Goch. Am Sonntag öffnen Altenpflegeeinrichtungen mit Einschränkungen wieder für Besucher. Im Gocher Haus Am Heiligenweg warten alle gespannt darauf.

Große Vorfreude verspürt Birgit Schreuder, wenn sie an Sonntag denkt. Nach dann gut zwei Monaten Kontaktverbot wird die 52-Jährige endlich wieder ihre Mutter Martha Joosten im Gocher Betreuungs- und Pflegezentrum Haus Am Heiligenweg wiedersehen. Die in dieser Woche von der NRW-Landesregierung beschlossenen Lockerungen machen es möglich, dass die beiden Mütter zusammen Muttertag feiern können. Doch in Birgit Schreuders Vorfreude mischt sich auch ein wenig Unbehagen. „Zwei Monate sind eine lange Zeit. Inwieweit erkennt mich meine Mutter noch?“, fragt sich die Gocherin. Martha Joosten ist schwer an Alzheimer erkrankt. „Sie kann nicht verstehen, warum ich sie in der letzten Zeit nicht besucht habe. Meine Mutter weiß nicht, was das Coronavirus ist“, sagt Schreuder.

Tränen am Telefon

Nicht mehr als ein Fußweg von drei Minuten ist es vom Zuhause der Krankenschwester bis zur Einrichtung, in der ihre 86-jährige Mutter seit gut zwei Jahren lebt. In den langen Wochen des kompletten Besuchverbots fühlte sich die Distanz aber meilenweit an. Die Zeit der Trennung sei nicht schön gewesen, meint Birgit Schreuder. In den häufigen Telefonaten habe ihre Mutter immer geweint.

Es war und ist eine emotional aufregende Zeit für die 80 Bewohner, aber auch die Angehörigen und Mitarbeitende im Haus Am Heiligenweg seit dem plötzlichen Shutdown am 13. März. „Ein historischer Tag“, sagt Einrichtungsleiter Frank Günzel. „Nach 27 Jahren mussten wir erstmals das Haus abschließen.“ Günzel fühlt sich am Ende der achten Ausnahme-Woche „coronamüde“, wie er selbst sagt. Und stürzt sich doch jeden Tag aufs Neue mit Eifer in die Organisation des stark veränderten Lebens im Betreuungszentrum. „Die Vorschriften ändern sich teilweise mehrfach am Tag. Wenn man denkt, den roten Faden gefunden zu haben, dann ist er plötzlich grün“, erzählt der Gocher.

Bei Besuchern wird Fieber gemessen

Die jüngsten Anweisungen aus Düsseldorf, die nicht ohne Widersprüche in sich waren, erlauben wieder Besuche in Alten- und Pflegeeinrichtungen unter Einschränkungen. „Für mich kam das überraschend. So schnell habe ich damit nicht gerechnet“, sagt Frank Günzel nach einer erneut sehr turbulenten Woche.

Ihm und seinem Team blieben nur rund zweieinhalb Werktage, um ein funktionierendes Schutzkonzept, über das Günzel an langen Abenden schon vorher nachgedacht hatte, umzusetzen. Ab Sonntag werden Mitarbeitende die angemeldeten Besucher um Namen und Adressen bitten, sie nach Erkältungssymptomen fragen und auch Fieber messen. Dann geht’s für die Gäste – zunächst ermöglicht das Haus Am Heiligenweg pro Bewohner einen einstündigen Besuch einer Person – ins Kellergeschoss, wo ein Multifunktionsraum mit zwei Eingängen hergerichtet ist. Auf Distanz und in Begleitung eines Angestellten können sich Bewohner und Besucher sehen. „Wir müssen sicherstellen, dass kein Kontakt stattfindet“, sagt Frank Günzel.

Kein Lagerkoller im Betreuungszentrum

Er mache sich keine Sorgen, dass die neue Besucherregelung nicht funktionieren könnte, meint der Einrichtungsleiter. „Wir haben sehr kooperative Angehörige. Die meisten kennen wir seit Jahrzehnten.“ Die Familienmitglieder wiederum können darauf vertrauen, dass das rund 80-köpfige Team vom Haus Am Heiligenweg in der Krise noch enger zusammengerückt ist, um die Menschen im Pflegezentrum möglichst gut durch die außergewöhnliche Zeit zu begleiten. Frank Günzel spricht seinen Mitarbeitenden dafür ein großes Lob aus: „Die Stimmung ist auch nach acht Wochen positiv. Zum Glück haben wir noch keinen Lagerkoller erlebt.“

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Birgit Schreuder ist dafür dankbar: „Ich weiß, dass meine Mutter im Haus Am Heiligenweg gut versorgt wird. Das hat mir auch in den letzten Wochen ein gutes Gefühl gegeben.“ Das persönliche Wiedersehen mit ihrer Mutter am Sonntag wird aber etwas Besonderes. Die Gocherin wird ein altes Fotoalbum und Kuchen mit zum einstündigen Besuch im Pflegeheim bringen. „Es ist ein abgeschwächter Schritt zurück in die Normalität“, sagt sie.

Clivia-Gruppe machte schon Mitte März Erfahrungen mit Besuchsregelungen

„Dass Besuche von Angehörigen bei Bewohnerinnen und Bewohnern unter bestimmten Bedingungen wieder möglich sind, ist ganz sicher eine gute Nachricht, die viele Menschen sehr freut. Für uns als Pflegeanbieter ist es eine große Herausforderung dies so zu planen, dass die Besuche auch möglichst sicher ablaufen“, sagt Christian Nitsch, Geschäftsführer der Clivia-Gruppe. Für das Unternehmen sei die Situation allerdings nicht ganz neu, „denn wir haben schon Mitte März erste Erfahrungen mit Besuchsregelungen in unseren Einrichtungen sammeln können.“

Die Clivia-Einrichtungen haben für den Muttertagsbesuch mit den Angehörigen der Bewohner Kontakt aufgenommen, um Besuchstermine abzustimmen. Ab Montag sollen dann maximal zwei Personen für zwei Stunden am Tag nach Terminabsprache besucht werden können. Die Besuche finden in extra dafür hergerichteten Räumlichkeiten statt, etwa in den derzeit geschlossenen Cafeterien im Clever Stolz in Kleve und im Alten Rathaus in Bedburg-Hau. Angehörige können schwer erkrankte, immobile Bewohner auf dem Zimmer besuchen.

KAN begrüßt Lockerung der Regeln

Auch das Katholische Alten- und Pflegehilfenetzwerk am Niederrhein (KAN) begrüßt die Lockerung der Regeln. „Weil wir täglich sehen, wie gravierend die Einschränkungen sich auf das Wohlbefinden unserer Bewohnerinnen und Bewohner auswirken“, sagt Sprecher Christian Weßels.

In den KAN-Einrichtungen sind grundsätzlich zweistündige Besuche pro Bewohner und Tag mit maximal zwei Personen möglich. „Wir beginnen aber wegen des an Muttertag zu erwartenden Andrangs mit einer halben Stunde – aus Platzgründen“, so Weßels. Die Treffen finden im Eingangsbereich oder in separaten Räumen in der Nähe des Eingangs und mit einer Spuckschutzwand als Trennung statt. Die Einhaltung von Schutzmaßnahmen und Hygienevorschriften sei weiter zwingend erforderlich, um sowohl die Bewohner als auch die Mitarbeiter vor einer Corona-Infektion zu schützen, stellt KAN-Sprecher Christian Weßels fest.