Kleve. Andreas von Bubnoff von der Hochschule Rhein-Waal sammelt weltweit Klänge der Stille. Die Corona-Pandemie hat ihren eigenen Sound.
Kaum Stimmen. Ein paar Lautsprecheransagen im Hintergrund. Keine Schritte. Fast leer ist die Grand Central Station in New York. Man hört: ein Rauschen, vielleicht von irgendwelchen Maschinen. Oder Brooklyn, vier Uhr morgens. Vögel rufen, unglaublich viele Vögel, und weiter hinten sind dauernd Alarmsirenen von Krankenwagen. Oder eine Hauptstraße in Tunesien: Rufe von einer Moschee, darüber das Dröhnen eines Militärhubschraubers, der die Ausgangssperre überwacht.
Wie klingt die Stille? „Die Idee hatte ich schon vor ein paar Jahren“, erzählt Andreas von Bubnoff. Er ist Professor an der Hochschule Rhein-Waal und hat sich das „Pandemic Silence Project“ ausgedacht. Klänge sammeln im Lockdown und in der Zeit der Öffnung. Für ein Medienprojekt hatte er die Spektren von Naturgeräuschen und Lärm visualisiert. „Da dachte ich schon, man müsse mal die Klänge der Stille sammeln.“ Aber wie sollte das gehen? In Bali gibt es einen „Tag der Stille“, dort wäre es möglich. Aber sonst?
Zusammenarbeit mit Webdesignerin Veronica Semeco
Dann kam das Coronavirus. Von Bubnoff kehrte gerade aus Kambodscha zurück, als es anfing. Sofort nahm er die Klänge am Flughafen auf. Wieder zurück in Kleve, stampfte er das Projekt aus dem Boden. Gemeinsam mit der Webdesignerin Veronica Semeco entwickelte er ein Formular im Internet, auf dem Menschen ihre Aufnahmen hochladen können. Versehen mit Beschreibungen, was ihnen daran wichtig ist. Inzwischen gibt es bis auf Afrika Einsendungen aus allen Kontinenten – eine Landkarte der Stille.
Wobei natürlich klar ist: Stille bedeutet nie völlige Stille. Sondern ein anderes Wahrnehmen der Umgebungsgeräusche. Weil zum Beispiel keine Flugzeuge mehr fliegen. Von Bubnoff war vor einigen Tagen in Berlin und hat Aufnahmen am Flughafen Tegel gemacht. Die Menschenlosigkeit ist geradezu erschreckend: Man hört das Summen der Getränkeautomaten, das Klickern von Neonlampen, die gerade eingeschaltet werden, dann plötzlich eine Ansage vom Band, man möge sich regelmäßig die Hände waschen oder ein Desinfektionsmittel verwenden. Ansonsten: nichts. Keine Flugzeuge, keine Menschen. „Es war wie in einem dystopischen Science-Fiction-Film“, beschreibt er sein Gefühl.
Weitere Aufnahmen sind erwünscht
Noch kann jeder seine Aufnahmen einsenden. Von Bubnoff will sie dann mit ähnlichen Projekten zusammenführen und daraus eine Ausstellung machen, vielleicht in einem Museum. Die Stille der Pandemie kombiniert mit der Stille des jährlichen Stilletags auf Bali. Oder mit der Stille nach dem 11. September 2001 in New York.
Für von Bubnoff ergeben sich aus alledem spannende Fragen: Wie laut sind wir eigentlich? Wie nehmen wir Stille wahr? Und wie Lautstärke? Welche zuvor verschütteten Naturklänge sind zurückgekommen? „Vielleicht können wir ja etwas von unserer akustischen Wahrnehmung der Corona-Zeit hinüberretten in die Zukunft“, hofft er. Er selbst hat übrigens zum ersten Mal seit seiner Kindheit wieder Feldlerchen in freier Natur gehört, und zwar ausgerechnet in Berlin am Tempelhofer Feld.
Eine Anleitung zur Einsendung von Aufnahmen gibt es hier.