Kreis Kleve. Die Kommunen im Nordkreis Kleve registrieren einen noch nie dagewesenen Zuspruch zur Briefwahl. Erwächst daraus ein Demokratieproblem?

Die Kommunen im Kreis Kleve verzeichnen bereits jetzt eine Rekordbeteiligung bei der Briefwahl. Nahezu alle Kommunen melden, dass es mehr Anträge als bei der vorherigen Bundestagswahl gibt. So wurde in Kleve 2017 genau 7628 mal die Briefwahl beantragt. Jetzt, nur zwei Wochen nach der Versendung der Wahlbenachrichtigung, haben bereits 8216 Menschen einen Antrag gestellt.

Viele Bürger nehmen die Briefwahl in Anspruch

Auch Goch meldete eine Rekordbeteiligung. Hier registrierte die Stadtverwaltung bislang knapp 4800 Anträge auf Briefwahl. Vor vier Jahren waren es so viele über die gesamte Dauer der Briefwahlmöglichkeit. Auch in Kalkar, Bedburg-Hau, Kranenburg, Uedem und Weeze gibt es schon jetzt deutlich mehr Briefwahlanträge (siehe Info-Kasten).

Die Stadtverwaltung in Kleve geht davon aus, dass gut 14.000 Wähler nicht an die Wahlurne treten werden, sondern schon im Vorfeld ihr Kreuzchen gesetzt haben. In Kalkar werden dies auf jeden Fall mehr als 3000 sein und Bedburg-Hau rechnet mit bis zu 4000 Anträgen. Kranenburgs Bürgermeister Ferdi Böhmer geht von einem Drittel Briefwähler aus.

Mehr Briefwahlvorstände vorgesehen

Es werden deutlich mehr Briefwahlunterlagen verschickt.
Es werden deutlich mehr Briefwahlunterlagen verschickt. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Das veränderte Wahlverhalten hat auch Einfluss auf die Organisation der Bundestagswahl. So hat Kleve die Zahl der Briefwahlvorstände von 10 auf 15 erhöht. Auch in den anderen Kommunen wurden die Briefwahlvorstände aufgestockt. Uedem richtet drei zusätzliche Briefwahlvorstände ein.

Am Wahlabend selbst werden die Stimmzettel der Briefwähler meist an einem zentralen Ort ausgezählt. In Kleve ist das die Karl-Kisters-Realschule, in Bedburg-Hau, Kranenburg und Uedem das Rathaus, und in Weeze werden in der Grundschule die Wahlzettel gezählt.

Wird die Briefwahl zur Regel?

War die Briefwahl viele Jahre eher die Ausnahme, scheint sie jetzt tendenziell zur Regel zu werden. Die Briefwahl erscheint bequem und einfach. Und der Wähler kann sich zu Hause in Ruhe den Wahlzettel ansehen und sich über die Kandidaten informieren. Doch dies ist vom Gesetzgeber ursprünglich so nicht gedacht. Das Bundesverfassungsgericht schrieb am 15. Februar 1967 in einem Urteil zur Briefwahl: „Der Gesetzgeber hat die Briefwahl nicht unbeschränkt und unbedingt zugelassen, sondern nur in den Fällen gestattet, in denen der Stimmberechtigte glaubhaft macht, daß er sein Wahlrecht nicht durch persönliche Stimmabgabe ausüben kann. Auch muß der Stimmberechtigte die Initiative ergreifen, um sich die Briefwahlunterlagen zu beschaffen.“ Bei der Bundestagswahl 1961 hatten aber nur 5,9 Prozent der Wähler von der Briefwahl Gebrauch gemacht. 1981 urteilte das Bundesverfassungsgericht in ähnlicher Weise. Ebenso 2010 im Rahmen der Europawahl.

Wahlgrundsätze müssen beachtet werden

Hohe Nachfrage nach der Briefwahl

In den Kommunen des Kreises Kleve gibt es eine enorm hohe Nachfrage nach der Briefwahl. Hier ein Überblick:

Kleve registriert 8216 Briefwahlanträge. 2017 nutzten 7628 Menschen diese Möglichkeit. In Goch sind es 4800 Anträge 2017 waren es über die gesamte Wahlzeit so viele Anträge.

meldet 2709 Anträge (2017 = 2168), in Kranenburg sind es 1361 Anträge (1079), in Uedem 1512 (1270), in Kalkar 2613 (1950) und in Weeze 1513 (1223).

In Emmerich haben 5009 Wähler einen Antrag gestellt (5017) und in Rees 3985 (4310)

Nach Artikel 38 des Grundgesetzes müssen Bundestagsabgeordnete in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Ob eine Briefwahl zu Hause geheim und frei erfolgt ist, kann im Zweifelsfall nicht ermittelt werden. Das Bundesverfassungsgericht erläutert daher in einem Beschluss vom 9. Juli 2013, dass bei der Briefwahl die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe zurückgenommen ist. Auch die Integrität der Wahl sei nicht gleichermaßen gewährleistet wie bei der Urnenwahl im Wahllokal. Die Zulassung der Briefwahl diene aber dem Ziel, eine umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen.

In dem gleichen Beschluss weist das Gericht bereits darauf hin, dass der Gesetzgeber in den Blick genommen habe, dass eine deutliche Zunahme der Briefwähler in Konflikt mit dem Leitbild der Urnenwahl kommen könnte.

Die Briefwahl ist legitim

Landrätin Silke Gorißen.
Landrätin Silke Gorißen. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Ist dieser Zeitpunkt bei 50 Prozent Briefwahlbeteiligung gekommen? Kalkars Bürgermeisterin sieht keine Probleme: „Beim „geheim“ könnten Einschränkungen denkbar sein. Aber ich halte das für eher konstruiert.“ Bedburg-Haus Bürgermeister Stephan Reinders legt Wert darauf, dass bei der Stimmauszählung alles korrekt läuft und für Ferdinand Böhmer ist es wichtig, dass möglichst viele Wähler zur Wahl gehen. Das sieht auch Rainer Weber in Uedem so.

Landrätin Silke Gorißen: „Die Briefwahl ist eine legitime Möglichkeit, seine Stimme abzugeben. Seit eineinhalb Jahren verringern wir in der Corona-Pandemie den Kontakt zu anderen Menschen. Ich kann daher jede und jeden verstehen, der in der aktuellen Lage, lieber keinen Wahlraum aufsuchen möchte, sondern die Briefwahl nutzt. Der Gesetzgeber hat dies erkannt und die Bundeswahlordnung entsprechend der steigenden Zahl an Briefwählerstimmen angepasst. Einer Bundestagswahl nach den Grundsätzen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim steht - meiner Ansicht nach - nichts im Wege.“