Kreis Kleve. . Im Interview sprechen Hans-Heinrich Beenen und Herbert Scheers über Zusammenarbeit, Sanierungen und eine Generation, die kein Hochwasser kennt.
Den Blick für die niederrheinische Weite und auf den breiten Strom haben weder Hans-Heinrich Beenen noch Herbert Scheers verloren. Doch die beiden Deichgräfen gehen mit anderen Augen als Ausflügler über den Deich. Als Herbert Scheers (Deichverband Bislich-Landesgrenze) den Schafsdraht sieht, entwickelt sich mit seinem Amtskollegen Hans-Heinrich Beenen (Deichverband Xanten-Kleve) ein Expertengespräch über die Engmaschigkeit des Netzes. Im Café/Restaurant De Deichgräf in Kalkar-Grieth treffen sie sich danach zum Doppelinterview mit der NRZ.
Herr Beenen, Herr Scheers, der Pegelstand des Rheins sinkt in diesen heißen Tagen. Wie beeinflusst die extreme Trockenheit die Arbeit der Deichverbände?
Hans-Heinrich Beenen: Für das Bauen ist trockenes Wetter natürlich wünschenswert, allerdings müssen die Unternehmen sehr viel Wasser zu den Baustellen fahren, um die enorme Staubbelastung zu unterbinden.
Kann die anhaltende Dürre den Deichen etwas anhaben?
Herbert Scheers: Unsere sanierten Deiche auf beiden Seiten des Rheins sind völlig anders aufgebaut als die Altdeiche, die zumeist aus voll homogenen Böden bestanden. Bei den neuen Drei-Zonen-Deichen, die im Kern aus hochverdichtetem Sand bestehen, ist die Wasserhaltefähigkeit deutlich geringer.
Eine Beregnung der Deiche wie in den Niederlanden kommt für Sie also nicht in Frage?
Beenen: Das ist derzeit nicht vorgesehen. Auf der für uns wichtigen Wasserseite haben wir eine zwei Meter dicke Lehmschicht, die noch länger Wasser hält und dadurch stabiler ist.
Scheers: Technisch könnten wir eine Beregnung auch gar nicht bewerkstelligen, schließlich haben beide Verbände rund 45 Kilometer Deich zu betreuen.
Bis zum Jahr 2025, so das erklärte Ziel der Deichverbände, sollen alle Deiche saniert sein. Ist die Hochwassergefahr am Niederrhein dann komplett gebannt?
Beenen: Man weiß natürlich nicht, was alles noch kommt, der Klimawandel lässt grüßen. Doch nach 2025 braucht sich niemand mehr große Sorgen zu machen. Wir bauen die Deiche jetzt mit einem Meter Freibord, das heißt einem Meter Sicherheit über der höchsten zu erwartenden Hochwasserlinie.
Scheers: Wenn wir die Deiche ordentlich unterhalten, wozu wir ohnehin verpflichtet sind, dann ist ein sehr, sehr hohes Maß an Sicherheit vorhanden. Zumal wir die modernen Deiche dank der fast überall angelegten Deichverteidigungswege auf der Landseite gut verteidigen können.
Wann ist die Sanierung zwischen Grieth und Knollenkamp abgeschlossen?
Beenen: Nur noch die Zäune fehlen. Wegen der Trockenheit gestaltet es sich aber ein wenig schwierig, die Pfähle in den Boden zu bekommen.
Im Winter musste der Deich provisorisch geschlossen werden, weil ein Abwasserrohr nicht rechtzeitig geliefert und eingebaut wurde. Wurde der Bau dadurch teurer?
Beenen: Uns sind keine Mehrkosten entstanden, weil es nicht das Verschulden des Deichverbandes war. Die Bürger mussten leider die Staub- und Dreckbelastung ein halbes Jahr länger ertragen.
Wie ist der Stand der Arbeiten zwischen Wisselward und Grieth?
Beenen: Da geht es richtig voran. Wir planen, Ende 2019 fertig zu sein. Durch den Kampfmittelräumdienst haben wir Zeit verloren, doch die Jungs müssen natürlich ihre Arbeit machen. Ich werde den Teufel tun und dies kritisieren, denn es gab jede Menge Funde – auch scharfe Granaten, die teils vor Ort gesprengt wurden.
Die Deichsanierung zwischen Bienen und Praest liegt dagegen deutlich vor dem Plan.
Scheers: Wir sind zwischen zwölf und 18 Monaten eher fertig. Das ist außergewöhnlich und erfreulich. Die niederländische Baufirma ist sehr gut und leistungsfähig. Zudem bleiben wir im Kostenrahmen und haben aus dem Altdeich wesentlich mehr guten Boden erhalten, als vorher gedacht.
Wann geht es zwischen Emmerich und Dornick los?
Scheers: Wir werden die Kappe im nächsten Frühjahr abnehmen. Bis dahin werden die Baustraße und die Zuwege über das Hinterland für die Deichanlieger erstellt und der Arbeitsstreifen sondiert.
Wenn 2025 alle Sanierungsmaßnahmen beendet sind, wird Ihnen dann eigentlich langweilig?
Scheers: (lacht) Langweilig wird uns bestimmt nicht, denn die Unterhaltung der Deiche geht komplett zu 100 Prozent auf die Deichverbände über. Da kommt erheblich was auf uns zu.
Beenen: Auch ich kann Ihnen garantieren, dass unsere Arbeit nach dem Abschluss der Sanierungen nicht weniger wird, weil wir eben nicht nur Hochwasserschützer sind. Beide Verbände kümmern sich auch um die Gewässerunterhaltung und müssen dafür sorgen, dass das Wasser aus dem Hinterland abfließen kann. Zudem gibt es seit einigen Jahren die Wasserrahmenrichtlinie, die uns verpflichtet, die Gewässer in einen naturnahen Zustand umzubauen. Die strengen Vorgaben machen uns das Arbeiten teilweise sehr schwer.
Welche Schwierigkeiten meinen Sie?
Beenen: Wir dürfen beispielsweise nicht im zeitigen Frühjahr mähen, weil dann die Bodenbrüter da sind. Später möchte der Landwirt gerne seine Früchte nutzen und nicht vom Deichverband platt gefahren bekommen. Das ist ein sehr enges Zeitfenster. Ich bin stinksauer, dass man uns da die Kompetenz abgesprochen hat. Viele andere glauben mittlerweile, den Job besser machen zu können als diejenigen, die ihn schon seit zig Jahren erledigen.
Scheers: Wir sind keine Naturfeinde und möchten nicht die ausgeräumte Natur haben, aber wir brauchen ein vernünftig abgewogenes Verhältnis zwischen Hochwasserschutz und ökologischem Schutz. Das gesunde Maß ist da verloren gegangen. Wir sind generell der Meinung, dass die Genehmigungsverfahren viel zu lange dauern und viel zu kompliziert sind.
Gefahrenquelle oder Garant für Lebensqualität: Was ist der Rhein für Sie?
Scheers: Er gehört zu unserer Heimat. Wir leben ja auch davon und schreiben zum Beispiel Emmerich am Rhein. Dabei wissen wir aber auch, welche Gefahr hinter dem Deich lauert. Der Rheinpegel kann bis zu zwei Meter am Tag zulegen.
Beenen: Weil die beiden letzten ernstzunehmenden Hochwasser 1993 und 1995 waren, gibt es aber eine ganze Generation, die gar nicht weiß, was Hochwasser ist.
Wie arbeiten Ihre beiden Deichverbände zusammen?
Beenen: Zum einen sind wir durch eine Dachorganisation verbunden, den Arbeitskreis Hochwasserschutz und Gewässer, wo wir uns regelmäßig austauschen. Zum anderen treffen sich unsere Geschäftsführer einmal im Monat zu einem Dienstgespräch. Es wird nie passieren, dass wir uns gegeneinander ausspielen lassen. Wir brauchen uns gegenseitig.
Scheers: Bei gemeinsamen Interessen sprechen wir mit einer Stimme bei der Bezirksregierung oder beim Ministerium. Erst das macht Eindruck. Wir sollten froh sein, dass wir den über Verbände organisierten Hochwasserschutz haben, der nicht in die Hände von Bezirksregierung oder anderen Behörden kommen sollte. Das würde garantiert nicht billiger werden.
Beenen: Und garantiert nicht besser. Wir wohnen hier vor Ort und kennen die Gefahren. Wenn bei Hochwasser die Deiche begangen werden müssen, rufen unsere Ehrenamtlichen von selbst an. Davor drückt sich niemand. Ich glaube aber nicht, dass Düsseldorf in der Lage wäre, nachts alle zwei Stunden Leute zu rekrutieren, die gewissenhaft über unseren Deich laufen.