Kreis Wesel/Kreis Kleve. Im Kreis Wesel ernähren Mensch und Pferd einander: Reiter und Züchter sind ein oft unterschätzter Wirtschaftsfaktor der Region. Ein Einblick.

Pferde als Wirtschaftsfaktor? Das sind sie, sagt Ludwig Hermanns von der Kreiszüchterzentrale – und das sei kaum bekannt. „Man rechnet statistisch auf zweieinhalb Pferde einen Arbeitsplatz“, erläutert er. Und: „Die Kreise Wesel und Kleve sind bundesweit die stärksten Kreise für Pferdehalter.“ 8587 Tiere sind allein im Kreis Wesel registriert, denn jedes Pferd benötigt einen Equidenpass, es gibt 1107 gemeldete Pferdehalter. Und je rund 350 Züchter in den Kreisen Wesel und Kleve.

Die Szene ist im Umbruch, weg von der bäuerlichen Zucht, hin zu zahlreichen Hobbyzüchtern auf der einen und einigen wenigen professionellen Zuchten auf der anderen Seite. Das hat Auswirkungen: Es gibt weniger Nachwuchs in den Ställen. Daher haben die Kreispferdezuchtvereine Wesel und Kleve jetzt erstmals eine gemeinsame Stuten- und Fohlenschau unterer Niederrhein in Sonsbeck präsentiert.

Von der Produktion und dem Verkauf des Zubehörs leben viele

Wie können rechnerisch zweieinhalb Pferde einen Menschen ernähren? Jörg Zahn, Vorsitzender des Kreispferdezuchtvereins Wesel, erläutert: „Die vielen Hobbyhalter und -züchter brauchen Futtermittel, Einstreu, Zubehör, sie kaufen und verkaufen Pferde.“ Sein Kreis Klever Kollege Johannes Baumeister ergänzt: „Auf den ländlichen Reitturnieren starten zu 80 Prozent Mädchen. Die benötigen die entsprechende Reitkleidung und -Ausrüstung.“ Und legen darauf offenbar etwas mehr Wert als Jungs. Ein Wirtschaftsfaktor, den der Landhandel inzwischen für sich entdeckt hat: Gab es früher dort nur Futtermittel, bieten heute die meisten Märkte ein umfangreiches Angebot rund ums Pferd. Da sind noch die Tierärzte, Hufschmiede und andere, die von der Pferdehaltung leben.

„Manche Bauern haben die Landwirtschaft aufgegeben und ihre Ställe umgebaut für Pensionspferde“, erläutert Baumeister. Es gibt Kombibetriebe, die Boxen anbieten und selbst züchten. „Viele Reiter leben nicht im Kreis Wesel, haben aber ihre Freizeitpferde hier stehen“, erläutert Zuchtberater Ludwig Hermanns. Das Pensionsgeschäft beschert den Höfen solide Einnahmen.

Den passenden Erzeuger wählen – die Kreiszüchterzentrale hilft dabei

Die meisten Fohlen werden nicht natürlich gezeugt, sondern durch künstliche Befruchtung. Hengststationen bieten den gewünschten Samen an – für ein Warmblut werden da 800 bis 2000 Euro fällig, ein Ponyfohlen entsteht für 400 bis 600 Euro, so Zahn und Baumeister. In der Region gibt es etwa in Hünxe die Hengststation Schult, Stücker in Weeze, den Krüsterhof Hinnemann in Voerde und in der Saison das Landgestüt Warendorf mit seiner Station in Goch. Hier können Pferdezüchter sich den passenden Hengst zur Stute aussuchen, die Kreiszüchterzentrale berät dazu.

Neben den Hobbyhaltern und -züchtern gibt es einige Profis, die im größeren Stil züchten. Die moderne „Produktion“ nimmt bei wertvollen Stuten für Laien befremdliche Formen an: Das Muttertier bringt sein Fohlen nicht mehr zur Welt, der Embryo wird transferiert und von einer anderen Stute ausgetragen. Ein Leihmuttersystem, das dem Züchter Vorteile bringt: Ist die Zuchtstute ein Sportpferd, kann sie weiter an Turnieren teilnehmen. Hat sie sehr hochwertige Gene, kann sie dem Züchter auf diese Weise pro Jahr bis zu fünf Fohlen einbringen. Eine Entwicklung, die die Pferdezuchtvereine mit leichtem Unbehagen betrachten. Jörg Zahn und Johannes Baumeister kommentieren sie nicht weiter, sagen aber, dass das ihr Ding nicht sei. Ludwig Hermanns findet die Praktik schade: Zwar litten die Tiere nicht, die bäuerliche Zucht werde aber weiter zurückgedrängt.

Eine große Preisspanne beim Verkauf der Fohlen

Ohnehin ist ein Embryotransfer nichts für Hobbyzüchter: Samen, Trägerstute, Tierarzt und alles drumherum schlagen mit rund 10.000 Euro pro Fohlen zu Buche.

Beim Betrachten des Wirtschaftsfaktors Pferd geht es nicht zuletzt um den Verkauf der Tiere. Zuchtschauen, wie die in Sonsbeck, bewerten ihre Vorzüge. Bei einer Online-Aktion, berichtet Ludwig Hermanns auf Nachfrage, sei jüngst ein Fohlen für 67.000 Euro verkauft worden. Als weniger wertvoll eingestufter Pferdenachwuchs kostet immerhin noch 7000 oder 8000 Euro. „Es ist eine breite Preisspanne“, sagt Hermanns. Für die Kreis-Weseler und Kreis-Klever Züchter ist er sehr optimistisch. Bei der Schau hat er die bekannten Scouts der Käufer im Publikum ausgemacht. „Es waren hochwertige Tiere dabei, ich bin sicher dass einige Fohlen zu sehr zufriedenstellenden Preisen den Besitzer wechseln werden.“

Wirtschaftsfaktor hin oder her: Dass es sich um höchst lebendige Wesen handelt, zeigte die Schau auch. Eine Stute, von ihrem Fohlen getrennt, verweigerte prompt die Zusammenarbeit bei der Präsentation. Ein Fohlen, vermutlich zum ersten Mal transportiert und vom heimischen Stall weg, protestierte schmerzhaft. Es platzierte in der Aufregung einen Huf auf der Nase seines Führers.