Kleve. . Inklusion ist viel mehr als Behinderte in der Schule bloß mitzuziehen: Dass alle profitieren, zeigt Hella Wenders’ ausgezeichneter Dokumentarfilm „Berg Fidel“. Doch bei der Diskussion in Kleve wurde klar: Hier ist noch viel Arbeit zu leisten.

„Der Kreis Kleve hinkt dem Kreis Wesel weit hinterher“, beobachtet Johannes Roelofsen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Wesel-Kleve. Zur Inklusion von Behinderten würden im Kreis nebenan „die Ressourcen intensiver verteilt, arbeiten das Sozialamt und Jugendamt eng zusammen“, was im Kreis Kleve „nicht so optimal läuft“. Der Kreis Wesel habe allerdings auch „Glück“ mit der Anzahl an Sonderpädagogen, so Roelofsen. 800 behinderte Schüler sind dort in den Regelunterricht integriert – gewachsener Prozess seit 1989.

Ernüchternde Perspektive

Das war eine Wortmeldung aus der Diskussion, die sich gestern im Tichelpark-Kino dem ausgezeichneten Dokumentarfilm „Berg Fidel“ über eine Münsteraner Modellschule anschloss. Der Film von Hella Wenders begleitet das reiche Grundschulleben von vier Kindern, die nach der 4. Klasse dann doch in Sonderschulen aufgeteilt werden. „Ernüchternd“, fanden die Diskussionsteilnehmer diese Perspektive.

150 Eltern, Lehrer, Vertreter von Paritätischem Wohlfahrtsverband als Veranstalter und sonstige Interessierte erkannten: „Das Problem sei keines der Bildung und der Schulen allein, sondern nur gesamtgesellschaftlich zu lösen,“ so Roelofsen im Namen aller.

Kleves Schulverwaltungsamtsleiterin Annette Wier beschrieb, dass drei Grundschulen bereits integrativ (gemeinsamer Unterricht), aber noch nicht inklusiv arbeiten. Die Kommunen seien nicht auf die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention vorbereitet. „Wir warten ab, was das neue Gesetz über die Finanzierung der Inklusion sagt.“ Denn es könne eine Umbauwelle an Gebäuden bedeuten und in Schulen viel mehr Personal. Moderator Ludger Kazmirczak (WDR) fragte Annette Wier, ob sich lokale Politiker in den erfahrenen Niederlanden nach Vorbildern umsehen. Noch nicht, sagte Wier.

„Wo was machbar ist, wird es ja gemacht“, meinte Stadtelternsprecherin Martina Schaale. Das sei „Quatsch“, fand Roelofsen. „Was machbar ist, entscheiden Bürokraten.“ Eltern aber müssten gemeinsam kämpfen, um die Rechte behinderter Kinder durchzusetzen. „In der Kita sind noch 60 Prozent behinderte Kinder integriert, in Grundschulen 34 Prozent, in der Sekundarstufe I dann 15 Prozent“. Wolfgang Wachholtz erzählte von guten Erfahrungen in der Dietrich-Bonhoeffer-Förderschule Bedburg-Hau.

Verschiedenheit dürfe kein Ausschlusskriterium sein, sondern müsse als Bereicherung verstanden werden, forderte Hartmut Hohmann vom Paritätischen. Es sei Mentalität der Gesellschaft, schon in Grundschulen auf Leistung, Leistung zu setzen, bedauerte Ute Schröder, Leiterin der Förderschule Ringschule Kleve.

Die Mutter eines behinderten Kindes mit Down-Syndrom schilderte, dass zwar der Leiter der Montessori-Schule Kleve ihr Kind aufnehmen wollte, aber das Kollegium sich das nicht zutraute. Es werde jetzt an der Karl-Leisner- Regel-Grundschule (mit Sonderpädagogin im Team) sehr gut beschult. „Es gehört Mut dazu.“

Und Geld fürs Personal, war allen klar. Dr. Rose Wecker vom Leitungsteam der Gesamtschule Kleve berichtete, dass die neuen Gesamt- und Sekundarschulen zwei Sonderpädagogen und einige Kinder einen Integrationshelfer zur Seite haben.

Nicht stigmatisieren

Es sei allerdings kritikwürdig, diese Hilfen mit Stunden-Anteilen an die Behinderung von Kindern zu knüpfen, statt den Schulen dieses Personal zuzuweisen. Dem stimmte Dr. Ursula Böing (Uni Köln) zu: Es sei grotesk, dass man Kinder erst als behindert stigmatisieren müsse, um dann Sonderpädagogen für ihre Inklusion genehmigt zu bekommen.

Zumal, so wusste eine Mutter, manche Integrationshelfer im „Bundesfreiwilligendienst“ das für einen Hungerlohn übernähmen und nicht lange bleiben. Auch hier gab Johannes Roelofsen sein Weseler Beispiel: Dort werden Integrationshelfer als „Assistenten“ eingestuft und besser bezahlt.