Goch-Kessel. Ein Rundgang durch Kessel führt zu den Wurzeln des Dorfes und seiner Geschichte, verschweigt aber auch nicht die aktuellen Probleme der Menschen.
Es ist ein stolzes Gesicht, das Bernd Thönnesen (63) aufzieht, wenn er auf die renaturierte, sich durch die Natur windende Niers blickt. Es kreucht und fleucht am bunten Biotop. „Hier könnte ich stundenlang stehen“, sagt er. Ein Satz, den der Vorsitzende des Heimat- und Verkehrsvereins immer wieder bemüht, wenn er Auswärtigen Kessel vorstellt. Jener Ort, der sich seit knapp 60 Jahren Spargel- und seit 2006 Golddorf nennt. Das Dorf, das für Thönnesen vor allem eines ist: Heimat. „Ich bin einer der wenigen, die tatsächlich noch in Kessel geboren worden sind. Ich bin Kesseler durch und durch“, sagt der 63-Jährige.
Wenn also einer der richtige Ansprechpartner für einen Dorfrundgang in Kessel ist, dann der Christdemokrat Thönnesen. Was die Dorfgemeinschaft auch bewegt – der Diplom-Wirtschaftsingenieur hat ein offenes Ohr für die kleinen und großen Belange der Kesseler. Und er hat Mitstreiter. 180 um genau zu sein. Die Mitglieder des Heimatvereins sind Aktivposten im Dorf. Zwei von ihnen sind Rainer Brökelschen (80) und Andreas Wagener (48). Sie begleiten die Radtour durch das 2129 Einwohner zählende Dorf. „Früher kannte ich alle Kesseler, heute noch etwa die Hälfte. Aber fast alle hat man schon mal gesehen“, sagt Thönnesen.
Der Reichswald liegt der Dorfgemeinschaft am Herzen
Doch bevor es losgeht, ist dem Trio eine Anmerkung wichtig. Nämlich die, dass der Rundgang eigentlich zu früh kommt. Gerade entstünde nämlich in Kessel ein historischer Weg, der gleich mehrere Routen für Spaziergänger und Radfahrer vorgebe. Am 13. September will der Verkehrs- und Heimatverein die Route mitsamt seiner Info-Tafeln eröffnen.
Thönnesen, der auch im Ortsvorstand der CDU Kessel mitwirkt, wohnt auf dem Königshof Ketele, ab dem 13. Jahrhundert Hof Overbruch genannt. Erstmals wurde das Anwesen im Jahre 1057 auf einer Urkunde des Kaisers Heinrich IV. erwähnt. „Damit handelt es sich hier um den ältesten Hof des Dorfes“, sagt er. Der Begriff Ketele leitet sich vom Ketelwald ab, dem heutigen Reichswald. Wer sich von Kleve aus dem Dorf nähert, kommt durch das größte zusammenhängende Waldgebiet des Niederrheins. Es liegt der Dorfgemeinschaft am Herzen. Planungen, die den Reichswald in seinem Bestand gefährden, bringen die Kesseler auf die Straße.
Junge Familien ziehen nach Kessel
So geschehen im Jahr 2017. Hunderte protestierten damals gegen Windräder im Forst, Bernd Thönnesen leitete gar eine Bürgerbefragung in die Wege. Das Ergebnis war eindeutig: 96 Prozent der Kesseler Bürger lehnten den Ausbau vor ihrer Haustür ab. Der Widerstand hatte Erfolg, die Pläne sind mittlerweile vom Tisch. „Wir sind auf keinen Fall gegen erneuerbare Energien. Aber dafür darf nicht der Wald verschwinden“, sagt Wagener, der durch die Anti-Windkraft-Proteste zum Heimatverein gestoßen ist. Er lebt erst seit wenigen Jahren in Kessel, will aber mit seiner jungen Familie lange bleiben. Ohnehin seien in den vergangenen Jahren junge Familien gen Kessel gezogen – der Neubaugebiete sei Dank.
Ein Streifzug durchs Dorf dürfe ihm zufolge nicht ohne ein Halt an der St. Stephanuskirche stattfinden. Das Ende des 19. Jahrhunderts fertiggestellte Gotteshaus liegt, ungewöhnlicherweise, nicht im Ortskern, sondern abseits der großen Straßen nahe der Niers. „Wir würden uns wünschen, dass hier noch ein bisschen mehr los wäre“, sagt Thönnesen. Immerhin gebe es an der Pfarrkirche genügend zu erleben. In der Kirche ist ein romanischer Taufstein aus dem 13. Jahrhundert zu besichtigen, auf dem Kaiser-Otto-Platz steht ein steinernes Schachfeld, der Lavendel blüht prächtig. Für Farben sorgten auch die Kinder des Kindergartens, die eine Kette von bemalten Steinchen rund um die Kirche angelegt haben.
Die Mühle ist das eigentliche Wahrzeichen
Das eigentliche Wahrzeichen Kessels sei ihm die Mühle am Ortseingang – abgesehen von den Besucher-Magneten „GochNess“ und Viller Mühle natürlich. Jahrzehntelang wurde die Mühle als Sägewerk genutzt, später diente sie als Jugendtreff, mittlerweile befinden sich Büro-Räume in den historischen Gemäuern. Gegenüber steht der alte Mühlenhof der Familie Willemsen. „Die Mühle ist eine Sehenswürdigkeit, die zu Unrecht im Schatten steht“, sagt Thönnesen.
Auf dem Weg zum Ortskern schlägt das Trio einen Abstecher über die Feldwege vor. Immerhin sei auch die Landwirtschaft identitätsstiftend. Nicht ohne Grund nennt sich das Dorf seit den 1960er-Jahren Spargeldorf. Von diesem Erbe ist nur noch wenig übrig geblieben. „Früher gab es 35 Spargelbauern. Auch wenn sie damals nicht alle im landwirtschaftlichen Stil angebaut haben, ist die Entwicklung schon bemerkenswert. Heute gibt es nur noch einen Hof“, sagt Thönnesen. Kerstin und Johannes Ophey bauen Spargel in rauen Mengen an – und führen ihr eigenes Restaurant. Allzu viel kulinarische Konkurrenz gibt’s in Kessel allerdings nicht mehr.
Nur noch eine Gastwirtschaft
Am sogenannten Vier-Gaststätten-Eck an der Kranenburger Straße ist es übersichtlich geworden. Früher konkurrierten das Spargelhaus Stoffelen sowie die Gaststätten Spronk, Willemsen-Kuypers und Gossens um Kundschaft. Heute bietet nur noch Stoffelen ganzjährig niederrheinische Küche an. „Die Gasthaus-Landschaft hat sich stark verändert. Früher hatten wir mal acht Kneipen in Kessel und Grunewald, heute ist die Auswahl klein“, sagt Thönnesen. Ohnehin steht es um die Nahversorgung in Kessel schlecht. Einen Supermarkt gibt es nicht, 2017 schloss die letzte Bank-Filiale. Die Volksbank versorgt ihre Kunden mit einem Geldautomaten. „Es bleibt unser Traum, hier einen Supermarkt anzusiedeln“, sagt Thönnesen. Bis dahin wird allerdings noch viel Wasser die Niers heruntergeflossen sein.