Düsseldorf/Kleve. . Innenminister entschuldigte sich im Sonderausschuss des Landtags. Harte Debatte über den Todesfall des in Kleve zu Unrecht inhaftierten Syrers.

In Raum E3 A02 des Düsseldorfer Landtags mit Blick auf den Rhein tagt eigentlich die CDU-Fraktion. An diesem Freitagnachmittag stehen in der letzten Reihe einige Papiertaschen mit dem Logo der Partei und unbekanntem Inhalt, die aussehen wie Geschenktüten. Als die Menschen in den Saal strömen, räumt sie ein Mann beiseite. Geschenke werden hier in den kommenden drei Stunden nicht verteilt.

Der Rechts- und Innenausschuss beschäftigte sich in einer gemeinsamen Sondersitzung mit dem Fall des wegen einer Verwechslung zu Unrecht in der JVA Kleve inhaftierten Syrers, der nach einem Brand in seiner Zelle seinen schweren Verletzungen erlegen war. Der tragische Tod wühlte die Politiker auf, die nach einer Schweigeminute eine harte Auseinandersetzung führten.

Innenminister spricht von schweren handwerklichen Fehlern der Polizei

Innenminister Herbert Reul (CDU) räumte einen „schweren handwerklichen Fehler“ der Polizei ein. „Für diesen Fehler in meinem politischen Verantwortungsbereich bitte ich die Familie des Verstorbenen von ganzem Herzen um Entschuldigung.“ In seinem ausführlichen Bericht schilderte Reul, wie zwei Streifenwagenbesatzungen am Nachmittag des 6. Juli zum Badesee am Heideweg in Geldern gerufen worden waren, weil sich vier Frauen von einem Mann sexuell bedrängt gefühlt hätten.

Die Polizisten nahmen den Mann mit auf die Wache, wo sie ihn durch den Fingerabdruck als 26-jährigen Syrer identifizierten. In der Fahndungsdatei fand sich zudem eine Übereinstimmung mit einer von der Staatsanwaltschaft Hamburg zur Fahndung ausgeschriebenen Person – einem Mann aus Mali, der früher einmal den gleichen Namen und das gleiche Geburtsdatum benutzt hatte, obwohl er eigentlich anders heißt. Für die Polizei war der Fall damit klar, zumal der gefasste Mann seit Herbst 2017 bereits einiger Vergehen verdächtigt worden war und wegen des Verdachts der Körperverletzung sogar einige Tage in Haft gesessen hatte.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sechs Polizisten

Entgegen eines eindeutigen Erlasses hätten die Beamten die Alias-Personalien nicht zum Anlass genommen, weitergehende Ermittlungsmaßnahmen wie Abgleiche von Fotos, Geburtsorten und äußerlichen Merkmalen durchzuführen, stellte Innenminister Reul fest. „Hätte man das getan, wäre sofort aufgefallen, dass da etwas nicht stimmen kann - weil der Gefasste und der Gesuchte unterschiedliche Geburtsorte haben und - vor allem - einfach komplett unterschiedlich aussehen. So etwas darf nicht passieren“, sagte Reul. Wie der Klever Oberstaatsanwalt Günter Neifer am Dienstag der NRZ bestätigte, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sechs Polizisten wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung im Amt.

SPD und Grüne lobten Reul für die schonungslose Selbstkritik, schossen sich jedoch umso mehr auf Justizminister Peter Biesenbach (CDU) ein. Der hatte zwar gesagt: „Wir müssen uns selbstkritisch fragen, was schief gelaufen ist. Denn dass etwas schief gelaufen ist, steht fest.“ Doch die Hauptverantwortung für die Fehlerkette, an deren Ende der zu Unrecht Inhaftierte starb, sah er bei der Polizei.

SPD-Fraktionsvize fordert Rücktritt des Justizministers

Die Opposition fragte gleichwohl mehrfach kritisch nach, warum in der JVA Kleve niemandem der Personenirrtum aufgefallen war. Anlass zum Zweifel habe es durchaus gegeben: das Strafvollstreckungsurteil der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 18. Juli für einen Mann aus Mali, ein aus der Hansestadt angestrengter Versuch des Personalienabgleichs Ende Juli und ein Gespräch der Klever Anstaltspsychologin mit dem 26-jährigen Syrer. Darin hatte dieser mitgeteilt, dass ihn das Hamburger Urteil nicht betreffe. Er sei zu der Tatzeit noch gar nicht in Deutschland gewesen.

Viele Fragen – auch zur weiterhin ungeklärten Brandursache – blieben auch nach der Ausschuss-Sondersitzung offen. SPD-Fraktionsvize Sven Wolf sagte im Anschluss, dass sich Biesenbach versteckt habe. Wolf formulierte eine Rücktrittsforderung: „Deswegen ist er nicht geeignet, das Amt des Justizministers auszuüben.“

Der Kreis Klever CDU-Abgeordnete Günther Bergmann, der sich in der Ausschusssitzung emotional zu Wort gemeldet hatte, nannte die Aussagen der beiden Minister dagegen im Gespräch mit dieser Redaktion „einen Quantensprung in Sachen transparenter Unterrichtung des Parlaments im Vergleich zur Vorgängerregierung“. Nun müssten die Prozesse bei Polizei und Justiz optimiert werden, damit sich die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung eines solch furchtbaren Falls verringere.