangenen Jahres 2214 Menschen in der Chemiebranche. Bei den Bauberufen waren es 9657 Personen, in der Hotel- und Gastronomie-Branche 2527. Die meisten Beschäftigten hatten die Metall- und Elektroberufe mit 16.751 Beschäftigten.
Die Forderung sei deshalb so hoch, weil man sich in den vergangenen Verhandlungsrunden zurückgehalten habe, erklärt Brunken. Da hätten sich die gravierenden Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine aber noch nicht bemerkbar gemacht. Nach den Inflationsanstiegen in den Jahren 2022 und 23 habe man jetzt aber durch die Reallohnverluste „Nachholbedarf“. Und man werde sich „nicht kleinhalten lassen“, kündigt der stellvertretende IG-Bau-Bezirksvorsitzende an und geht von harten Diskussionen aus. Schon die letzten Tarifverträge seien nur mit Hilfe von Schlichtern geschlossen worden. „Es kann schon sein, dass wir Streikmaßnahmen ins Auge fassen müssen.“
In der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gibt es drei große Bereiche, in denen in diesem Jahr Tarifverhandlungen anstehen: Das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Bäckerhandwerk und die Systemgastronomie. Gerade in diesen Bereichen herrschten teilweise prekäre Zustände, sagt der Geschäftsführer der NGG-Region Nordrhein, Karim Peters. Während Corona habe es dort viele Abgänge gegeben, dazu arbeiteten viele Menschen zum Niedriglohn. Bei den Bäckern tritt die Tarifkommission Mitte Februar zusammen, die Kommission für die Systemgastronomie Ende Februar. Die Tarifkommissionssitzung für das Hotel- und Gaststättengewerbe soll Anfang April folgen. In allen drei Bereichen soll vor allem der Anstieg der Gehälter im Fokus stehen, so Karim Peters. Dabei gehe es nicht nur darum, die Reallohnverluste aufzufangen. „Es geht da auch um die Verbesserung des Lebensstandards.“