Kleve. . Tankschiffe auf dem Rhein müssen regelmäßig „entgast“ werden. In Deutschland und in den Niederlanden gibt es aber kaum Vorrichtungen dafür.

Thomas Ruffmann ist empört. Der Fachbereichsleiter der Klever VHS hat am Dienstag fassungslos den Bericht der niederländischen Tageszeitung De Gelderlander zur Kenntnis genommen, demnach mit Benzin beladene Binnenschiffe aus Deutschland in großer Zahl ihre krebserregenden Benzolgase kurz hinter der niederländischer Grenze in die Umwelt pusten. Experten gehen von 2000 Löschungen im Jahr aus. Mittlerweile machen sich niederländische Fachleute Sorgen um die Gesundheit der Anwohner.

„Hier riecht immer etwas“

Thomas Ruffmann ist Anwohner. Und der Keekener macht sich in der Tat Gedanken. Bereits in der Vergangenheit hat er immer wieder „komische chemische Gerüche“ in der Luft wahrgenommen. Jetzt vermutet er, woher sie stammen könnten: vom Rhein. „Die Bewohner von Keeken und Bimmen kriegen die Gase bei Ostwind vermutlich volle Pulle ab. Hier riecht immer irgendetwas“, so Ruffmann. Aber ob dem tatsächlich so ist, darüber herrscht Ungewissheit.

Gesichert ist die Tatsache, dass die Entgasung von Binnenschiffen mit Erdöldestillaten in den Niederlanden nicht kontrolliert wird und es entlang des Rheins (oder Waal) auch kaum Entgasungsanlagen gibt – weder in den Niederlanden noch in Deutschland. „In der Region Rijnmond, rund um den Rotterdamer Hafen, gibt es nur zwei solcher Anlagen“, schildert Krispijn Beek aus Schiedam, der bereits seit Jahren auf die Situation aufmerksam macht. Der Bundesverband der Deutschen Binnenschiffer teilt der NRZ auf Anfrage mit: „Derzeit gibt es in Deutschland lediglich eine Anlage für betriebsinterne Entgasungen bei Lingen.“ Und: „Es gibt keine gezielten Kontrollen auf Entgasen.“

Grundsätzlich gilt aber in Deutschland: „Die Restdämpfe nach der Entleerung von Ottokraftstoffen, Kraftstoffgemischen oder Rohbenzin müssen in den Tanks verbleiben, bis diese wieder neu befüllt oder die Dämpfe einer Abgasreinigungseinrichtung zugeführt werden (Entgasung).“

Bereits im April 2012 warnte das niederländische Branchenblatt „Nieuwsblad Transport“ vor einem „Entgasungstourismus“ in die Niederlande. Nachdem in Deutschland das Ventilieren von Erdöldestillaten über das Bundesemissionsschutzgesetz verboten wurde, äußerte damals der Vorsitzende des „Centraal Bureau voor de Rijn- en Binnenvaart“, Robert Tieman, seine Befürchtung, dass nun die Binnenschiffer in die Niederlande ausweichen werden, um hier ihre Tanker zu entgasen. Denn in den Niederlanden gilt nur für Ottokraftstoffe ein Entgasungsverbot (siehe Box).

Prof. Harry Geerlings von der Erasmus-Universität in Rotterdam bezeichnete die Entgasung von Binnenschiffen als eines der größten Umweltprobleme des Landes. Die Provinzen, das Verkehrsministerium und Unternehmen wie Shell wollen jetzt in den nächsten zwei Jahren eine Lösung herbeiführen.

Gase sind krebserregend

Die Technische Universität in Delft geht in einer Studie aus dem Jahr 2013 davon aus, dass in den Niederlanden jährlich 1,5 bis zwei Millionen Kilogramm gefährlicher Gase von Tankschiffen ausgestoßen werden. Vergleichbare Zahlen für Deutschland liegen nicht vor. Auf NRZ-Nachfrage stellt sich heraus, dass weder das Landesumweltamt noch die Bezirksregierung und auch nicht die Wasserschifffahrtsverwaltung (WSA) in Duisburg für dieses Problem zuständig sind. Nach Angaben der WSA gibt es auch keine allgemeinen Luftmessungen entlang des Rheins.

Die Zeitung De Gelderlander recherchierte nun, dass die giftigen Benzingase mehrmals pro Tag in der Provinz Gelderland in die Luft geblasen werden. Dabei ist Benzol krebserregend, und der Anteil in der Luft darf in den Niederlanden eigentlich nicht mehr als ein Milligramm pro Kubikmeter betragen. Entgast allerdings ein Binnenschiff seine Ladung, dann werden 200.000 Milligramm je Kubikmeter freigesetzt, so Krispijn Beek aus Rotterdam.

In der Vergangenheit gab es in Millingen aan de Rijn bereits häufiger Beschwerden über Dieselgeruch in der Luft. Die örtliche Feuerwehr hat Messungen durchgeführt – allerdings änderte sich nichts: „Vor allem bei Ostwind können wir die Verunreinigung messen. In neun von zehn Fällen kommt dann die Dieselluft von Binnenschiffen herübergeweht“, sagt Feuerwehrleiter Peter Heijmen im Gespräch mit der NRZ. Es gebe regelmäßig Beschwerden über Dieselgerüche aus der Bevölkerung, diese leite er dann an die Rheinüberwachungsstelle in Nimwegen weiter – Konsequenzen habe dies aber nicht. Heijmen war früher selbst Binnenschiffer in der Tankbranche und wundert sich über die Ergebnisse nicht: „Das Entgasen ist teuer und kostet Zeit. Damals war es ganz normal, dass man auf dem Wasser entgast hat“, sagt er.

Manchmal nach Moerdijk

Genaue Kosten für die Entgasung kann der Bundesverband der deutschen Binnenschiffer nicht nennen. Fachmann Erwin Spitzer geht aber davon aus, dass dies vier bis acht Stunden dauern könnte. Er schreibt der NRZ, dass man durch „geschickte Disposition“ das Entgasen umgehen könne. Wenn man bei aufeinanderfolgenden Transporten gleichartige Produkte lade, sei ein Entgasen nicht erforderlich. Dieses Vorgehen habe aber auch Grenzen: „Viele Chemikalien vertragen nicht einmal Spuren von anderen Produkten. Die Schiffe müssen gewaschen und entgast werden“, so Spitzer vom Bundesverband. „Es gibt in Deutschland derzeit aber keine Anlage, wo man eine solche Dienstleistung einkaufen kann. Manchmal hilft nichts anderes, als in Moerdijk zu waschen und zu entgasen“, so Spitzer gegenüber der NRZ.

Für eine Kontrolle ist in Deutschland die Wasserschutzpolizei zuständig. Die NRZ hat der Polizei in Duisburg einen Fragenkatalog bezüglich der Kontrollen gestellt. Eine ausführliche Antwort steht allerdings noch aus (Berichterstattung folgt). Die Polizei teilt allerdings mit, dass man in Ruhrort und in Emmerich rund um die Uhr besetzt sei und je nach Lage auf dem Rhein Streife fahre und die Schifffahrt kontrolliere – auch in der Nacht.

Es gibt eine Lösung

Für das Entgasungsproblem gibt es bereits technische Lösungen, die nur nicht angewendet werden. Perry van de Bogt aus Nimwegen hat sich mit seinem Unternehmen „24/7 Naturepower“ auf die Entgasung von Binnenschiffen spezialisiert und möchte jetzt ein Netzwerk von Stationen aufbauen. Diesbezüglich führt er aktuell auch Verhandlungen in Deutschland.

Seine Technik würde sich für die Schiffer auch finanziell lohnen. „Ein Schiff, welches 3000 Kubikmeter Benzin geladen hat, beinhaltet nach der Löschung immer noch 900 Kilogramm Benzolgase“, sagt van de Bogt. Er habe ein Verfahren entwickelt, mit dem man aus dem Gas wieder ein Erdöldestillat gewinnen könne. Wegen der geringen Kontrollen werde seine Technik aber bislang noch kaum nachgefragt.

HINTERGRUND

Binnenschiffe mit Erdöldestillaten führen auch nach ihrer Löschung immer noch viele Gase in ihren Laderaum. Dieses Gas müsste in Deutschland in speziellen Absauganlagen entsorgt werden, die es aber nicht gibt. In Deutschland gibt es ein Entgasungsverbot für Ottokraftstoffe, Rohbenzin und Kraftstoffgemische. In den Niederlanden ist dies auf Ottokraftstoffe begrenzt.

In beiden Ländern gibt es nach Angaben der Branchenvertreter kaum Kontrollen und auch keine entsprechenden Absaugvorrichtungen.