Nimwegen. Wie verlaufen die schweren Infektionen mit dem Coronavirus genau? Forscher erklären Ansätze aus der Radboud-Klinik in den Niederlanden.
Die Stadt Nimwegen ist eine der schwerst getroffenen Corona-Regionen in den Niederlanden. Im Universitätsklinikum Radboud UMC wurden bereits Dutzende Menschen behandelt. Nun veröffentlichen Forscher der Klinik erste Untersuchungsergebnisse zu schweren Covid-19-Patienten, die möglicherweise Konsequenzen für die künftige Behandlung haben können. In einer Pressemitteilung der Klinik heißt es, dass die Ärzte möglicherweise einen wichtigen Mechanismus des Krankheitsverlaufs von Covid-19 entdeckt haben. Diesem Mechanismus habe man bislang zu wenig Beachtung geschenkt. Die Radboud-Klinik forscht jetzt mit internationalen Kollegen intensiv weiter an einer Behandlung der Krankheit.
Die Radboud-Forscher versuchen zu klären, wie Covid-19 genau wirkt. Fest stehe: Eine Infektion mit dem Coronavirus verlaufe anders als eine Grippe oder andere Atemwegserkrankungen. Die Ärzte erkennen einen Verlauf mit drei Phasen: Zu Beginn werden die Patienten schnell kurzatmig wegen der Feuchtigkeit auf den Lungen. Ungefähr neun Tage nach der Infektion komme es zu einer Lungenentzündung, da die Antistoffe des Patienten das Virus in den Lungen bekämpfen, dies wiederum verschlechtert die Situation der Lungentätigkeit.
Drei Phasen der Erkrankung
Bei einem Teil der Patienten, der sich nach einem Aufenthalt auf der Intensivstation erholt, entwickeln sich eine Thrombose und Vernarbungen in der Lunge durch die lange Zeit der Befeuchtung. Dies verschlechtert den Regenerationsprozess. Kurz gesagt haben diese Patienten ein Feuchtigkeitsproblem.
„In den vergangenen Tagen haben wir die Covid-Patienten genau untersucht“, sagt Radboud-Forscher Frank van de Veerdonk. „In der ersten Phase sättigen sich die Lungen mit Feuchtigkeit. Auf den CT-Scans sehen die Lungen stark geschädigt aus und die Patienten sind sehr kurzatmig. Wir glauben, dass in dieser Phase des Prozesses auch die sehr kleinen Blutgefäße in der Lunge geschädigt werden. Dies bringt die Lungen in ernsthafte Probleme, da auch die Blutgefäße in den Lungen sich mit Feuchtigkeit sättigen.“
Blutgefäße werden geschädigt
Ähnliche Entwicklungen habe man auch bei Sars im Jahr 2013 feststellen können. Auch Sars ist eine Coronavirus-Infektion. Die Forscher der Radboud-UMC äußern nun eine erste These zur Schädigung der Blutgefäße. Van der Veerdonk: „Covid-19 schafft es, in die Lunge über den ACE2-Rezeptor einzudringen. Das Virus bindet sich an diesen Rezeptor und wird durch ihn in die Lungenzellen hineingezogen. Hier kann sich das Virus ausbreiten. Bei einer massiven Infektion verschwinden die ACE2-Rezeptoren von der Zelle. Und damit verschwindet auch ihre Funktion.“
Es sei bekannt, dass ACE2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) eine Rolle bei der Regulierung des Blutdrucks spielt, welches durch das RAAS-System erfolgt (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System). Das RAAS-System – und damit auch ACE2 – kontrolliert den Blutdruck durch Gefäßerweiterungen und Gefäßverengung. Aber ACE2 hat noch eine andere Funktion, die bislang bei Covid-19 noch nicht analysiert wurde. Van der Veerdonk: „ACE2 kontrolliert den Stoff Bradykinin. Dieser Stoff kann Blutgefäße schädigen. Wir haben gute Gründe, jetzt anzunehmen, dass bei Covid-19-Infektionen genau dieser Effekt eintritt: ACE2-Rezeptoren verschwinden von den Lungenzellen durch das Infiltrieren des Virus. Dadurch hat der Stoff Bradykinin freies Spiel und kann die kleinen Blutgefäße massiv schädigen.“
Trockener Husten ist symptomatisch
Diesen Effekt haben van de Veerdonk und seine Kollegen bereits bei einer anderen, sehr seltenen Krankheit entdeckt: beim Hereditären Angio-Ödem. Bei dieser Erkrankungen können auf einmal Schwellungen an Händen, Füßen, Bauch oder Gesicht auftreten. Die Schwellungen können einige Stunden bis Tage anhalten und wieder genauso schnell verschwinden wie sie entstanden sind. Die Ursache für diese Schwellungen: geschädigte Blutgefäße durch zu viel Bradykinin.
Auch einige Nebenwirkungen von ACE-Hemmern, die gegen hohen Blutdruck eingenommen werden, scheinen den Symptomen bei Covid-19 zu ähneln. Der trockene Husten zum Beispiel. Auch in seltenen Fällen können Angio-Ödeme bei Menschen auftreten, die ACE-Hemmer einnehmen.
Arzneimittel Icatibant soll eingesetzt werden
Die Probleme der Gefäßbeschädigungen können sich verschlimmern in der Ansteckungsphase, in der die Abwehrstoffe des Patienten das Virus bekämpfen. Dies sorgt für eine zusätzliche Belastung und Schäden der Lunge. Entzündungshemmer könnten hier möglicherweise eine dämpfende Wirkung haben. Auf der ganzen Welt suchen Ärzte nach einer optimalen Medikamentierung für diese Phase. Die Radboud-Forscher haben ihre Ergebnisse nun im Internet veröffentlicht und mit Kollegen geteilt.
Zurzeit arbeite man mit Kollegen an einer ersten Behandlung mit dem Arzneistoff Icatibant, welcher die Wirkweise von Bradykinin einschränkt. „Wir hoffen, dass wir so schnell wie möglich weitere Einsichten über die Wirkungsweise des Virus erhalten“, so Radboud-Forscher Frank van de Veerdonk.