Goch-Nierswalde. Die Flucht der im Krieg ausgebombten Familie aus Linnepe endete am Niederrhein. Heute feiert der Henkel-Hof an der Kesseler Straße Jubiläum.

„Nachts um halb zwei abgefahren, mittags um ein Uhr im Reichswald angekommen. Dreimal Panne gehabt, unterwegs Gepäck vom Bahnhof abgeholt.“ Diese Notiz auf einem Kalenderblatt des Jahres 1950 ist ein Stück Geschichte der Familie Henkel, die an diesem Tag aus Linnepe im Sauerland nach Nierswalde an den Niederrhein zog. Sie kamen, um zu bleiben. Johannes und Anna Henkel fanden zusammen mit ihren neun Kindern nebst Opa Franz in der Rodungssiedlung im Reichswald eine neue Heimat.

Geplant war ein großes Familienfest auf dem Henkel-Hof

„Am Samstag, 18. April 2020 ist das nun auf den Tag genau 70 Jahre her“, sagt Markus Henkel, Enkelsohn von Johannes. Geplant war ein großes Familienfest, genau wie vor 20 Jahren, als die Henkels mit rund 200 Familienangehörigen den 50. Jahrestag des Umzugs feierten. Wegen der Corona-Krise kann es nun so nicht stattfinden. „Aber gestrichen ist die Feier keinesfalls, wir holen das auf jeden Fall nach“, versichert Markus Henkel.

Er bewirtschaftet den Henkel-Hof an der Kesseler Straße nun in dritter Generation und lebt dort mit seiner Familie. Begonnen hatte sein Großvater mit Landwirtschaft, die auch sein Vater Gerd fortführte. Er selbst wurde Dachdecker und gründete im Alter von 26 Jahren seinen eigenen Betrieb, der nun seit 20 Jahren in dem ursprünglichen Siedlungshaus seinen Sitz hat.

Die Geschichten von den Anfängen der Familie in Nierswalde sind lebendig. Vater Gerd erinnert sich: „Meine Eltern führten eine Gaststätte in Linnepe. Die wurde kurz vor Ende des Krieges völlig zerstört. So wurden wir obdachlos, mussten mit elf Personen zeitweise auf einem engen Speicher wohnen.“

Der Wetterhahn auf dem Dach des Henkel-Hofes erinnert an den Anfang heute auf den Tag genau vor 70 Jahren.
Der Wetterhahn auf dem Dach des Henkel-Hofes erinnert an den Anfang heute auf den Tag genau vor 70 Jahren. © Markus van Offern

Die Familie bewarb sich um ein Siedlungshaus in Nierswalde, doch der Antrag wurde zunächst abgelehnt, denn die Siedlung im Reichswald sollte vorrangig den Vertriebenen aus den Ostgebieten Pommern und Ostpreußen eine neue Heimat sein. „Unterstützung bekamen wir von Heinrich Lübke, der später Bundespräsident wurde“, erzählt Gerd Henkel. Seine Mutter Anna habe Lübke persönlich gekannt, der aus dem gleichen Ort im Sauerland stammte wie sie. „Eine Familie mit neun Kindern – die braucht eine Existenz“, habe Lübke gesagt. Er war damals Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Arnsberg, sowie Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Durch seine Fürsprache wurde der Familie Henkel der Hof in Nierswalde zugeteilt. Ein Rohbau zunächst, es gab viel zu tun. Für erste Arbeiten am Stall brachten sie sogar Holz aus dem Sauerland mit. Gerd Henkel erinnert sich, dass die ganze Familie mit anpackte. Dass sein Sohn Markus das Gebäude weiter bewirtschaftet mit seiner Firma und mit seiner Familie bewohnt, macht ihn stolz: „Ich freue mich wirklich sehr, dass unser Hof auf diese Weise weiter lebendig bleibt.“

Zwei Geschwister hat Markus Henkel noch, ein Bruder wohnt gleich nebenan. Von den neun Kindern von Johannes und Anna leben noch acht, sie sind zwischen 71 und 86 Jahre alt. Wenn demnächst die 70 Jahre nachgefeiert werden, kommen sicher wieder etwa 200 Menschen zusammen, ist Markus Henkel überzeugt. Eine Verbindung zum Sauerland besteht auch heute noch. Henkel ist seit 25 Jahren im Schützenverein Schmallenberg