Kreis Kleve. Der Prozess um die Drogenpäckchen an Poststationen in Kleve, Emmerich und Rees geht weiter. Handelte der Angeklagte Richward W. wirklich alleine?
Die Ermittler waren monatelang auf seiner Spur. Sie beschlagnahmten mehr als hundert Lieferungen mit Drogen aller Art, sie tätigten Scheinkäufe, sie verfolgten das Treiben auf der Handelsplattform „Dreamweb“, sie observierten Paketstationen und analysierten Videoüberwachungen – und am Ende waren sie sicher: Der Niederländer Richard W., 33 Jahre alt, gelernter Handwerker, ist die zentrale Figur für eine Vielzahl illegaler Drogengeschäfte, die über das berüchtigte Darknet abgewickelt wurden.
Staatsanwaltschaft schätzt Einnahmen auf über eine halbe Million Euro
Staatsanwältin Lisa Klefisch von der Cybercrime-Abteilung der Staatsanwaltschaft Köln ging von Einnahmen in Höhe von mehr als einer halben Million Euro aus. Sie brachte das Verfahren wegen der diversen Postfilialen in Kleve, Emmerich und Rees, von denen die illegale Ware verschickt wurde, in Kleve zur Anklage.
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Ein Zollfahnder erklärte am Montag in der Verhandlung vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts auf der Klever Schwanenburg, wie diese Zahl zustande kam. Danach waren auf der Plattform noch rund 700 Transaktionen mit Bewertungen und Kaufsumme sichtbar, weitere Ratings hingegen nicht mehr. Bei der zweiten Gruppe handelte es sich um 2750 Käufe, für die die Fahnder jeweils zugunsten des Angeklagten die niedrigste Summe der 700 bekannten Transaktionen annahmen – und die lag bei gerade einmal 142 Euro.
Ein weiterer Ermittler berichtete zudem, dass der Händler mit dem markanten Namen „berlinmannschaft“ auch auf der Plattform Wall Street Market aktiv war (die von einem Auszubildenden aus Kleve mit betrieben wurde). Dieser Händler habe mehr als eine Million Euro Umsatz gemacht, gleich kiloweise seien dort Kokain und Amphetamine sowie Ecstasy-Pillen vertrieben worden.
Angeklagter sieht sich selbst im wesentlichen nur als Kurierfahrer
Und dafür soll Richard W. allein verantwortlich gewesen sein? Über seinen Anwalt ließ er gestern eine völlig andere Version der Ereignisse erzählen. Demnach sei er von einem Bekannten, dessen Namen er allerdings nicht mitteilen wollte, zunächst für die Kurierfahrten angeheuert worden. Für jede Fahrt habe er Spritgeld, zweihundert Euro und ein bisschen Kokain bekommen, was ihm als gelegentlichem Drogenkonsumenten sehr entgegengekommen sei.
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Also ein großer Unbekannter? W.s Geschichte ging so: Eigentlich hatte er vor, seinen Lebensunterhalt mit der Vermietung von acht Chalets zu bestreiten, die ihm seine Familie im Ferienpark Putten nördlich der Hoge Veluwe (NL) gekauft hatte. Doch das Engagement endete im Desaster, nachdem in der Siedlung Dauermieter nicht mehr zulässig waren. Die Behörden verhängten Bußgeldbescheide und erhoben Steuerforderungen, es gab sogar bereits Pfändungsbescheide. „Ich hatte Angst vor dem sozialen Absturz“, so der Angeklagte.
Da kamen die Kurierfahrten gerade recht. Und Ende vergangenen Jahres habe er das Geschäft sogar komplett übernehmen können. Der Freund, so die Einlassung von W., habe ihm die restlichen Drogen zum Weiterverkauf überlassen und obendrein noch 16.000 Euro als Überbrückungskredit gegeben. Wenn die Drogen komplett verkauft worden wären, hätte er Einnahmen von 20.000 Euro gehabt, und damit, so die Abmachung, wären die beiden Dealer quitt gewesen.
Woher kam das Geld für das Luxusauto?
Einige Indizien stützten die Geschichte tatsächlich, gleichwohl strapazierte diese Version mit dem großzügigen Kompagnon die Langmut der Staatsanwältin erheblich. Für die Einlassung sprach beispielsweise, dass es in der fraglichen Übergabezeit des Geschäfts im Oktober/November eine Betriebspause bei „berlinmannschaft“ gegeben hat. Erst am 23. November hieß es auf der Plattform wieder: „Back again!“
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Dagegen sprach, dass der Angeklagte sich trotz seiner Finanznöte noch im Oktober 2018 einen neuen 7er BMW kaufte. Angeblich sei das Luxusauto aus dem Verkaufserlös von drei der acht Chalets finanziert worden. „Ich weiß, dass das dumm war“, so der Angeklagte. Der Vorsitzende Richter Jürgen Ruby gab zu bedenken, dass es „hilfreich“ sein könne, den Namen des ominösen Unbekannten zu offenbaren. W. schüttelte den Kopf.
Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.