Kleve. Klimaschutzmanager Christian Bomblat und Dezernent Jürgen Rauer erklären, was die neuen Klimaschutzziele konkret für Kleve bedeuten.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts formuliert die Politik in Berlin immer schärfere Klimaschutzziele: Bis 2030 sollen bereits 65 Prozent der Emissionen des Treibhausgases CO2 im Vergleich zum Basisjahr 1990 eingespart sein. Im Jahr 2045 soll unser Gesellschaftssystem bereits völlig klimaneutral wirtschaften. Das sind muntere Vorgaben. Aber was bedeuten diese eigentlich für unsere Lebenswirklichkeit? Die NRZ hat Kleves Klimaschutzmanager Christian Bomblat und den technischen Dezernenten Jürgen Rauer darum gebeten, diese abstrakten Zahlen einmal in konkrete Handlungsvorgaben für die kommunale Ebene zu gießen.

Enorme Kraftanstrengung

Nun, Christian Bomblat sieht riesige Veränderungen auf unseren Alltag zukommen: „Da bleibt kein Stein auf dem anderen“, sagt er und zeigt eine Tabelle. Daraus kann man entnehmen, dass jeder Einwohner in der Bundesrepublik rein rechnerisch im Jahr 2018 10.364 Kilogramm CO2 im Jahr ausgestoßen hat, 2020 seien es knapp 9000 Kilogramm gewesen. Im ersten Zieljahr 2030 dürften dies nur noch 5265 Kilogramm sein - also eine Halbierung innerhalb der nächsten neun Jahre. „Und bis zum Jahr 2045 müssen wir bei 729 Kilogramm CO2 pro Person landen“, sagt Bomblat. Nur noch weniger als ein Zehntel des bisherigen Kohlendioxids dürfen wir ausstoßen, um klimaneutral zu werden: „Das ist durchaus machbar, aber anspruchsvoll“, sagt Bomblat. Zumal auch die Bevölkerung voraussichtlich von knapp 83 auf 85 Millionen Menschen steigen wird.

Wie sollen wir diese Mammutaufgabe in Kleve in so kurzer Zeit überhaupt schaffen? Die Bundesvorgaben sind jetzt strenger als die 2019 formulierten Klimaschutzziele von Kleve. Für Bomblat und Rauer gibt es einen ganzen Strauß an Handlungsmöglichkeiten, die jetzt auch schnell angegangen werden sollten.

Energieerzeugung

Jürgen Rauer sieht vor allem in einem massiven Ausbau von Photovoltaikanlagen die größten Erfolgschancen für Kleve. Zurzeit gebe es 755 Anlagen in der Stadt, die gemeinsam etwa 15,96 Gigawattstunden Strom produzieren, je nachdem, wie viele Sonnenstunden es im Jahr gibt. Man muss diesen Anteil schnellstmöglich verdoppeln - auf 32 Gigawattstunden. Insgesamt tragen die lokal erzeugten erneuerbaren Energien (Wind, Sonne und Biomasse) in Kleve zu 22 Prozent am Strommix bei, dies muss in den kommenden neun Jahren auf 50 Prozent angehoben werden. Bei Windkraft und Biomasse sieht Rauer unter den heutigen Gesetzesvorgaben nur wenig Potenzial: „In Kleve haben wir kaum Möglichkeiten weitere Windräder aufzustellen, weil der Natur- und Artenschutz dem entgegensteht. Wir werden in dieser Frage wohl auch gesellschaftlich zu einer Neubewertung kommen müssen, wenn die Windkraft eine Chance bekommen soll“, sagt Rauer.

Sonnenenergie könne in Kleve hingegen problemlos noch viel stärker genutzt werden. So werde bereits geprüft, ob man große Sonnenparks auf dem ehemaligen Deponiegelände am Heidberg oder auf Baggerlöchern in Kellen errichten kann. Auch viele Einfamilienhäuser kann man mit Solarenergie nachrüsten und für die eigene Stromversorgung nutzen. „Setzen wir den Klever Klimaschutzfahrplan um, brauchen wir bis 2030 mehr als eine Verdopplung der nachhaltig erzeugten Energie“, verdeutlicht Bomblat. Denn der Stromverbrauch wird in den nächsten Jahren durch immer mehr Wärmepumpen deutlich steigen. Die Strommengen für die Elektromobilität sind da noch nicht einmal eingerechnet.

Problematisch sind noch Mehrfamilienhäuser. Mieter dürfen nicht so ohne weiteres PV-Anlagen nutzen – sie müssen sich mit dem Vermieter absprechen. Dabei seien Balkonsolaranlagen gut geeignet, einen kleinne Teil des eigenen Stromverbrauchs zu decken.

Verkehr

Eine eigene Solaranlage auf dem Dach kann auch eine Lösung für das Thema Elektromobilität sein: Man kann sein Auto zu Hause aufladen. „Eine Vollversorgung ist möglich“, sagt Bomblat. Der Ausbau der Photovoltaik zu Hause ist allerdings bei einem Aufbau intelligenter Netze noch effizienter. Das Aufladen und Entladen von Autos kann so sinnvoller im Viertel genutzt werden. Die Klever Stadtwerke arbeiten an diesem Thema (Berichterstattung morgen).

Der Ausbau der E-Mobilität wird sich relativ schnell vollziehen. Zum einen nehmen die Autobauer deutlich Fahrt auf und zum anderen wird der CO2-Preis spürbar angehoben – die CDU will ihn schon 2022 von 25 auf 45 Euro pro Tonne erhöhen. Dann wird sich dies auch an den Tankstellen niederschlagen. Die Investition ins E-Auto wird so eine Kostenüberlegung. In den ersten Monaten des Jahres 2021 waren 13 Prozent der Neuanmeldungen E-Fahrzeuge.

Das Verkehrsverhalten der Bürger wird sich überdies deutlich verändern müssen. „Es muss sich nicht jeder ein E-Auto leisten“, sagt Bomblat. Meistens stehe das Auto auch nur ungenutzt herum. Neue Modelle des Car-Sharings werden aufkommen und das Fahrrad (Pedelec/E-Bike) wird zu einer wichtigen Alternative. Hierfür muss der städtische Raum umgebaut werden: „Wir sind jetzt noch eine autofreundliche Stadt“, sagt Rauer. Künftig wird man mehr Wert auf Radstraßen legen müssen und auch die Vorgaben für den Besitz von Autos werden wohl strenger: Etwa die Verfügbarkeit von Autostellplätzen am Haus. „Dies alles geht einher mit einem gesellschaftlichen Umdenkungsprozess“, sagt Rauer, der weiß, dass in den nächsten Jahren sich vieles verändern muss - und wird.

Der Bus- und Bahnverkehr muss sich deutlich verbessern. Der Klever Kreistag hat jüngst als Ziel formuliert, dass sich die Busstrecken im Kreis verdoppeln müssen.

Haushalte

In Kleve ist der Bereich „private Haushalte“ für 40 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Um diese zu senken, müsse die Sanierungsquote vom Immobilien von knapp einem Prozent im Jahr mindestens verdoppelt werden, besser wären sogar drei Prozent. Wärmedämmung, neue Heiztechniken und innovative Baumaterialien werden hier zur Pflicht. Bomblat zeigt, dass ein Haus (100 Quadratmeter) aus den 70er Jahren zirka 2000 Liter Öl oder 20.000 Kilowattstunden Gas verbraucht. Das sind 5840 bzw. 4040 Kilogramm CO2 im Jahr. Ein neues Passivhaus würde nur 1.500 kWh Energie verbrauchen, also nur 7,5 Prozent. „Daher lohnt es sich auf jeden Fall ein Haus aus den 70er Jahren zu sanieren. Am besten lässt man sich von einer Energieberaterin beraten, die wissen auch, was gefördert wird. Wer ein altes Haus hat und mit den Emissionen runter möchte, muss sanieren“, so Bomblat.

Persönliches Verhalten

Auch das persönliche Einkaufsverhalten kann viel zur CO2-Reduzierung beitragen. „Es ist wichtig, eine regionale Eigenversorgung auf die Beine zu stellen“, sagt Bomblat. Regional einkaufen spart enorme Transportwege. Gleiches gelte für die Produktion von Kleidungsstücken, die jetzt noch zum Billigstpreis in Asien hergestellt werden. Auch an dieser Stelle ließen sich viele Ressourcen einsparen, so Jürgen Rauer.