Kleve / Frankfurt am Main. . Ein Klever steht im Verdacht, die zweitgrößte Darknet-Plattform der Welt, „Wall Street Market“, mit betrieben zu haben. Er galt als „netter Typ“.
Unter den drei Männern, die vorige Woche wegen Internethandels im Darknet unter dem Namen „Wall Street Market“ festgenommen wurden, gab es offenbar keine Hierarchien. Jeder der Drei wird verdächtigt, gleichwertiger Chef der zweitgrößten illegalen Handelsplattform der Welt zu sein. So auch der 22-jährige Klever.
Nicht mit Mindeststrafe von einem Jahr davonkommen
Das bestätigt auf NRZ-Anfrage Staatsanwalt Georg Ungefuk von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main/Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität. Der junge Klever wird vermutlich nicht mit der Mindeststrafe von einem Jahr Haft davon kommen, maximal wären 15 Jahre zu befürchten. Falls aber einige Taten noch unter Jugendstrafrecht fallen, könnte er glimpflicher davon kommen als seine beiden tatverdächtigen Kompagnons aus Hessen und Baden-Württemberg, 29 und 31 Jahre alt.
Im Darknet schließen sich mehrere PCs zusammen
Wie berichtet, sollen die Drei eine Handelsplattform mit Namen „Wall Street Market“ betrieben haben – den zweitgrößten Darknet-Marktplatz weltweit. Das „dunkle Netz“ ist ein verschlüsseltes Netzwerk, in dem sich mehrere Personen an Computern zusammen schließen und deshalb nicht öffentlich gefunden und nur schwer überwacht werden können.
Dennoch hatten US-amerikanisches FBI, deutsche und niederländische Fahnder (auch Europol) seit 2017 ermittelt und die drei Deutschen „seit März auf dem Schirm“, im wahrsten Sinne, so bestätigt Staatsanwalt Ungefuk. Gehandelt wurde überwiegend mit Drogen – Marihuana, Amphetamine, Kokain – sowie mit Daten, falschen Dokumenten und Schadsoftware (ausdrücklich nicht mit Waffen und ausdrücklich nicht mit Kinderpornografie).
Da mussten die Ermittler in die offene Phase übergehen
Die Ermittler hätten sich zur Beobachtung auch gern noch mehr Zeit gelassen, um über die Geschäfte „mehr Gewissheit zu haben“, sagt Ungefunk. Aber als sich andeutete, dass die Betreiber untertauchen wollten und Geld nicht mehr wie üblich zwischen Käufer und Verkäufer fließen ließen mit kleiner Provision für sich selbst, da mussten die Ermittler „in die offene Phase übergehen“, so Ungefuk.
Er erklärt: Täter lassen eine solche Plattform erst wachsen, bis sie von vielen Dritten als Käufer und Verkäufer genutzt wird. Im Falle des „Wall Street Market“ soll es sich um mehr als 1,1 Millionen Kunden und über 5400 Verkäufer gehandelt haben.
Um wie viel Geld es geht, muss der Computer zeigen
Wenn dann genügend imaginäres Geld in Kryptowährung in der Kasse liegt, „schalten sie ab oder lassen die Plattform liegen, betreuen sie nicht weiter“ und leiten das Geld auf eigene Konten um, beschreibt der Staatsanwalt aus Wiesbaden. Ein so genannter Exit Scam. Die Plattform „Wall Street Market“ war Ende April in den Wartungsmodus geschaltet worden, für die Nutzer nicht mehr erreichbar. Doch „es fällt auf, wenn man die riesigen Beträge auf einen Schlag transferiert“, sowas erfolgt häppchenweise.
Um welche Summen es geht, „weiß man aber erst, wenn die Computer komplett ausgewertet sind“, sagt Ungefuk. „Geld lässt sich schnell zählen, aber Bitcoins muss man berechnen.“
Bargeld bei Hausdurchsuchungen, das meiste in Kleve
Die PCs wurden bei Hausdurchsuchungen in Kleve, Bad Vilbel und im
Landkreis Esslingen gefunden sowie von 550.000 Euro Bargeld das meiste in Kleve. Die ebenfalls hier entdeckte kleine Waffe in Kleinstkaliber gehört möglicherweise nicht dem 22-Jährigen, sondern seinem Vater. „Sachverständige überprüfen derzeit, ob sie überhaupt zum Verschießen geeignet war“, so Staatsanwalt Ungefuk.
Üppiger Computerkeller im Elternhaus
Der 22-Jährige hatte 2016 am Klever Freiherr-vom-Stein-Gymnasium sein Abitur gemacht. Schon zu Schulzeiten war sein beliebter Treffpunkt für den großen Freundeskreis. Der Klever galt als eher still, freundlich, ein netter Typ – „korrekt“ in der Jugendsprache – und bescheiden. Mit Geld hat er nie geprotzt, außer, dass er sich einen 5er BMW leistete, mit dem er auch zur Schule fuhr. Er erklärte seine Einkünfte durch den Verkauf von Software. Er begann eine Ausbildung zum Programmierer in Emmerich, seinem Talent entsprechend.
Aufbau krimineller Infrastruktur ist keine Straftat an sich
Das Aufbauen der kriminellen Infrastruktur ist für sich genommen kein eigener Straftatbestand. Deshalb wirft die Staatsanwaltschaft dem Trio „gewerbsmäßige Verschaffung einer Gelegenheit zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln“ vor. Ungefuk: „Dazu muss jeder einzelne Rauschgiftdeal aufgeklärt werden.“ Welch eine Aufgabe! Wie lange mag das dauern? „Nach sechs Monaten folgt eine große Prüfung des Oberlandesgerichts, ob die Ermittlungen auch beschleunigt geführt wurden. Wenn nicht, wird das Freiheitsrecht höher gewichtet als der staatliche Strafverfolgungsanspruch“, erläutert Georg Ungefuk. Verhandelt wird dann am Landgericht Frankfurt.