Kleve. Auch Miss Kleve gibt ihre Milch für den Automaten. Am Welttag der Milch, 1. Juni, denken die Landwirte aus dem Kreis Kleve auch über Europa nach.

Miss Kleve erfüllt alle Vorurteile, die man so über ein Top-Model haben kann: einen Charakter, der „etwas speziell“ ist, so schlank, dass man die Rippen zählen kann, und sie hat ein „gutes Bein“, vielmehr vier davon. Dass ihr Euter hoch aufgehängt ist, macht sie nochmal extra attraktiv. Miss Kleve heißt Casa, sie geht demnächst zur Deutschen Nationalschau nach Oldenburg in den Ring. Heute zählen selbst bei Kühen nicht mehr allein Äußerlichkeiten, sondern auch innere Werte: wie viel Milch sie gibt, ihre hochgerechnete Lebensleistung und Gesundheit.

50 Liter frisch im Automaten

Das vor allem ist bei ihren 120 Stallkolleginnen auf dem Hof von Ludger und Markus Tißen in Düffelward wichtig. Manche liefert mehr als Casa. Herausragend leistungsstark ist Fury, die diese Woche ihren 100.000 Liter Milch gab. Durchschnittlich rechnet Markus Tißen mit 50.000 Liter in sieben Jahren. 33 Liter pro Tag.

Milch von der Tankstelle
Milch von der Tankstelle © Astrid Hoyer-Holderberg

Der kleine Anteil von 50 Litern täglich wird immer frisch in den Milch-Zapfautomaten gefüllt. Rund um die Uhr steht er jedem Kunden offen. Da wirft man den Euro rein und eiskalte Rohmilch blubbert in die bereitgestellten Flaschen, wahlweise aus Glas oder in Plastik, die man kauft und immer wiederverwertet. „Rohmilch vor dem Verzehr abkochen“ steht auf dem Schild an der Wand, ganz wie es das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Berlin vorschreibt.

Zum Weltmilchtag am 1. Juni weist das Amt darauf hin, dass Rohmilch eben noch nicht wärmebehandelt ist wie Konsummilch und sogenannte Zoonoseerreger (Keime wie Salmonellen, Campylobacter oder Listerien) deshalb bei empfindlichen Personengruppen Erkrankungen auslösen können, etwa bei Schwangeren, Kleinkindern, Immungeschwächten.

Milch-ab-Kuh schmeckt einfach anders, voller, sie hat bei Tißen ja auch 4,2 Prozent Fettgehalt. Dienstags und mittwochs kommen weniger Kunden, am Wochenende viele, besonders bei schönem Wetter mit dem Rad. Einige Zufalls-Käufer staunen über die Tankstelle, etwa ein Mann aus Texas. „Wir haben 20 Prozent Niederländer als Kunden, einige Franzosen, die hier wohnen“, die Deutschen kommen aus allen Alters- und Bevölkerungsgruppen.

Landwirte denken politisch

Markus Tißen wünschte, dass Verbraucher nicht nur Umweltschutz von Bauern fordern, sondern selbst mehr danach lebten. „Die Niederländer legen mehr Wert auf gute Lebensmittel, die Deutschen wollen es immer billig“, glaubt Markus Tißen.

Landwirt Markus Tißen zeigt, wie einfach man die Rohmilch zapft.
Landwirt Markus Tißen zeigt, wie einfach man die Rohmilch zapft. © Astrid Hoyer-Holderberg

Politisches Denken bringt der Beruf des Landwirts mit sich. Milchpreise und Fleischpreise, die die Kosten der Produktion nicht decken, Europa und seine Bürokratie, die größere Betriebe fördert statt kleine zu erhalten. Thema der Rinderzüchter ist auch die Phosphatquote in den Niederlanden. Sie legt seit 2018 fest, wie viele Tiere sie züchten dürfen. So soll Phosphor-Einleitung in Flüsse und Grundwasser verringert werden. Tißen: „Jetzt züchten sie nicht mehr, sondern kaufen bei uns die Jungtiere“. Er sieht eine erneute Verschärfung der Düngeverordnung kritisch: „Was jetzt im Wasser gefunden wird, wurde vor dreißig, vierzig Jahren eingetragen, das können wir nicht in zwei Jahren ändern“.

Aber er sieht auch die Veränderungen im eigenen Stall. Fünf Monate, in trockenen Jahren acht Monate gehen die Kühe raus auf die Weide, in heißen Sommern stressfrei vor allem nachts. Den Rest des Jahres sind sie im Boxenlaufstall, „früher hat man die Rinder angebunden“, vergleicht Tißen. Ganzjährig könne er in Düffelward die Tiere nicht draußen lassen, der Boden ist zu schwer, sie würden ihn zertrampeln.

„Zweimal am Tag wird gemolken. Ansonsten können die Kühe machen, was sie wollen“, zeigt er auf die sonnige Weide hinaus. Es sei schon „erschreckend, dass wir keine einzige Molkerei mehr hier haben, wo der Kreis Kleve die meisten Milchkühe in ganz NRW hat“, sagt er. Früher lieferte Tißen für den Konzern Dr. Oetker nach Moers, jetzt zu einer Landwirte-Genossenschaft in die Eifel.

Im abgezäunten Areal nebenan liegen die 13 Monate alten Färsen, sie werden ab dem 14. Monat künstlich besamt, kalben etwa mit 26 Monaten und sind dann „Kuh“.

Auch männliche Kälber werden auf dem Hof in Düffelward gehalten. Wer als einer von 25 Zuchtbullen bleibt, entscheidet das Exterieur der Mutter (= Rahmen, Muskeln, Euter etc.) und ihre Leistung mit. Tißen: „Qualität in Form von hohem Fettgehalt kann man auch in die Milch hinein züchten“.