Goch. Der 65-jährige Gocher Helmut Rother war an Bord der „Aidablu“, als während der Kreuzfahrt die Corona-Krise beginnt und die Welt verändert.
Helmut Rother (65) ist nachdenklich geworden. Was in den vergangenen zweieinhalb Wochen alles geschehen ist, hat ihn persönlich tief beeindruckt. Während sich der Gocher mit seiner Ehefrau in der Parallelwelt „Urlaubsreise“ befand, hat das Coronavirus die Welt verändert. Noch nie dagewesene Maßnahmen lähmen seit gut einer Woche das öffentliche Leben.
In dieser Zeit lief sein Kreuzfahrtschiff in den Hafen von Dubai ein. Es sollte noch mehrere Tage dauern, bis er wieder zu Hause ist. Mittwoch, um kurz vor Mitternacht, schließt er seine Eingangstür in Goch auf. Rückblickend sagt Rother: „Corona verändert nachhaltig alle Lebensbereiche und macht dabei vor keinen Grenzen und Sperren halt. Auswirkungen auf Urlaubsreisen sind dabei ein nur sehr kleiner und mit Sicherheit nicht der wichtigste betroffene Bereich.“
Dennoch möchte er seine Geschichte erzählen und zum Nachdenken anregen. Für ihn kann dieser Bericht dabei helfen, die sich dynamisch verändernden Bedingungen des täglichen Zusammenlebens besser zu reflektieren, um daraus notwendige Lehren für die Zukunft zu ziehen.
November 2018: Helmut Rother erfüllt sich mit seiner Ehefrau zum 40. Hochzeitstag einen Traum. Vor mehr als einem Jahr hat er eine Kreuzfahrt gebucht. Vom 2. bis zum 27. März 2020 soll es von Mauritius im Indischen Ozean Richtung Heraklion (Griechenland) gehen. 24 Tage lang auf der „Aidablu“, ausgehend von Port Louis über Mahé, Salalah, Aqaba, Haifa, Limassol nach Heraklion. Die Seychellen erleben, die Suezkanal-Passage und die Karibik des Orients. 24 Tage lang Erlebnis und Erholung pur. So verspricht es der Reiseveranstalter.
Februar 2020: Der Veranstalter bestätigt die Reise und den vorhergesehenen Verlauf. Die Unterlagen werden zugeschickt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Coronavirus bereits bekannt. Rother hat Bedenken, erkundigt sich, verlässt sich jedoch auf die Risikoabschätzung des Veranstalters und die Einschätzung staatlicher Stellen. Heute mag ihm das falsch vorkommen. Er sagt: „Letztlich sind nicht nur wir, sondern auch viele Institutionen und Behörden einer Unterschätzung der Dynamik der Lage und der damit verbunden Auswirkungen und Konsequenzen auf jeden Bereich erlegen.“
Mit über 1000 Passagieren startet die Kreuzfahrt
2. März: Helmut Rother tritt die Reise an. Er fliegt von Düsseldorf nach Mauritius. Dort muss er erneut diverse Gesundheitsfragebögen ausfüllen. Er muss bestätigen, dass er in den vergangenen 14 Tage nicht in Italien und/oder im Iran war. Und dass er selbst natürlich keine grippeähnlichen Symptome hat.
3. März: „Boarding“ – mit 1000 weiteren Passagieren checkt er auf dem Kreuzfahrtschiff ein.
4. März: Alles läuft noch wie geplant. Die Aida liegt im Hafen von Port Louis. Am Abend läuft das Schiff von Mauritius in Richtung La Réunion aus.
5. bis 6. März: Die Aida ist in Le Port angekommen. Das ist eine Stadt auf der Insel La Réunion im Indischen Ozean, östlich von Madagaskar und westlich von Mauritius. Das vorgesehene Programm einer individuell organisierten Fahrt in den Südwesten der Insel liefert tolle Eindrücke. Der Besuch eines typischen Marktes am zweiten Tag rundet diese Reisestation ab. Am Abend ist Auslaufen Richtung Port Victoria auf den Seychellen.
Tagsüber gehen die Rothers aus Goch schnorcheln
9. März: Ankunft auf den Seychellen. Ein weiterer, vorab organisierter Trip auf die Insel La Digue mit Aufenthalt an den malerischen Stränden ist für die Rothers aus Goch ein traumhaftes Erlebnis.
10. März: Die Rothers gehen tagsüber Schnorcheln. Die Unterwasserwelt rund um die Insel La Moyenne fasziniert. Dann der Einschnitt im Programm. Um 20 Uhr informiert der Kapitän, dass die Sychellen vom 11. März an für Kreuzfahrtschiffe gesperrt sind. Es ist ab sofort kein Landgang mehr möglich. Die Passagiere erfahren außerdem, dass Venedig gesperrt ist. Haifa in Israel ebenso. Der Kapitän erklärt, dass Alternativen und andere offene Häfen gesucht werden. Zu diesem Zeitpunkt steht fest: Die traumhafte Reise wird nicht wie geplant weitergeführt. Wenig später läuft das Schiff Richtung Salalah im Oman, der geplanten nächsten Station auf der Route, aus.
11. März: Seetag – der Kapitän teilt mit, dass die Häfen Salalah und Aqaba in Jordanien ebenfalls gesperrt sind. Es werden weiter Alternativen gesucht. Parallel dazu steht der konkrete Abbruch der Reise im Raum.
12. März: Seetag – die möglichen Alternativen sollen nun Sharm El Sheik und Safaga sein. Diese würden die geplante Passage des Schiffes durch den Suez-Kanal ermöglichen.
13. März: Seetag – die Alternativen vom Vortag haben sich endgültig erledigt. Der Veranstalter ruft alle seine Schiffe in die nächsten Häfen zurück und bricht die aktuelle Kreuzfahrtsaison ab. Ab diesem Zeitpunkt handelt es sich bei der Schiffsreise um eine notwendige Evakuierungsaktion, die für die Passagiere organisiert werden muss.
14. März: Seetag – das Schiff dreht Richtung Mascat im Oman ab, auch um dort eine geplante Treibstoff- und Verpflegungsversorgung durchzuführen. Im Laufe des Tages erhält die Crew allerdings die Nachricht, dass Dubai die Einfahrt für eine Evakuierung der Passagiere gestatten würde. Bedingung: Die Aida muss vor dem 16. März da sein und niemand darf das Schiff für Landgänge verlassen. Eine weitere, inoffizielle Bedingung: Die Rückführung der Passagiere nach Deutschland soll mit der dort ansässigen Airline erfolgen.
15. März: Seetag – die Aida gibt Gas. Am Abend erreicht das Schiff die Reede vor Dubai und geht vor Anker.
16. März: Gegen 7 Uhr läuft das Schiff in den Hafen von Dubai ein. Dort liegen bereits zehn andere große Kreuzfahrtschiffe.
1900 Passagiere und 500 Mann Besatzung an Bord
16. bis 18. März: 1900 Passagiere und die 500 Männer und Frauen der Besatzung sind auf dem Kreuzfahrtschiff isoliert. Es ist kein Verlassen des Schiffes möglich. Es ist kein Coronafall auf dem Schiff aufgetreten. Die Crew und die Reederei organisieren derweil die Evakuierung der Passagiere per Luftbrücke nach Deutschland – und zwar unter einem extremen Zeitdruck. Zweimal wurden bereits zugewiesene Flüge kurzfristig wieder gestrichen. Die Passagiere waren zum Teil schon am Flughafen und wurden wieder zurück aufs Schiff geholt.
18. März: Das Schiff muss den Hafen wieder verlassen, um auf seine Überführungsreise Richtung Europa zu gehen. Helmut Rother bekommt an diesem Tag einen Flug Richtung Deutschland. Statt Düsseldorf ist es Frankfurt geworden. Gegen 23.30 Uhr ist er zu Hause. In Goch.
20. März: Helmut Rother sitzt zu Hause in seinem Wohnzimmer und denkt über die Reise nach. Bis zum Schluss sei die Stimmung auf dem Schiff gut gewesen, hätten den Passagieren alle Annehmlichkeiten zur Verfügung gestanden. Durch das Internet seien die „Urlauber“ über die dynamischen Entwicklungen zuhause informiert gewesen. Er selbst empfand es sogar als angenehm, dem Dauerfeuer der Medien nicht permanent ausgesetzt gewesen zu sein. „Das Schiff war ein sehr guter Platz, um die Wartezeit auf die Evakuierung zu überbrücken. Die Besatzung hat sich hervorragend verhalten und hat eine äußerst schwierige Aufgabe mit hoher Professionalität und Engagement gelöst.“
Ein für Rother gravierendes Schlüsselerlebnis war, als er im Hafen von Dubai zum ersten Mal nach langer Zeit wieder die „Tagesschau“ sehen konnte. Der Bericht aus italienischen Krankenhäusern hat ihn zutiefst beeindruckt. In diesem Moment ist ihm klar geworden, wie tiefgreifend diese Entwicklung wirklich geht und dass am Ende vieles nie mehr so sein wird wie vorher