Kleve/Emmerich. . Viele Unternehmer im Kreis Kleve wissen nicht, wie sie mit dem Brexit umgehen sollen. Die IHK bereitet auf einen harten Schnitt vor.

Die zumindest für deutsche Augen und Ohren ungewöhnlichen Debatten über den Brexit im britischen Unterhaus mit dem stimmgewaltigen Sprecher John Bercow („Order!“) muten fast schon wie eine tägliche Vorabendserie an. „Ich habe mir angewöhnt, nur noch die Abstimmungsergebnisse anzuschauen. Die Argumente sind ausgetauscht und wiederholen sich immer wieder“, sagt Rüdiger Helbrecht.

Der Leiter der Außenwirtschaft bei der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer (IHK) schaut mit beruflichem Interesse auf den schwierigen Entscheidungsprozess im britischen Parlament. „Es fehlt weiterhin die Planungssicherheit. Die Unternehmen wissen nicht richtig, worauf sie sich vorbereiten sollen“, stellt Helbrecht fest. Deswegen rät die IHK auch den Firmen im Kreis Kleve, vom „Worst Case“ auszugehen. „Sie sollten sich auf einen harten Brexit einstellen“, sagt Helbrecht.

Mehr als zehn Millionen zusätzliche Zollanmeldungen

Rüdiger Helbrecht, hier mit seiner Kollegin Karina Knauer, leitet die Außenwirtschaft bei der Niederrheinischen IHK.
Rüdiger Helbrecht, hier mit seiner Kollegin Karina Knauer, leitet die Außenwirtschaft bei der Niederrheinischen IHK. © Daniel Elke

Geschätzt mehr als zehn Millionen zusätzliche Zollanmeldungen, Zölle in Milliardenhöhe und Beeinträchtigungen der Liefer- und Transportketten – das würden laut des IHK-Experten die am deutlichsten spürbaren Auswirkungen für deutsche Unternehmen bei einem ungeregelten britischen EU-Austritt sein. „Besonders kleinere und mittlere Firmen, die noch keine Erfahrungen im Geschäft mit einem Drittland haben, kennen die notwendigen Formalitäten womöglich nicht. Sie könnten dann in den ersten Wochen vom Export abgeschnitten sein“, so Helbrecht.

© Helge Hoffmann

Die IHK hat zum Brexit eine Checkliste und ein Glossar veröffentlicht, die ständig aktualisiert werden. In Duisburg fand zudem Ende Februar eine Info-Veranstaltung mit 80 Unternehmen statt. „Wir rechnen zudem vor allem Ende März verstärkt mit Anrufen. Unsere Außenwirtschaftsberater stehen dafür bereit“, sagt Rüdiger Helbrecht.

Klever Steuerberater erkennt viel Unsicherheit

Beim Uedemer Sicherheitsschuh-Hersteller van Elten wartet man noch ab, was in Sachen Brexit passiere. Das Unternehmen mache auch nur einen „kleinen einstelligen Betrag vom Gesamtumsatz auf dem britischen Mark“, so ein Firmensprecher zur NRZ.

Doch die Unsicherheit ist groß – sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatpersonen. Volker Klinkhammer führt in Kleve die Steuerberatungsgesellschaft „ETL Heuvelmann & van Eyckels“ und betreut Kunden, die sich unter anderem Gedanken über ihr Kapital in Großbritannien machen: „Es tauchen dann die Fragen auf: Muss ich mein Erspartes abziehen? Was passiert, wenn ich als englisches Unternehmen eine Gesellschaft in Deutschland habe? Welche umsatzsteuerlichen Aspekte muss ich künftig beachten?“ Noch gibt es viele Fragen und erstaunlich wenige Antworten: „Die Unsicherheit ist das größte Problem“, so Klinkhammer.

Hoffnung auf ein zweites Referendum

Dennoch sieht der Steuerberater, dass die hiesigen Unternehmer Planungen anstellen müssen: „Man kann jetzt nur mit Szenarien arbeiten. Was wäre wenn“, so Klinkhammer. In Gesprächen stelle er fest, dass viele Unternehmer noch gar kein richtiges Problembewusstsein entwickelt haben: „Denn der Brexit wird auch Unternehmen betreffen, die keine direkten Verflechtungen mit Großbritannien haben. Neben sie die Umsatzsteuer – die spielt auch für Unternehmen eine Rolle, die nur Dinge aus Großbritannien bestellen oder versenden.“

Die Emmericher Firma OnLevel, die unter anderem Ganzglas-Geländer und Balustraden entwickelt und vertreibt, unterhält neben dem Standort Emmerich mit 25 Mitarbeitern auch ein Büro bei Manchester. „Wir haben uns aber noch nicht auf einen möglichen Brexit, wie auch immer er aussehen wird, vorbereitet. Das machen wir kurzfristig, wenn klar ist, was wirklich passiert“, sagt Geschäftsführer Iwan Oude-Luttikhuis.

Das Unternehmen, seit 2016 in Emmerich, macht immerhin 25 Prozent seines Umsatzes von zehn Millionen Euro auf der Insel. Er sei aber einfach „hoffnungsloser Optimist“ und setze voll auf ein zweites Referendum. „Egal, was kommt, es wird gut“, lautet das Credo des 48-jährigen Niederländers.

Keine Brexit-Auswirkungen für Emmericher Hafen

Für den Emmericher Hafen hat der Brexit keine Folgen, so Geschäftsführer Jessner.
Für den Emmericher Hafen hat der Brexit keine Folgen, so Geschäftsführer Jessner. © Arnulf Stoffel

Offensichtlich gelassen scheinen doch einige Emmericher Firmen das britische Drama zu verfolgen. „Wir sind nicht gravierend vom Brexit betroffen“, meint etwa Bernd Liske, stellvertretender Geschäftsführer von Kao Chemicals. Das gilt auch für den Container-Hafen Emmerich. „Ein Brexit hat für uns keine Auswirkungen“, sagt Geschäftsführer Udo Jessner. Wenn überhaupt, würden nur ganz vereinzelt Container von oder nach Großbritannien umgeschlagen.

Megill ist ein überzeugter Europäer

Das politische Drama in London beobachtet auch Prof. Dr. William Megill ganz genau. Der Dozent in der Fakultät Technologie und Bionik der Hochschule Rhein-Waal besitzt einen englischen und kanadischen Pass und ist ein überzeugter Europäer. Für ihn ist der EU-Austritt „einfach enttäuschend. Ich verstehe immer noch nicht, wie man sich so ins Knie schießen konnte“.

Prof. Dr. William Megill, hier neben Kleves Bürgermeisterin Sonja Northing (links) und Ex-Hochschulpräsidentin Heide Naderer, sieht die britische Politik im „totalen Chaos“.
Prof. Dr. William Megill, hier neben Kleves Bürgermeisterin Sonja Northing (links) und Ex-Hochschulpräsidentin Heide Naderer, sieht die britische Politik im „totalen Chaos“. © NRZ

Megill sieht in der britischen Politik aktuell ein „totales Chaos“ und glaubt auch nicht an ein zweites Referendum: „Insbesondere die Hardliner bei den konservativen Tories haben sich mit ihrer Position so stark eingegraben. Und die EU wird für eine Brexit-Verlängerung sicher Bedingungen stellen.“

Sorge vor Langzeitkonsequenzen

Für den in Deutschland verbeamteten Hochschuldozenten stellen sich auch persönliche viele Fragen: „Darf ich weiter in Deutschland arbeiten? Was ist mit meinen Rentenansprüchen? Muss ich für ein Visum künftig nachts zur Ausländerbehörde oder sogar nach England?“

Er sei noch Optimist genug, um daran zu glauben, dass es für diese Probleme Lösungen geben werde. „Aber wegen der Langzeitkonsequenzen auf persönlicher Ebene ist momentan eine große Unsicherheit da“, sagt William Megill.

NRW-Exportvolumen

  • Das Exportvolumen von NRW-Unternehmen in das Vereinigte Königreich lag 2018 bei rund zwölf Milliarden Euro. Das Importvolumen betrug acht Milliarden Euro.
  • Im Bezirk der Niederrheinischen IHK, zu dem auch der Kreis Kleve gehört, sind 400 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer aus Großbritannien registriert.