Kreis Kleve. Wie soll es für die SPD nach dem Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles weitergehen? Wir haben uns an der Basis im Kreis Kleve umgehört.
Jörg Lorenz hat mit der alten Tante SPD schon vieles erlebt. Doch in mehr als 30 Jahren hauptamtlicher Arbeit für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands könne er sich nicht an eine psychologisch derart schwierige Situation erinnern, wie er sie derzeit erlebe, sagt der SPD-Geschäftsführer in Duisburg und Fraktionsvorsitzende in Uedem. „Es macht mich sprachlos, was die Partei mit sich selbst anrichtet.“
Der Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles und die vielen offenen Fragen lassen keinen Genossen kalt. Das wird aus den Gesprächen deutlich, die die NRZ an der Basis im Kreis Kleve geführt hat. „Es geht jetzt um alles für die Partei“, findet die ehemalige Emmericher Bürgermeisterin Irene Möllenbeck, die für die SPD auch im Landtag saß.
Eine neue Spitze nach nur 13 Monaten
Willi van Beek zollt Nahles „Respekt für die Entscheidung. Sie war eine sehr gute Ministerin, die es leider nicht vermochte, diese Leistung auch als Vorsitzende zu vollbringen“, meint der Fraktionschef aus Bedburg-Hau. Für seinen Amtskollegen in Goch, Klaus-Dieter Nikutowski, bleiben von Nahles zwar „Engagement, aber auch emotional unüberlegte Statements“ in Erinnerung. „Es ist ihr relativ schlecht gelungen, die SPD zu verkaufen.“
Die Konsequenz aus dem fehlenden innerparteilichen Rückhalt ist ihr Rückzug aus der Spitzenpolitik – und nach nur 13 Monaten eine neue sozialdemokratische Spitze. „Die Häufigkeit der Wechsel ist erschrecken“, findet der Kalkarer Fraktionsvorsitzende Walter Schwaya. Er hat die Hoffnung zwar noch nicht aufgegeben, dass sich „mit mehr Disziplin in der Partei der Trend auch wieder drehen kann“, doch derzeit stehe die Abkürzung der SPD eher für „Sozialdemokratische Profilier- und Debattiervereinigung“.
Diskussionen über die Zukunft der GroKo
Bei allem Frust über den nicht enden wollenden Absturz der einst so stolzen, ältesten Partei Deutschlands ist an der Basis durchaus auch Trotz zu vernehmen. „Man sollte jetzt nicht den Untergang der SPD herbeireden“, warnt Josef Gietemann. Der Vorsitzende des Ortsvereins Kleve sieht seine Partei noch immer tief in der Gesellschaft verankert: „Wir haben aktuell bundesweit mehr als 420.000 Mitglieder. Das ist noch lange nicht das Ende der SPD.“
Diese solle Gietemanns Meinung nach bis zum Herbst in der Bundesregierung bleiben, um bei wichtigen Projekten wie der Grundrente oder dem Klimaschutz voranzukommen. Danach könne man über einen Austritt sprechen.
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Staatstragendes Handeln versus Selbstschutz
Irene Möllenbeck war von Beginn an eine entschiedene Gegnerin einer neuen Großen Koalition. Jetzt sagt sie: „Ich wollte in dieser Frage aber nie Recht behalten.“ Ein Ausscheiden aus der GroKo hielte sie jedoch in der aktuellen Krise der SPD für eine vorschnelle Reaktion: „Die neue Spitze muss die Umsetzung unserer guten politischen Ansätze mit Zeitfristen deutlich einfordern. Sollte das mit der CDU nicht möglich sein, muss man aus der Koalition austreten.“
Auch Jörg Lorenz sieht in der Abkehr vom unbeliebten Bündnis mit der CDU nicht die Lösung der SPD-Probleme. Er hält ein baldiges GroKo-Ende dennoch für „denkbar, denn nach den jüngsten Wahlen ist eine neue Situation eingetreten. Die SPD hat bei allem staatstragenden Handeln jetzt das Recht, auch öffentlich zu sagen: ,Die Menschen wollen diese Regierung nicht mehr.’“ Es könne nun der Punkt erreicht sein, an dem Selbstschutz nötig sei, so Lorenz. Er plädiert dennoch dafür, am vereinbarten Zeitplan festzuhalten und erst nach der Hälfte der Regierungszeit Bilanz zu ziehen. Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete für den Kreis Kleve, Barbara Hendricks, vertritt diese Position (siehe Text unten).
Austritte von ehemaligen Funktionären
„Im Kreis Kleve steht mittlerweile jedoch eine Mehrheit gegen die Große Koalition“, fasst der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Kreis Kleve, Norbert Killewald, seine Eindrücke aus vielen Gesprächen mit Parteimitgliedern zusammen. Miteinander sprechen – darum müsse es jetzt vor allem gehen, um die existenziellen Fragen der Sozialdemokraten zu beantworten: „Wofür stehen wir? Wo wollen wir hin?“, formuliert Killewald. „Das Vertrauen zwischen Spitze und Basis scheint derzeit sehr gering.“ Belege dafür fand er nach der enttäuschenden Europawahl im Briefkasten der Geschäftstelle: „Sogar einige ehemalige Funktionäre sind aus der Partei ausgetreten. Das ist schon ein Schritt“, meint Norbert Killewald.
„Der Frust an der Basis wird immer größer“, sagt Jürgen Franken als Vorsitzender des Ortsvereins Kranenburg. „Die Basis merkt: Wir schaffen es nicht, unsere guten Ideen zu vermitteln.“ Franken fände es „charmant, es nun einmal mit dem Modell der Doppelspitze zu versuchen. Es geht gar nicht darum, die Grünen zu kopieren, doch vier Schultern können manchmal mehr aushalten“.
Wandel der Umgangsform gefordert
Unabhängig davon, wer und wie viele sich der schwierigen Führungsaufgabe stellen werden, fordert Jörg Lorenz von den Genossen einen Wandel im Umgang miteinander. „Es muss sich dringend etwas ändern, damit die von uns gewählten Leute auch Vertrauen erhalten.“ Es sei enttäuschend, wie Teile der Partei öffentlich gegen Spitzenpersonal wie Ex-Chefin Andrea Nahles oder Finanzminister Olaf Scholz geschossen hätten. „Wenn das nicht aufhört“, sagt Lorenz, „dann wird es auch für uns an der Basis immer schwieriger, noch jemanden zu finden, der sich das antun“.
Das sagt Barbara Hendricks zur Krise der SPD:
Barbara Hendricks sieht die inhaltliche Arbeit der SPD in der Bundesregierung durch die nun aufkommende, erneute Diskussion über Köpfe beeinträchtigt. „Die ständigen Personaldebatten führen uns nicht weiter. Positive Ergebnisse unserer Arbeit werden nicht wahrgenommen und notwendige Positionsklärungen werden verzögert. Das kann ja für Wählerinnen und Wähler kein gutes Bild abgeben“, sagt die Bundestagsabgeordnete für den Kreis Kleve.
Ein baldiges GroKo-Aus lehnt sie ab: „Wir werden zum Endes Jahres Zwischenbilanz ziehen. Damit das im Sinne der Koalition gut geht, muss die Union sich bewegen, zum Beispiel beim Klimaschutzgesetz und bei der Grundrente. Beides ist im Koalitionsvertrag verabredet.“
Hendricks hat auch eine deutliche Meinung zum Umgangston innerhalb der eigenen Partei, der sehr zu wünschen übrig lasse. „Aber nicht nur Parteivorstand oder Bundestagsfraktion haben hier Defizite. In den sogenannten Social Media ist die Kritik oft maßlos, von Parteimitgliedern und auch von Aktivisten, die sich als SPD-Mitglieder bezeichnen, aber gar keine sind“, so die Kleverin