Kleve. Ein undankbarer Job: Die NRZ hat Michael Mölders, SPD-Kandidat zur Europawahl, beim Haustürwahlkampf begleitet. Wen er überraschend traf.
Keiner da. Niemand öffnet die Tür. Der Mann mit dem Rasenmäher spricht kein Deutsch. Eine ältere Dame öffnet immerhin, sagt aber gleich: „Kein Interesse.“ Dann ist da ein höflicher älterer Mann, der sich für das Infomaterial bedankt. Ein anderer fragt: „Ist das umsonst?“ Dann nimmt er das Leinensäckchen und zieht die Tür zu. Eine Dame ist nahezu blind, sie hat gerade andere Sorgen als die EU-Wahl. Eine junge Mutter mit Kind an der Hand lächelt immerhin. Und ein Mann sagt: „Mein Neffe ist auch bei der SPD, vielleicht kennen Sie ihn ja.“
Zuständig für 630.000 Personen
Ehrlich gesagt: Das hatte man sich spannender vorgestellt, so einen Häuserwahlkampf. Aber Michael Mölders ist weiterhin gut gelaunt und optimistisch. Der 31-jährige ist SPD-Kandidat für die Europawahl am 9. Juni und zuständig für den Kreis Kleve, den Kreis Viersen und die Stadt Krefeld. Wahlberechtigt sind hier über 630.000 Personen. Die kann man nun schlecht alle zuhause besuchen und mit ihnen über Politik plaudern. Aber Mölders hat schon bei der Landratswahl festgestellt: Da, wo sie unterwegs waren, war auch die Wahlbeteiligung höher. Das hilft nicht unbedingt seiner Partei, aber der Demokratie.
Jetzt ist Michael Mölders mit zwei Funktionsträgern der Klever SPD in Kleve unterwegs, im Bereich Mittelweg. „Hier haben wir häufig Wahlergebnisse wie im Durchschnitt der Bevölkerung“, sagt Daniel Boumanns, Mitglieder- und Bildungsbeauftragter bei der Klever SPD. Sie wollen auch noch einen Wahlkreis mit extrem niedriger Wahlbeteiligung besuchen und schauen, was dort los ist.
Beliebte Kugelschreiber
Seit ein paar Wochen klingelt Mölders mit unterschiedlichen lokalen Helfern also dort, wo der Polit-Sprech das berühmt-berüchtigte „Draußen bei den Menschen“ vermutet. „Ich erwarte nicht, dass ich klingle und die Leute einen direkt wählen“, sagt Mölders. Also: Infomaterial abgeben – Flyer, Block, Gummibärchen, Blumensamen. Die Kugelschreiber sind gerade ausgegangen, sie sind an den Ständen in den Fußgängerzonen immer sehr begehrt.
Spannende Diskussionen gibt es nur selten. Manchmal, erzählt Mölders, hätten die Leute lokale Anliegen, da kann man dann konkret helfen und Kontakte vermitteln. Einmal öffnete eine Frau mit Shampoo in den Haaren, das ist dann eher unangenehm. „Die Leute warten ja nicht auf uns, sie sind mit ihrem Alltag beschäftigt.“ Letztens hat er bei einem Mann geklingelt, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Nachher stellte sich heraus: Es war sein ehemaliger Deutschlehrer. Auch so etwas kommt vor. „Aber vom echten Leben bekommt ein Paketbote vermutlich noch viel mehr mit als wir“, glaubt Mölders.
Manche freuen sich über junge Engagierte in der Politik
Und was ist mit der giftigen Atmosphäre, von der man soviel hört? Mit Handgreiflichkeiten und Verbalattacken? Michael Mölders: „Man kriegt schon den ein oder anderen Anti-SPD-Spruch reingedrückt, da muss man ein dickes Fell haben.“ Aber Angst hat er nicht, auch nicht beim Aufhängen von Plakaten. Im Gegenteil: „Manchmal freuen sich die Leute auch, wenn sich mal ein junger Mensch ehrenamtlich in der Politik engagiert.“ Dass sie ihn gleich erkennen, weil er auf vielen Wahlwerbeplakaten zu sehen ist, kann man jedoch nicht behaupten. Und manche, sagt er, hätten auch schon gewählt, per Briefwahl.
Hier, in der Klever Oberstadt, geht es ganz gemächlich weiter, Haus um Haus, Tür um Tür. Es ist warm, die Vorgärten sind teils sehr gepflegt, manchmal herrscht Wildwuchs, es gibt Namensschilder aus bemaltem Ton und hastig gekritzelte Aufkleber am Briefkasten. Es sieht nach buntem sozialen Nebeneinander aus. Und einige sind offenbar verreist, die Post stapelt sich im Briefkasten. Aber niemand knallt wutentbrannt die Tür zu, niemand schreit herum, niemand hält Monologe. Es ist wirklich friedlich. Die Nachricht muss also lauten: Es gibt also noch Hoffnung für die Zivilisation.