Goch. Johanna „Hanni“ Schreiber kann ihren 100. Geburtstag aus Platzgründen nur in kleinem Rahmen feiern, dafür aber mit Sekt und Eierlikör.

Als kürzlich Pavillons mitten auf der Straße aufgebaut waren, lag das nicht etwa daran, dass Bauarbeiter sich Regenschutz geschaffen hätten. Die Pavillons dienten der Nachbarschaft des Hunsberg dazu, nach getaner Arbeit noch in geselliger Runde ein Bierchen zu trinken. Die Männer und Frauen hatten die Tür zur Nummer 46 gekränzt – mit roten (Papier-)Rosen, die die Jubilarin am liebsten hat. Der Anlass: Johanna „Hanni“ Schreiber wird 100 Jahre alt. Und in ihrem Reihenhaus ist nicht genügend Platz, für all die Leute. Schon gar nicht in Corona-Zeiten. Ein wenig gefeiert wird natürlich trotzdem, und darauf freut sich Hanni Schreiber schon sehr. Zumal es Sekt mit Eierlikör geben wird, eine Leckerei für besondere Anlässe.

Sekt trinken stand in ihrer Jugend nicht zur Debatte. Geboren als Jüngstes von 13 Kindern lernte sie Bescheidenheit. „Acht Jahre Volksschule, danach war ich bei der XOX in Kleve und habe Biscuits eingepackt“, erzählt sie. Was sie als Kind gespielt hat, weiß sie nicht mehr, nur, dass sie ihre geliebte Puppe Karin bis heute besitzt. „Karin“ mit dem Zelluloid-Gesicht und im von ihrer Besitzerin gehäkelten Kleid hat die Zeit fast spurlos überstanden. Fast könnte man sagen: wie Hanni selbst, denn diese Frau sieht nicht aus wie 100.

„Sie war immer gerne schick“, weiß Nichte Helga Hendricks, die ebenfalls in Goch wohnt und ihre hochbetagte Tante häufig besucht. Eine schicke Halskette und Ohrringe trägt die Jubilarin, dazu einen feschen Pulli. Für den Geburtstag wurde ein neues Ensemble gekauft: Hose, Shirt und Jacke. Die Frisur sitzt an diesem wie an jedem Tag, denn die Gocherin geht an jedem Freitag zum Friseur. Ihr Sohn Josef Stegemann weiß davon ein Lied zu singen: „Freitag ist immer besonders viel Programm: Friseur, Friedhof, Einkaufen.“

Als Josef Stegemann, der in Düsseldorf gelebt und gearbeitet hatte, in Rente ging, zog er zu seiner verwitweten Mutter und versorgt sie. Wobei „Hanni“ noch recht gut mitmachen kann bei den täglichen Dingen: Gerne schält sie ab und zu noch mit Josef Kartoffeln, auch die Blumen im Garten erleben noch ihre zupfende Hand. „Am liebsten sitze ich aber im Wintergarten mit den Beinen hoch und, wenn es heiß ist , mit dem Ventilator vor mir“, erzählt sie. Ein Rollator erleichtert ihr das Gehen.

Sie hat eigentlich immer gearbeitet

Hanni Schreiber hat immer gearbeitet. Nach ihrer Heirat mit 24 Jahren hatte sie ihr einziges Kind zu versorgen, der erste Ehemann fiel im Krieg. Das Geld war knapp, auch später noch, denn ihr zweiter Ehemann war kriegsversehrt und viel krank. Ihr Zuverdienst in verschiedenen Gocher Fabriken war nötig.

Die kleine Familie zog 1952 von Pfalzdorf nach Goch zum Hunsberg, anfangs war die erste Etage noch vermietet. „Mein Mann und ich arbeiteten in unterschiedlichen Schichten, so dass wir das Kind betreuen konnten. Und wenn dann mal ein, zwei Stunden zu überbrücken waren, passte die ,Oma’ von oben auf“, erzählt die alte Dame.

Lange Jahre freute sich Hanni Schreiber an Urlauben in Österreich oder auf Mallorca. „Wir haben das Leben so genommen, wie es der Geldbeutel zuließ“, sagt sie ohne Wehmut. Das Reisen hat sie inzwischen aufgegeben, aber beim „Urlaub ohne Kofferpacken“ oder den Seniorentreffen im Michaelsheim war sie noch lange dabei…

Erinnerung an alte Gocher Unternehmen

Hannis Vater arbeitete „auf der Margarine“ und später als Angestelter im „Amt Pfalzdorf“.

Die Jüngste der Familie ging zu XOX, später zu einem Vorläufer-Unternehmen von Nährengel und danach zu den Garnveredlungswerken. Auch ohne regelrechte Ausbildung durfte sie sich „Meisterin“ nennen.