Kleve-Wardhausen. Wardhausen ist nicht Mordor, aber fast. Eine Gruppe Erwachsener taucht regelmäßig in lebende Geschichten ab. Ausrüstung wird extra „verranzt“.

Die Sonne brennt. Der Ritter steht im Kettenhemd im eigenen Saft. Gil Lieveld scheppert über die staubtrockene Wiese in Kleve-Wardhausen. 53 Kilo Stahlgepäck stehen ihm wie angegossen. Sind sie auch: Handgeschneidert, gebogen, gehämmert. Hier trifft sich die Szene derer, die offen dazu stehen, Kind geblieben zu sein.

Gil hat seinen Sohn Giraiya schon mit diesem Hobby auf die Welt kommen sehen: Dessen Name stammt aus der Samuraj-Sagenwelt. Die anderen 26 Frauen und Männer an der Klever Streuobstwiese entspringen aber eher Tolkiens Mittelerde, präziser „Mitraspera“, einer das ganze Jahr währenden Geschichte, zu der sich „Elben“ aus Herr der Ringe, und Adelige aus „Game of Thrones“ zusammen finden. Am liebsten natürlich live. Weil ihre jährlichen 30.000-köpfigen Spiele (ConQuest of Mythodea vor dem Drachenfels in Niedersachsen) wegen Corona abgesagt sind, trafen sich die besten Freunde fantastischer Welten eben im Kreis Kleve.

Böse gucken ist wichtig, damit es Punkte gibt: Auch für Neuling Tanja Kohlmanns zählt die Show
Böse gucken ist wichtig, damit es Punkte gibt: Auch für Neuling Tanja Kohlmanns zählt die Show © Astrid Hoyer-Holderberg

Sie reisten aus Frankfurt und Hamburg an, aus dem niederländischen Zuidermeer und dem Kreis Kleve selbst. Auch wenn Wardhausen nicht Mordor ist, kann man hier die Keule schwingen.

Was sich liebt, das schlägt sich hier

Um einen stabilen Fiberglasstab formt sich das schwarz lackierte Schaumstoffmaterial. Immerhin fünf Kilo schwer. Hieb an die Schulter, vor den Bauch. „Habe dich aus Versehen getitscht“, entschuldigt sich Tanja Kohlmanns. Ihr Lebenspartner Lukas Schramm aus Köln nimmt’s wie ein Mann. Was sich liebt, das schlägt sich hier. Er lernt seine Freundin in diesem Sport gerade an, sie ist zum ersten Mal beim Kampftraining und will schon nächstes Jahr mit aufs Feld. Die ganze Clique der Tolkien-Jünger hat sie gleich freundlich aufgenommen. „Vielleicht, weil er so cool ist“, strahlt sie ihren Kämpfer an. Der baut gerade einen Dreiecksschild für sie aus Pappe und einer alten Yogamatte.

Normalerweise habe ich Knochen und Federn im Haar

Eine Knochenhand und Vogelgerippe zieren den Schild von Sabine Verhoeven, die sich eine Noyl nennt: not on your life. „Ich bin eine Untote. Normalerweise habe ich Knochen und Federn im Haar, damit es fies aussieht“, sagt die Frau, die in Wardhausen aufwuchs und jetzt in Zyfflich lebt und dort zur Zyfflicher Kirmes den Kindern auch schon Orks, Goblins und Piraten bescherte. Erst als Erwachsene hat sie mit dem Fantasy-Hobby angefangen.

Keiner der Live-Action-Rollenspieler (Larp – Live Action Role Play) will lächeln. Im Schattenheer ist Kampfgeist angesagt. Wobei alle richtig Spaß haben. Es gibt auch reichlich Charaktere, die nichts mit Waffengewalt zu tun haben, „aber wir sind die Bösewichter“, erklärt Peter Crins, auf dessen Grund und Boden das Gemetzel stattfindet.

Schlag zu! Ein Hieb mit fünf Kilo Keule ist nicht ohne, aber Lukas Schramm erträgt es.
Schlag zu! Ein Hieb mit fünf Kilo Keule ist nicht ohne, aber Lukas Schramm erträgt es. © Astrid Hoyer-Holderberg

Es kommt nicht auf Sieg oder Niederlage an, sie sind eh alle tot und Untote. „Lieber ‘ne geile Theaterszene und ich krieg’ nen Treffer ab. Das gibt mehr Punkte“, erklärt Gil Lieveld. „Ziel ist die imposante Show“, ergänzt Peter Crins. Es liegt am Outfit, wie viele Schläge er einstecken darf. Mit Schuppenrock aus Aluminium und martialischer Rüstung steckt er 30 bis 35 Treffer weg, jemand ohne Rüstung im bodenlangen Hemd ist nach drei Treffern erledigt.

Nach dem Prügeln Mensch sein

Peter Crins kann auf die Hilfe seiner Frau und seiner Mutter zählen, um die Rüstung zu gestalten beziehungsweise extra zu verunstalten, mit Rotwein und Schweißbrenner rostig machen. „Jahr um Jahr wird es mehr verranzt und geschreddert, damit es älter aussieht“, erklärt Sabine Verhoeven.

Peter Crins lud die Freunde der Schattenwelten ein,  
Peter Crins lud die Freunde der Schattenwelten ein,   © Astrid Hoyer-Holderberg

Die Gruppe in Wardhausen zählt auch bei den Conquestes nicht zu festen Völkern, die 24 Stunden am Tag in ihren Rollen bleiben müssen und das vier Tage lang. Diese Clique hier will extra Statist bleiben. Nicht, weil dann das Eintrittsgeld zu den Events billiger ist als für „hauptamtliche“ Kämpfer, sondern weil sie ihren Einsatz prügeln und dann hinter der Zeltplane verschwinden und wieder Mensch sein dürfen.

Das dürfen sie in Wardhausen auch ganz schnell. Nach zwei Stunden Kampftraining in sengender Hitze ist es auch dem seit 22 Jahren erfahrenen Peter Crins genug: „Ich weiß, wann ich aufhören muss“, sagt er, legt 47 Kilo Schutz inklusive stählerner Beinschienen ab und steigt zu den Freunden in den runden aufblasbaren Pool.