Kreis Wesel. Aktuell explodieren die Preise – besonders hart trifft das alte Menschen mit einer kleinen Rente. Wie sich ihre Not schon jetzt im Alltag zeigt.
Im Kreis Wesel wird die steigende Armut spürbar – das war schon vor dem Krieg so und hat sich durch den Überfall Russlands auf die Ukraine noch verstärkt. Das spüren die Aktiven des Sozialverbands VdK und des Caritasverbandes bei ihrer täglichen Arbeit. Die Preise steigen rasant an. Besonders hart trifft das ältere Menschen. „Wir stemmen uns gegen die Armut, aber zunehmend können wir den Kreislauf nicht mehr durchbrechen“, sagt Caritasdirektor Michael van Meerbeck.
Svenja Weuster, VdK-Geschäftsführerin am Niederrhein, weiß aus ihren juristischen Beratungsgesprächen im Sozialrecht, wie spitz viele Senioren rechnen müssen. „Da fehlen häufig die zehn Euro Zuzahlung zu den Medikamenten im Monat“, sagt sie. Oder Rentner verzichten auf einen Widerspruch gegen den Pflegegrad oder die Eingruppierung bei Behinderungen – obwohl es ihnen bei Erfolg hunderte bis tausende Euro bringen würde, können sie die 30 Euro Gebühr für den Rechtsweg nicht aufbringen.
Senioren können sich die tägliche Mahlzeit nicht mehr leisten
Es sei an der Tagesordnung, dass Menschen, die sonst täglich das bereits subventionierte Essen beispielsweise im Mutter-Theresa Haus am Dinslakener Bahnhof oder Hildegard-von-Bingen-Haus in Voerde holen, ab Mitte des Monats nur noch sporadisch kommen. „Das muss dann reichen, für mehr ist kein Geld da“, so van Meerbeck. Das gleiche Phänomen beobachtet er bei den ausgelieferten Mahlzeiten. Und: „Der Krieg macht den Menschen Angst, sie wollen Vorräte anlegen. Dafür fehlt es aber an Geld.“
Horst Vöge, Vorsitzender des VdK, nennt Zahlen: Im Jahre 2016 waren 5459 Kreis-Weseler von der Grundsicherung abhängig – 2620 darunter älter als 65 Jahre. 2021 waren 6115 Menschen in der Grundsicherung, darunter 3000 Senioren. Grundsicherung erhalten Menschen, die nicht erwerbsfähig oder bereits im Rentenalter sind, wenn die Einkünfte nicht für den Lebensunterhalt ausreichen.
Es gibt verschiedene Gründe für Altersarmut. Van Meerbeck nennt es eine „riesige Ungerechtigkeit“, dass Ehepaare nach einer gemeinsamen Lebensleistung unterschiedliche Renten beim Tod des anderen erhalten. Stirbt sie zuerst, behält der Mann die komplette Rente. Im umgekehrten Fall muss die Frau mit rund 60 Prozent auskommen. Und das obwohl die Fixkosten wie Miete, Strom und Wasser bleiben.
Mehrwertsteuer auf Medikamente senken
Horst Vöge warnt: Die Gefahr der Altersarmut nimmt zu. Vor allem für Menschen, die von der Grundsicherung leben müssen, fordert er mehr Entlastung. „Wir gehen davon aus, dass sich die Situation durch die derzeitige Kostenexplosion noch einmal drastisch verschärfen wird“, befürchtet Horst Vöge mit Blick auf die jüngst veröffentlichten Daten des Statistischen Landesamtes zur Grundsicherung. „Gerade Frauen hatten mit monatlichen Bezügen von nicht einmal 725 Euro zuletzt kaum genug Geld zum Leben, während Männer im Durchschnitt immerhin rund 1.360 Euro ausgezahlt bekamen“, so Vöge. „Vor allem diejenigen, die tagtäglich mit minimalen Beträgen über die Runden kommen müssen, brauchen dringend gezielte staatliche Hilfen“, so Horst Vöge. Beim Entlastungspaket seien sie außen vor geblieben. Er schlägt beispielsweise eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel vor. Zudem müssten die Regelsätze für die Grundsicherung dauerhaft an die tatsächlichen Ausgaben angepasst werden: „Eine einmalige Pauschale bringt zwar kurzfristig Linderung, verbessert die prekäre Lage der Betroffenen aber natürlich nicht dauerhaft.“
Welche Folgen das hat, bringt Michael van Meerbeck auf den Punkt: „Die Armut macht einsam. Mal in der Stadt einen Kaffee trinken und mit Leuten sprechen, das ist nicht mehr drin.“