Nimwegen. Johan Vollenbroek aus Nimwegen kämpft dafür, dass Umweltgesetze endlich eingehalten werden. Landwirte und Autofahrer laufen Sturm. Ein Besuch.
Auf dem Fußboden vor dem Kamin liegen die aktuellen Tageszeitungen. Natürlich geht es auch heute wieder um wütende Bauern, aufgebrachte Autofahrer, hilflos wirkende Politiker. Johan Vollenbroek (71) wird die Presse gleich noch studieren. Seit Wochen und Monaten ist der Umweltaktivist aus Nimwegen Thema Nummer eins in der niederländischen Öffentlichkeit.
Sein beharrliches Pochen auf Recht und Gesetz haben die Niederlande auf den Kopf gestellt: Auf den Autobahnen gilt seit März nur noch Tempo 100, die Bauwirtschaft darf nur noch unter strengen Auflagen Häuser errichten, Straßen erweitern und Gewerbegebiete in Angriff nehmen und die Landwirte müssen effektiv ihre Wirtschaftsweisen ändern: weniger Vieh im Stall, weniger Gülle auf die Felder, mehr Umweltschutz auf dem Land. Johan Vollenbroek ist nicht gerade der Liebling der Nation.
Denn der Schlamassel wurde durch seine Prozesse aufgedeckt. Bis zum Europäischen Gerichtshof hat er sich geklagt und er erhielt dort von den höchsten Richtern Zustimmung. Johan Vollenbroek hat bemängelt, dass die europäischen Naturschutzgebiete, die so genannten Natura 2000-Gebiete (von denen es auch am Niederrhein einige gibt), nicht ausreichend geschützt werden. Seit 1992 gibt es diese besonderen Habitate, in denen landestypische Pflanzen wachsen sowie heimische Insekten und Tierarten leben. Aufgrund ihres bedrohten Status’ stehen sie unter dem besondern Schutz der EU.
Johan Vollenbroek ist kein verbissener Kämpfer
Durch die Intensivierung der Landwirtschaft, durch den zunehmenden Verkehr und die ausufernde Bauwirtschaft stehen diese Gebiete allerdings unter einem enormen Druck. Vor allem der Ausstoß von Stickstoff sorgt dafür, dass die zu schützenden Pflanzen und Insekten keine Lebensgrundlage mehr haben. Dagegen hat sich Johan Vollenbroek juristisch gewehrt. Und das ziemlich erfolgreich.
Er sitzt entspannt auf seinem Sofa, trägt Wollsocken und Birkenstocksandalen. Der Vorgarten seines kleinen Reihenhäuschens in Nimwegen ist – freundlich ausgedrückt – „naturbelassen“ und im Flur steht sein liebstes Spielzeug: Ein vollverkleidetes Liegedreirad, mit dem er Pfeilschnell durch die Nimweger Straßen zischt.
Johan Vollenbroek ist kein verbissener Kämpfer, aber ein Mensch mit einem ausgesprochenen Gerechtigkeitsempfinden. Um das Klima und die Natur zu retten, muss sich endlich etwas ändern. Die Gesetze sind zum Teil bereits da – sie müssen nur angewendet werden. Und genau das möchte Vollenbroek mit seiner Organisation „Mobilisation for the Environment“ (Mob) durchsetzen.
EU-Gericht fordert Veränderungen in den Niederlanden
Bereits am 7. November 2018 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die bisherigen Mechanismen zum Schutz der Natura-2000-Gebiete in den Niederlanden nicht ausreichend sind. Das Gericht trug dem niederländischen Staat auf, Abhilfe zu schaffen und sicherzustellen, dass der Naturschutz bzw. die europäische Habitatrichtlinie effektiv eingehalten wird. Der Auftrag landete dann beim höchsten niederländischen Verwaltungsgericht, dem Raad van State, der die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen hatte.
Und die Haager Richter haben ihren Auftrag ernst genommen. Beginn 2019 brach ein Sturm der Entrüstung los: Die Niederlande mussten auf drastische Weise ihre Stickstoffemissionen unterbinden. Vorübergehend gab es einen Bau- und Planungsstopp für 18.000 Bauprojekte.
Um die strengen Auflagen irgendwie erfüllen zu können, setzte die Regierung eine Kommission unter dem altgedienten Politiker Johan Remkes ein, der in einem ersten Schritt dazu riet, die Geschwindigkeiten auf Autobahnen auf 100 km/h zu reduzieren und auch in der Landwirtschaft strikte Maßnahmen einzuführen: Bauernhöfe aufkaufen und den Viehbestand zu senken, um folglich weniger Gülle ausbringen zu müssen. In seinem Abschlussbericht riet Remkes im Juni 2020 dazu, eine Halbierung des Stickstoff- und Ammoniakausstoßes bis zum Jahr 2030 gesetzlich festzulegen.
Niederländische Landwirte werden radikaler
Der 71-jährige Vollenbroek ist mit der Entwicklung zufrieden. Endlich werden politische Beschlüsse gefasst, die für ihn in die richtige Richtung weisen. Gleichwohl: Der Protest wird schärfer. Seit Wochen laufen die Landwirte in Den Haag Sturm, sie demonstrieren vor Ministerien, vor Distributionszentren großer Supermarktketten und auf den Autobahnen. Vor allem die Gruppe „Farmers Defence Force“ zeigt sich zunehmend radikaler. Anfang Juli wollten gut 100 wütende Bauern sogar vor dem kleinen Reihenhäuschen von Vollenbroek demonstrieren, die Polizei konnte die Einfahrt in die Stadt unterbinden.
Mittlerweile wurde der Traktor als Demonstrationsmittel verboten. Landwirte, die für ihre Rechte kämpfen wollen, müssen dies ohne Landmaschinen tun. Sie würden sonst „als Waffe“ eingesetzt und eine bedrohliche Atmosphäre schaffen, heißt es zur Begründung.
Aber Vollenbroek geht den Gesprächen nicht aus dem Weg. Auch wenn die Anfeindungen gegen seine Person mitunter derb ausfallen, fühlt er sich nicht bedroht. Er unterhielt sich jüngst mit den Landwirten vor den Toren der Stadt und will auch weiterhin mit ihnen im Gespräch bleiben. Vollenbroek ist kein Unmensch.
Die Stimmung in den Niederlanden ist angespannt
Die Stimmung in der Gesellschaft ist angespannt. Denn neben den Landwirten protestiert auch die Bauwirtschaft. Nach Meinung von Bauexperten müssten eigentlich über 330.000 Wohneinheiten jährlich geschaffen werden, um das derzeitige Defizit auf dem Wohnungsmarkt zu beheben. Daher kommt die Regierung nun vor allem mit Vorschlägen, die die Landwirte umsetzen sollen.
Ministerin Carola Schouten möchte, dass die Bauern ihren Tieren weniger eiweißhaltiges Futter geben, damit diese weniger Stickstoff ausscheiden. Mit dieser Maßnahme könnte man die Errichtung von 75.000 Häuser und die Verbreiterung von sieben Autobahnen genehmigen, so Schouten. Die Landwirte wollen das nicht hinnehmen: Sie fühlen sich gegängelt, sie seien der Sündenbock der Nation.
Welche Folgen hat die Stickstoffpolitik für Schiphol?
Die Veränderungen in der Stickstoffpolitik werden auch den Flughafen Schiphol treffen. Johan Vollenbroek prozessiert aktuell gegen den Großflughafen in Amsterdam. Er geht davon aus, dass knapp 100.000 Flugbewegungen derzeit illegal erfolgen, da es für diese keine ausreichende Umweltgenehmigung gebe.
In Schiphol wurden 2018 499.444 Flugbewegungen gezählt. Auf Grundlage der Genehmigung dürften es aber nur 400.000 sein, so der Umweltaktivist.
Ein weiteres Wachstum für den Flughafen Schiphol hält Vollenbroek für ausgeschlossen. Dies sei mit den angestrebten Stickstoffreduzierungen nicht mehr vereinbar.
Die Regierungskommission Remkes errechnete, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen von 130 auf 100 km/h den Stickstoffausstoß im Verkehrssektor um 14 Prozent senkt.
Johan Vollenbroek kann die Proteste verstehen, denn er weiß, dass es um Existenzen geht. Dennoch pocht er weiter auf die Rechte des Naturschutzes. Jüngst bekam er in einem weiteren Verfahren erneut Recht zugesprochen: 3500 Bauernhöfe wurden zwischen 2015 und 2019 erweitert, obwohl sie auf einer fehlerhaften Stickstoffgenehmigung beruhten. Die Landwirtschaftsministerin will die bereits erteilten Genehmigungen beibehalten und anderweitig Stickstoff einsparen. Wo genau, das ist noch unklar.
Viehbestand deutlich reduzieren
Der Umweltaktivist aus Nimwegen geht davon aus, dass der Viehbestand in den Niederlanden in den nächsten Jahren halbiert werden muss, um den Vorgaben zu genügen. Doch vor dem Hintergrund der Klimakrise wird vielen langsam auch bewusst: Das System der Lebensmittelherstellung muss insgesamt radikal verändert werden: Heimische Kreislaufwirtschaft statt Soja-Importe und üppige Fleischexporte, die Böden müssen geschützt werden und moderne Techniken müssen zum Einsatz kommen, um Düngemittel und Pestizide besser zu steuern.
Die Klagen von Johan Vollenbroek haben die Niederlande durchgerüttelt. Ein Ende der Misere sieht er persönlich noch nicht: Die Regierung agiere noch zu zaghaft und treffe keine mutigen Beschlüsse.