Kalkar / Berlin. Der preisgekrönte Autor Christoph Peters schildert im „Dorfroman“ Kindheit, Jugend, Umbrüche. Darüber redet er am 1. November im Fernsehen.
„Schwarzweiß. Alles, was wichtig ist, ist schwarzweiß. Es ist auf unangenehm riechendes Zeitungspapier gedruckt“ oder flimmert über gewölbte Fernsehbildschirme – so sieht es der Achtjährige und reflektiert eine Welt, die am Niederrhein so idyllisch-ruhig ist, in Vietnam und Afrika so dramatisch. Und dann bricht die große Politik im Dorf ein. Ein Atomkraftwerk wird gebaut. Christoph Peters erzählt im „Dorfroman“ seine Jugend in Kalkar-Hönnepel. „Ich habe das Geschehen nicht verfremdet, nur verformt“, sagt Peters im Gespräch mit der NRZ.
Der Autor aus Kalkar, der in Berlin lebt, berichtet davon auch im Fernsehen: Das Erste am Sonntag, 1. November, um 23.35 Uhr im Literaturmagazin „Druckfrisch“ im Interview mit Denis Scheck. Dazu nutzt er die Kulisse des alten Freundschaftshauses der Anti-Atomkraft-Gegner, was nichts anderes war als der Melkstall des Bauern Maas, der sich mit den protestierenden Studenten solidarisierte und über den das Dorf zerriss: „zwei Hälften, zwischen denen es kein gutes Wort mehr gibt“.
In 2006 hatte der in der Frankfurter allgemeine Sonntagszeitung schon einmal über seine Jugend berichtet und ihm wurde geraten: Das ist eigentlich ein Romanstoff. „Ich wollte nicht über politische Prozesse schreiben“, sagt Peters der NRZ. Er hatte sich bis dahin eher mit Büchern über japanische Teezeremonie oder romanhaft brutale Yakuza-Gangster einen Namen gemacht. Über seine Jugend unter anderem auf dem Collegium Augustinianum Gaesdonck schrieb er im Roman „Stadt, Land, Fluss“, aber darin sparte er die Internatsjahre und die Erlebnisse am Schnellen Brüter aus.
Darin geht es um den Kontrast zwischen ländlichem und großstädtischem Leben und im „Land“-Teil um die Folgen des Strukturwandels in der Landwirtschaft für die Dörfer. Das Internat Augustinianum Gaesdonck, in dem der Autor seine Jugend erlebte, bildet in dem Roman „Wir in Kahlenbeck“ den Hauptschauplatz.
Nun ist es Inhalt. „Ich habe sehr lange das historische Material zusammen gesucht“, verrät er. Zum Glück hatte seine Mutter neben seinen Hausaufgaben der Grundschulzeit auch die 30 Jahre alte Zeitungsausschnitte aufgehoben, die in Schwarz-Weiß die gesellschaftspolitischen Veränderung des Dorfes und des Landes belegen.
Welche Rolle die Kirche dabei spielte
Das Dorf Hönnepel heißt da Hülkendonck. Die Bevölkerung ist bäuerlich-archaisch, katholisch und wählt CDU. Der Roman nutzt drei Erzählebenen: die Sicht des Achtjährigen in den 60er Jahren, dessen Wahrnehmung durch die konservativen Eltern und Verwandten geprägt wird: „Wenn die sagen, dass der Strom gebraucht wird, dann wird es schon stimmen“. Peters wählt eine „kindliche Tonlage, von der Sprache her ein bisschen klugscheißerisch“, beschreibt er. Der Junge erlebt, wie der aufmüpfige Kirchenvorstand mit dem Bauern Maas (im Roman haben die echten Protagonisten alle ein Pseudonym) vom Bischof abgesetzt, ein neuer Kirchenvorstand mit seinem Vater darin eingesetzt wird, um das Gelände für den Bau eines Schnellen Brutreaktors verkaufen zu können.
Auf 411 Seiten in den 70er Jahren mitleben
Der Leser kann sich im „Dorfroman“ hinein fallen lassen und auf 411 Seiten mitleben, zunächst in den detailreich lebendigen 70er Jahren. Christoph Peters beschreibt die „idyllische Weltfremdheit“ mit „all den ungeschriebenen Gesetzen, Nachbarschaftsregeln und katholischen Ritualverpflichtungen“.
Auf ihn als Siebenjährigen – im Buch achtjährig – wirkt erst nur im Fernsehen die ferne Jugendbewegung der Städte bedrohlich. Atomkraft ist Zukunft, „Angst ist Quatsch“.
„Mein Vater glaubte außer an Gott an den Fortschritt und das Menschenmögliche. Er hatte sich von namhaften Professoren informieren lassen“. Dann 1974 ziehen sie plötzlich zu Tausenden in der „Stopp-Kalkar!“-Demonstration direkt an seinem Haus vorbei. „Das war der Einbruch des Kommunismus, der RAF für mich“, schildert Peters heute. „Mein Vater sprach jetzt ständig mit Leuten von der Zeitung, mit Radio- und Fernsehreportern, und erklärte, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei, und warum wir Kernkraft bräuchten. Ich war stolz auf ihn.“
Im Buch und im echten Leben lässt sich später der Jugendliche dann auch die Haare wachsen, lernt Zigaretten zu drehen, emanzipiert sich. „Wenn meine Eltern sich über die Kirchenvorstandswahlen, die Baader-Meinhof-Bande, den Bundeskanzler oder die Ölkrise unterhalten, tue ich so, als würde ich das Fernsehprogramm studieren oder wäre in ein Buch vertieft, damit sie nicht merken, dass ich zuhöre.“
Die Liebe gehört im Roman dazu
Tierforscher Sielmann und Grzimek beeindrucken ihn auch mit ihrem Kampf gegen Hühner-Legebatterien, für Renaturierung. Der Jugendliche zieht ins linke Spektrum: Rheinbrückenbesetzung 1981, die niedergeknüppelt wird.
Zur Jugend und zum Roman gehört die Liebe. Juliane aus der Clique der Anti-AKW-Leute. Sie ist reine Fiktion, denn Christoph Peters war als 16-Jähriger Schüler auf der Gaesdonck (wie im Roman „Stadt Land Fluss“ zu lesen) und hatte eine andere Sozialisation.
Im dritten Erzählstrang reflektiert der Erwachsene. „Es ist fast nichts mehr so wie zu der Zeit, als ich hier gelebt habe“, sieht der Großstädter beim Besuch bei seinen Eltern. Sie sind nun Mitte 80 Jahre, haben den Blick auf das Kernwasser Wunderland, das ein Niederländer aus der Atomkraftwerk-Ruine gemacht hat. Passage aus dem Buch – Sohn: „Ist doch trotzdem besser, als wenn ihr jetzt ein Atomkraftwerk vor der Nase hättet.“ „Ja hast du recht“, sagt mein Vater. „Heute sieht man das so. Damals hat man sich darüber nicht groß Gedanken gemacht.“
Die Kunststiftung NRW und der Deutsche Literaturfond haben Christoph Peters’ Arbeit mit einem Stipendium gefördert.
„Dorfroman“ ist im Luchterhand Literaturverlag erschienen und kostet 22 Euro.