Kleve. Josef Kotalla war während des Krieges einer der schlimmsten Kriegsverbrecher in den Niederlanden. Jetzt stellt sich heraus: Er wohnte in Kleve.

Er hatte Spaß am Quälen. Wenn Josef Kotalla zum Appell durch das Kriegsgefangenenlager in Amersfoort schritt, dann zitterten die Insassen. Der kleine Mann aus Oberschlesien war der brutalste Aufseher im Lager. Er ließ Gefangene stundenlang in der Kälte stehen, er trat sie mit Nagelschuhen und schlug mit seiner Lederpeitsche so kräftig zu, dass das Blut spritzte. Von vielen Opfern wurde er als einer der schlimmsten Kriegsverbrecher in den Niederlanden beschrieben. Jetzt stellt sich heraus: Der „Henker von Amersfoort“ wohnte in Kleve.

Der nette Nachbar von der Frankenstraße

Das Lager Amersfoort, 1943-1945.
Das Lager Amersfoort, 1943-1945. © Archief Eemland | Archief Eemland

Richard Hoving hat alles haarklein recherchiert. Der niederländische Journalist des Algemeen Dagblad hat eine Biografie über Josef Kotalla geschrieben, der in den Niederlanden als einer der „Drei von Breda“ landesweit bekannt ist. Kotalla, Franz Fischer und Ferdinand aus der Fünten waren die letzten drei deutschen Kriegsverbrecher, die ihre Strafe im Gefängnis von Breda bis Ende der 80er Jahre absitzen mussten. Richard Hoving fand heraus, dass Kotalla, der 1979 im Gefängnis gestorben ist, mit einer Kleverin verheiratet war - Annerose Kreikamp. Während der Dienstzeit quälte Kotalla Gefangene in Amersfoort, an der Frankenstraße in Kleve mimte er dann den netten Nachbarn.

Er war jahrzehntelang Thema in der Öffentlichkeit

Über Josef Kotalla liegen zahlreiche Akten und Unterlagen vor. Jahrzehntelang beschäftigten die „Drei von Breda“ die niederländische Öffentlichkeit. Kotalla, Fischer und aus der Fünten standen synonym für den bösen Deutschen, der ohne Mitmenschlichkeit seine Machtposition ausgenutzte, Menschen misshandelte und tötete. Besonders Kotalla wurde durch seine rücksichtslose und fordernde Art für die Niederländer zur deutschen Hassfigur. Das Gericht legte ihm 77 Morde zur Last.

„Kotalla war der Schlimmste. Er schlug seine Opfer bis zur Bewusstlosigkeit, er trat sie, er lief über ihre Rücken, er hetzte seinen Hund auf sie und er genoss die Erniedrigung“, erzählt Richard Hoving im Gespräch mit der NRZ. Der „Kotalla-Tritt“ sei unter den Kriegsgefangenen besonders gefürchtet gewesen. Mit voller Wucht trat der SS-Oberscharführer den Männern unvermittelt in die Genitalien. Die Gefangenen nannten ihn „Monster“ oder „Mensch-Teufel“.

In Kleve geheiratet

Annerose Kreikamp im November 1943. Am Vorabend ihrer Hochzeit mit Josef Kotalla. (Ausschnitt)
Annerose Kreikamp im November 1943. Am Vorabend ihrer Hochzeit mit Josef Kotalla. (Ausschnitt) © Bundesarchiv Berlin | Bundesarchiv Berlin

Der SS-Mann hatte zeitlebens eine enge Verbindung zu Kleve. Er heiratete am 16. November 1943 im Klever Rathaus Annerose Kreikamp, die er 1941 in Scheveningen kennen gelernt hatte und mit der er seit dem 1. November 1943 verlobt war. Annerose war damals bei ihrer Mutter Erna zu Besuch, die im Gefängnis von Scheveningen Aufseherin war. Hier entstand der Kontakt zwischen den Kreikamps und Kotalla. Ernas Kinder Annerose und Winfried wohnten bei den Großeltern in der Klever Frankenstraße.

Die Kreikamps waren überzeugte Nationalsozialisten. Richard Hoving recherchierte, dass Erna Kreikamp bereits am 1. Dezember 1932 in die NSDAP eintrat, ein paar Monate bevor Adolf Hitler die Macht in Deutschland übernehmen sollte. Annerose wurde 1935 mit zwölf Jahren Mitglied der Hitlerjugend, zu diesem Zeitpunkt war eine Mitgliedschaft noch nicht verpflichtend. Die Hochzeit zwischen Josef Kotalla und Annerose Kreikamp wurde in der Frankenstraße ausgelassen gefeiert. Zahlreiche SS-Männer seien anwesend gewesen und hätten hier auch übernachtet. Wann immer es möglich war, hielt sich Kotalla in Kleve auf. „Die Heiratsurkunde befindet sich bis heute im Stadtarchiv“, berichtet Richard Hoving.

Kotalla wurde zum Tode verurteilt

Die Kotallas wohnten in der Frankenstraße bei den Großeltern und die Nachbarn erinnerten sich nur positiv. Der Mann, der in Amersfoort als stellvertretender Lagerführer so grausam war, wurde in seinem privaten Umfeld als „anständig“ beschrieben. Allerdings lernte auch Annerose recht schnell seine sonderbare Art kennen. Kotalla litt unter Zwangsneurosen: So schrieb er seiner Frau genau vor, wie sie seine Hemden zu falten hatte. Er schnitt sogar eine Vorlage aus Pappe für sie aus.

Richard Hoving schrieb eine Biografie über Josef Kotalla.
Richard Hoving schrieb eine Biografie über Josef Kotalla. © NRZ | Andreas Gebbink

Nach dem Krieg wurde Kotalla festgenommen und nach einem langen Prozess 1948 zum Tode verurteilt. Weil ein Psychiater ihm eine verminderte Schuldfähigkeit attestieren konnte, wurde seine Strafe 1951 in lebenslängliche Haft umgewandelt. Bis zu seinem Tod im Jahre 1979 blieb er in Gefangenschaft. Seine Schuld hat er allerdings nie richtig eingesehen. Immer wieder betonte er, dass er lediglich Befehle habe ausführen müssen. Auch seine Frau Annerose schrieb an die niederländischen Behörden, dass ihr Mann „kein Verbrecher“ sei: „Er ist ein guter Mensch.“ 34 Klever Einwohner haben sich in den 50er Jahren in einem Schreiben für die Freilassung Kotallas eingesetzt, sie beschrieben ihn als „anständig“ und „ehrenvoll“: „Er war stets aufrichtig und hilfsbereit und hat unseres Wissens niemals einem Menschen von sich aus etwas Schlechtes getan.“

Mehrfach die Königin um Begnadigung ersucht

Mehrfach hat Kotalla die niederländische Königin um eine Begnadigung ersucht. Und Anfang der 70er Jahren hätte er sie beinahe auch bekommen. Justizminister Dries van Agt erwägte ernsthaft eine Freilassung, doch er löste einen Sturm der Entrüstung aus. Zahlreich Opfer meldeten sich öffentlich zu Wort und fühlten sich verletzt. Kotalla musste hinter Gittern bleiben.

Josef Kotalla in seiner Zelle in Breda, 1973/1974.
Josef Kotalla in seiner Zelle in Breda, 1973/1974. © W.L. Nouwen

Im Alter versuchte Kotalla eine niederländische Rente zu beantragen, die ihm allerdings verwehrt wurde. Die Sozialversicherungsgesellschaft berief sich darauf, dass er nie in den Niederlanden gewohnt habe, sondern immer in Kleve als Bürger gemeldet war. Auch in Kleve hat er versucht, eine Rente für erlittene Kriegsschäden zu erhalten. Biograf Hoving hat nicht klären können, ob er sie auch erhalten hat.

Für Kotalla gab es nur ein Opfer - er selbst

Letztendlich starb Kotalla am 31. Juli 1979 im Gefängnis. Richard Hoving schreibt abschließend: „Er hat sich nie in die Rolle seiner Opfer hineinfühlen können. Für Josef Johann Kotalla gab es immer nur ein Opfer und das war er selbst.“

  • Das Lager Amersfoort nach den Lagern Westerbork und Vught das drittgrößte Internierungslager in den Niederlanden. 35.000 Menschen wurden hier gefangen gehalten, darunter politisch Verfolgte, Juden, niederländische Freiheitskämpfer.
  • Das Buch von Richard Hoving „De Beul van Amersfoort. Biografie van Josef Kotalla (1908-1979) ist in der Buchhandlung Hintzen erhältlich. 24.99 Euro.