Kreis Kleve. Aktuelle Zahlen zeigen, dass derzeit 20 Hausarzt- und drei Kinderarztsitze im Kreis Kleve offen sind. Und das Problem dürfte noch größer werden.

Seinen Karrierestart erlebte Heinz-Gerd Lingens noch in der „Zeit der Arztschwemme“, wie der Klever Mediziner sagt. 80 Bewerbungen habe er geschrieben und mit Müh und Not eine Stelle erhalten. Die Zeiten haben sich geändert. Aus einem Überangebot ist ein Mangel geworden, der besonders in ländlichen Räumen wie dem Kreis Kleve bereits heute zu spüren ist. „Und in den nächsten fünf Jahren wird sich die hausärztliche Versorgung noch deutlich verschlechtern. Ein großer Teil der Kollegen ist über 60 Jahre alt, 30 bis 40 Prozent werden in den Ruhestand gehen“, prognostiziert Lingens, der seine Praxis an der Hohen Straße in Kleve-Rindern hat.

Ganz in der Nähe, auf der Wasserburg Rindern, lud das Zentrum für ländliche Entwicklung (Zele) in dieser Woche zur Fachtagung „Landarzt gesucht – Medizinische Versorgung in ländlichen Räumen“. Dabei präsentierte der Leitende Ministerialrat Dr. Frank Stollmann aus dem NRW-Gesundheitsministerium aktuelle Zahlen, die das Ausmaß des Ärztemangels im Kreis Kleve dokumentieren.

Mit Stand vom November 2019 gibt es im Mittelbereich (MB) Kleve, zu dem Kleve, Kalkar, Kranenburg und Bedburg-Hau gehören, 9,5 offene Hausarztsitze. Der Versorgungsgrad beträgt 82,85 Prozent. Etwas besser sieht es im MB Goch (Goch, Uedem, Weeze) aus, wo 3,5 Hausarztsitze offen sind (Versorgungsgrad 90 Prozent). Dort fehlen jedoch genauso Hausärzte wie im MB Emmerich (2,5/92,33 Prozent), im MB Geldern (3,5/94,08 Prozent) und im MB Kevelaer (1,0/94,98 Prozent). Angesichts von insgesamt 20 offenen Sitzen sprach Stollmann davon, dass die „hausärztliche Versorgungssituation im Kreis Kleve in Teilen deutlich unterdurchschnittlich ist“.

In der kinderärztlichen Versorgung fehlen den Zahlen von November 2019 zufolge drei Mediziner im Kreis Kleve, dessen Versorgungsgrad bei 94,56 Prozent liegt. Vor der im Frühjahr 2019 durchgeführten Reform der Bedarfsplanungs-Richtlinie durch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) galt der Kreis Kleve mit über 130 Prozent als überversorgt. Dass dies wenig mit der Realität vor Ort zu tun hatte, dafür schaffte eine Elterninitiative zusammen mit dem Klever Kinderarzt Dr. Wolfgang Brüninghaus eine große Aufmerksamkeit.

„Der drohende und schon spürbare Mangel an Ärztinnen und Ärzten bereitet uns große Sorge“, sagte Landrat Wolfgang Spreen bei der Fachtagung und zitierte den Versorgungsreport der KVNO, der für das Jahr 2030 „erschreckender Weise ein Defizit von 136 Ärztinnen und Ärzten und davon allein 95 Hausärzten prognostiziert“. Deshalb habe sich die Kreispolitik schon vor Jahren dazu entschieden, freiwillig einen Beitrag gegen den Ärztemangel zu leisten, so Spreen, der die Attraktivität der Region herausstellte und die drei laufenden Programme des Kreises Kleve vorstellte.

So bekommen Ärzte mit ihren Familien für eine Woche eine Ferienwohnung und einen Mietwagen gestellt, um den Kreis kennenzulernen. Bislang nahmen vier Interessierte das Angebot in Anspruch, teilte die Verwaltung auf NRZ-Nachfrage mit.

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Mit einem Hospitationsmodell möchte der Kreis zudem die Übernahme einer Praxis fördern. 400 Euro pro hospitiertem Werktag erhalten interessierte Mediziner, die bis zu vier Wochen lang in einer oder mehreren Praxen den Ablauf erleben können. Nach Kreis-Angaben wurden so im vergangenen Jahr elf Ärzte gefördert, es floss insgesamt eine finanzielle Unterstützung von 65.000 Euro.

Schließlich gibt es in Kooperation mit den Kliniken im Kreis ein Stipendienprogramm, bei dem Studierende der Humanmedizin für bis zu vier Jahre ein monatliches Stipendium von 1200 Euro erhalten können. Sie verpflichten sich im Gegenzug, ihr fachpraktisches Studienjahr und ihre spätere fachärztliche Ausbildung im Kreis Kleve zu absolvieren und zudem weitere fünf Jahre den ärztlichen Beruf hier auszuüben.

„Ich möchte diese Maßnahmen nicht kritisieren, aber sie sind ein Tropfen auf dem heißen Stein“, findet Hausarzt Heinz-Gerd Lingens. „Viele junge Kollegen nehmen lieber eine schlechter bezahlte Stelle in Düsseldorf an, als nach Kleve zu kommen.“ Weil zudem viele ausländische Ärzte im Krankenhaus keine Wurzeln in der Region schlagen würden, rekrutiere sich zu wenig Nachwuchs für die Praxen, so Lingens. Er fordert, dass die „Rahmenbedingungen für Klinikärzte besser werden, damit sie gerne in der Medizin und im Kreis Kleve bleiben“. Zudem müsse der Schritt in die Region finanziell attraktiver von der KVNO gestaltet werden. „Dann würde die Ärzte auch mit ihren jungen Familien kommen“, meint Lingens.

Auf NRZ-Anfrage verweist die Kassenärztliche Vereinigung darauf, dass ein erheblicher Teil ihrer Förderungen aus einem Mitte 2018 eingerichteten Strukturfonds in die ambulante Versorgung des Kreises Kleve geflossen sei: Bis Ende 2019 wurden nach KV-Angaben acht Investitionskostenzuschüsse (drei hausärztliche Niederlassungen und fünf Anstellungen von Hausärzten) bewilligt, und zudem zwei Quereinstiege in die hausärztliche Versorgung sowie zwei Hospitationen in örtlichen Praxen gefördert. Diese Maßnahmen erhielten insgesamt 600.000 Euro an Fördergeldern.