Kleve/Düsseldorf. . Die politische Auseinandersetzung im Landtag zum Klever JVA-Fall hallt nach. Die Opposition hat viele Fragen, die Regierung wehrt sich.
Der Redebedarf war groß am Freitagnachmittag in der Sondersitzung von Rechts- und Innenausschuss im Düsseldorfer Landtag zum tragischen Tod des unschuldig in der JVA Kleve inhaftierten Syrers: Die SPD reichte einen Katalog von 107 Fragen ein, die Grünen stellten Justizministerium und Innenministerium sogar 161 Fragen. Sie sind der Versuch, Antworten in einem Fall zu erhalten, „der einen sprachlos zurücklässt“, wie Stefan Engstfeld, Sprecher für Rechtspolitik bei den Grünen, im Ausschuss sagte.
Die Selbstkritik des Innenministers
Fassungslosigkeit herrschte am Freitag, wie berichtet, über den „schweren handwerklichen Fehler“ der Polizisten der Klever Kreispolizeibehörde, den Innenminister Herbert Reul unumwunden zugab und für den er die Familie des verstorbenen Mannes um Entschuldigung bat. Reul schilderte, dass die Beamten – „anders als es die eindeutige Erlasslage vorschreibt“ – nach der Festnahme des 26-Jährigen am 6. Juli weder Fotos noch Geburtsorte oder Beschreibungen des Aussehens abglichen mit den Informationen eines von der Staatsanwaltschaft Hamburg mit zwei Haftbefehlen gesuchten Mannes.
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Dieser hatte den gleichen Namen benutzt und war mit dem gleichen Geburtsdatum (1. Januar 1992) gespeichert worden. Dass es sich dabei um Alias-Personalien handeln könnte, die weiterer Ermittlungen bedürfen, hinterfragte die Klever Polizei offensichtlich nicht. Deswegen ging der Syrer für Verbrechen ins Gefängnis, die ein Mann aus Mali begangen hatte.
Rücktrittsforderung an Justizminister Biesenbach
Seine Selbstkritik brachte Innenminister Reul bei SPD und Grünen Anerkennung ein. Um Justizminister Peter Biesenbach führten Opposition und Regierung die politische Auseinandersetzung dagegen mit harten Bandagen. Die SPD forderte Biesenbach erst verklausuliert, später dann deutlich zum Rücktritt auf. Der Angegriffene warf wiederum SPD-Fraktionsvize Sven Wolf „pure üble Nachrede“ vor, weil dieser unter anderem im Gespräch mit dieser Redaktion spekuliert hatte, dass Biesenbach das Parlament möglicherweise bewusst spät über die Erkenntnisse im Klever JVA-Fall informiert haben könnte.
Auch der Kreis Klever CDU-Abgeordnete Günther Bergmann ging Wolf an, hielt dem SPD-Politiker „Selbstgefälligkeit“ und „verbale Entgleisungen“ vor und unterstellte ihm, die Kritik an der Landesregierung nur zu Showzwecken zu artikulieren. „Eine lückenlose Aufklärung ist auch im Interesse der politisch Handelnden“, sagte Bergmann. Dass es bis dahin im komplexen wie tragischen Fall noch ein weiter Weg ist, sah jedoch auch Justizminister Peter Biesenbach so: „Auch wir haben noch einige Fragen.“
Warum fiel die Verwechslung in der JVA Kleve nicht auf?
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Die Prüfung der Identität sei nicht Aufgabe der Justiz, argumentierte Minister Peter Biesenbach. Aus dem Ministerium hieß es, dass man auf die Zuordnung in den polizeilichen Erkennungssystemen vertraut und darauf ohnehin keinen Zugriff habe. Belegt ist allerdings ein Gespräch der Klever Anstaltspsychologin vom 3. September mit dem Syrer, in dem dieser jegliche Verbindung zu dem Hamburger Urteil von sich weist. Biesenbach kündigte an, dass die Psychologin ab Mittwoch, 10. Oktober, dazu vernommen werden soll.
Was löste den Brand in der Zelle aus?
Die Brandursache ist auch drei Wochen nach dem Feuer ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft Kleve habe „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“, dass der Häftling den Brand selbst verursachte, hieß es aus dem Justizministerium. Die Ermittlungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Klar ist bereits: Das Feuer breitete sich vom mittleren Bereich der Matratze aus. Es wurde ein stark verbranntes Feuerzeug gefunden. Der verstorbene Gefangene wurde zwar als Nicht-Raucher in den Akten geführt, doch JVA-Beamte gaben an, dass er rauchte.
Interessant bei der Suche nach der Brandursache: Zunächst ermittelte das zuständige Fachkommissariat der Kreispolizeibehörde Kleve. 14 Beamte wurden dabei eingesetzt. Ein unabhängiger Brandsachverständiger untersuchte erst am 2. Oktober die zwischenzeitlich versiegelte Zelle.
Welche Konsequenzen drohen den Polizisten?
Die Staatsanwaltschaft Kleve ermittelt gegen sechs Polizisten wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung im Amt, wie Oberstaatsanwalt Günter Neifer bereits in der vergangenen Woche auf NRZ-Nachfrage konkretisierte. Zudem wurden Disziplinarverfahren gegen die Beamten eingeleitet.
Innenminister Herbert Reul sagte, dass das Ministerium die Kreispolizei Kleve sofort angewiesen habe, die Organisationsstrukturen und Abläufe bei der Bearbeitung von Haftsachen und Ingewahrsamnahmen kritisch zu überprüfen und sicherzustellen, dass diese Bearbeitung in Zukunft auch wirklich durch eine zentrale Stelle erfolgt. „Ich habe die Leiterin meiner Polizeiabteilung und den Landeskriminaldirektor persönlich nach Kleve geschickt, um diese Dinge sicherzustellen“, so Reul.