Kreis Kleve. Verwandte aus der Ukraine haben den Kreis Kleve erreicht. Landwirt sorgt sich um seine frühere Praktikantin – sie ist hochschwanger im Krieg.

Die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine sind schon im Kreis Kleve angekommen. Eine zwölfköpfige Gruppe kam bei Verwandten unter. Vier Frauen, sechs Kinder, begleitet von zwei Männern (ausgereist mit Ausnahmegenehmigung). „Sie sind merklich psychisch belastet“ sagt Joachim Verhoeven, von Beruf Opferschutzbeauftragter der Polizei. In diesem Falle ist er privat beteiligt. Seine Schwägerin ist Ukrainerin und Kontaktperson zur Gruppe. Große Sorgen hatte sie sich um ihre Enkelkinder gemacht. Über ihren Arbeitgeber wurde gestern sogar schon eine Wohnung für die Neuankömmlinge gefunden. Innerlich haben sie Kleve aber noch nicht erreicht. „Sie kommen hier in eine andere Welt“, weiß Verhoeven.

Landwirt macht sich große Sorgen um seine ehemalige Praktikantin Tetiana

Parallel dazu scheint auf dem bäuerlichen Familienbetrieb von Hans-Theo Hoffmann in Keppeln alles friedlich zu sein. Der niederländische Klauenpfleger kam mit seinem Riesentruck und schneidet den Hochleistungsmilchkühen die Klauen. Arbeit, Ablenkung. Aber der Krieg in der Ukraine ist hier ganz nah für Landwirt Hoffmann. Er berichtet von großen Sorgen um seine ehemalige Praktikantin Tetiana. Sie hat 2018/2019 ein landwirtschaftliches Praktikum auf seinem Keppelner Hof gemacht und blieb danach noch persönlich und jetzt per Messenger-Dienst im engen Kontakt zu den Hoffmanns.

„Es ist wirklich dramatisch, was sie uns aus ihrer Heimat berichtet. Und die Videos, die sie schickt, zeigen den ganzen Schrecken der Angriffe dort“, erklärt Landwirt Hoffmann. Als die russischen Aggressionen Mitte der vergangenen Woche starten, schreibt die Hochschwangere: „Wir hören die Explosionen, obwohl wir im Zentrum von Zhytomyr leben. Die Menschen sind alle in Panik.“

Der Keppelner bietet der jungen ukrainischen Landwirtin, die um den 12. März herum die Geburt ihres ersten Kindes, eine Tochter, erwartet, täglich Hilfe an. „Ich habe ihr gesagt, dass sie und ihre Familie bei uns willkommen sind. Wir haben ein großes Haus.“ Aber die 25-jährige Tetiana sieht keine Möglichkeit auf eine Flucht.

„Ich kann überhaupt nicht gehen, weil ich bald das Kind gebäre“

An der Grenze zu Weißrussland berichtet sie von Bombardements, vielen zivilen und militärischen Opfern, langen Warteschlangen vor Geschäften, Banken Apotheken… und schließlich von großer Panik.

Hans-Theo Hoffmann betont nochmals, dass er und seine Familie sie willkommen heißen und dass sie kein Visum braucht, wenn sie nun in den Westen flieht. „Dein Zimmer bei uns im Haus steht immer noch leer. Komm rüber, denk an dein Baby“, fleht der Keppelner Landwirt. Aber Tetiana sieht keine Chance. „Ich kann nicht nach Westen gehen, ich kann überhaupt nicht gehen, weil ich bald das Kind gebäre.“

Am 25. Februar schreibt sie, dass sie aus Sicherheitsgründen WhatsApp von ihrem Handy löschen muss – die Angst vor den Folgen, wenn Russen sie kontrollieren und den „amerikanischen Messengerdienst“ auf ihrem Handy finden, ist zu groß. Kontakte laufen nun anders. Noch vor dem Wochenende erreicht Hoffmann die Nachricht, dass Tetianas Ehemann und ihr Bruder in einem Bus zum Kriegsdienst abgeholt wurden. Sie kann nicht zur Grenze kommen: „Es gibt kein Benzin und keine Bahnverbindungen mehr... Hier ist Krieg, echter Krieg... Es gibt keine sicheren Orte mehr. Der Krieg ist in der ganzen Ukraine und überall werden Menschen getötet, Zivilisten sterben.“

„Wenn wir sterben müssen, dann soll es so sein.“

Am Sonntag schrieb Tetiana, dass sie das Land nicht verlassen kann und nicht verlassen wird. Außerdem das: „Die ganze Welt unterstützt uns... also hoffen wir das Beste.“

Die letzte Nachricht ist vom 28. Februar. Tetiana schreibt fast trotzig: „Wenn wir sterben müssen, dann soll es so sein. Aber wir werden nicht davonlaufen.“

Zum letzten Mal online war sie in der Nacht von Montag zu Dienstag. Hans-Theo Hoffmann hofft, dass sie irgendwo ihr Baby gesund auf die Welt bringen kann und es dann doch noch in den Westen schafft. Er und seine Familie stehen zu ihren Worten und werden ihr und dem Baby dann Zuflucht bieten.

Vor zwei Wochen, noch zu Friedenszeiten, aus der Ukraine nach Kleve gereist

Gerade seit acht Wochen ist Aliona Serkeli in Kleve, noch in Friedenszeiten kam sie her. Sie war ihrem griechischen Ehemann gefolgt, der hier arbeitet. Erst wohnte sie in Goch, jetzt in Kleve. „Wir hätten nie gedacht, dass wir von Krieg reden müssten. Ich kann es immernoch nicht glauben“, sagt sie. Ihre Verwandten sind in Odessa. Dort ist es noch ruhig, „aber sie bereiten sich auf alles vor“, hört sie mit großer Sorge. „Ich habe Angst.“

Die 37-jährige Juristin engagiert sich jetzt in Kleve im Integrationsverein Haus Mifgash, will dort ihre Kenntnisse einsetzen. „Wir wissen noch nicht wie, aber ich will Flüchtlinge unterstützen, wo es nötig ist.“ Später solle Raum geschaffen werden, auch deutsche Einwohner über ukrainische Kultur zu informieren. Aliona Serkeli bedauert, dass „die schrecklichen Ereignisse“ bewirken, nun die Unterschiede zum Russischen zu verdeutlichen.

Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine kommen in den Nachbarländern unter

meisten Flüchtlinge aus der Ukraine seien in den Nachbarländern untergekommen – weil die Frauen ihre Männer im Krieg zurückließen und in der Nähe bleiben wollen, sagt Ursula Kissel von der Bezirksregierung Arnsberg, die für die Zuweisung nach Flüchtlingsaufnahmegesetz zuständig ist, auf NRZ-Anfrage. „Wer hierher kommt, hat in der Regel private Kontakte“, so Kissel. Unbürokratisch würden Geflüchtete aufgenommen, dürfen arbeiten, Sozialleistungen beziehen.

Kreis kennt die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine nicht

Wie viele Personen aus der Ukraine in den Kreis Kleve kamen, weiß die Kreisverwaltung nicht, bestätigt Kreissprecherin Ruth Keuken. Sie können ohne Visum 90 Tage bleiben (verlängerbar). Wer ohne Visum einreist, müsse aber einen biometrischen Pass bei sich haben, beschreibt Ursula Kissel. „Erst wenn der Krieg weiter an Schrecken zunimmt“, so Kissel, und sich die Flüchtlingszahl deutlich erhöht, müssten Kommunen Wohnraum bereit stellen. Erst sprächen sich die EU, dann der Bund und die Länder ab, bevor das Thema in Kreisen und Kommunen ankomme, umreißt Ruth Keuken den zeitlichen Ablauf.

Monatlich wird die Zahl der Flüchtlinge nach Arnsberg gemeldet

Die 369 Städte und Gemeinden in NRW melden monatlich die bei ihnen registrierten ausländischen Flüchtlinge zur Bezirksregierung Arnsberg, zuständig für die Zuweisung laut Flüchtlingsaufnahmegesetz (nach Verteilschlüssel).

Zum Termin 27. Februar 2022 sind in Kleve 134, Goch 87, Kalkar 41, Bedburg-Hau 32, Kranenburg 30, Uedem 25, Weeze 0 ausländische Geflüchtete gemeldet, die nicht aus dem Kriegsland Ukraine stammen.