Kleve. . Der Weseler Museumsleiter Veit Veltzke hat eine Historie der Niederrheinlande vorgelegt. Auch das Klever Herzogtum wird beleuchtet.
Die Verbindungen zwischen dem Niederrhein und den Niederlanden sind so vielfältig, dass man sie nicht besonders betonen müsste. Für Jahrhunderte bildete die Landschaft zwischen Flandern, Brabant und dem Herzogtum Kleve eine kulturelle Einheit, die sich durch einen intensiven Austausch von Personen und Waren, Ideen und Dienstleistungen kennzeichnete. Die Grenzen, die uns heute mehr trennen als damals, waren im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit kaum vorhanden. „Es ist uns ein Anliegen zu zeigen, wie stark der Niederrhein und die Niederlande zusammen gewachsen sind“, sagt Museumsdirektor Veit Veltzke aus Wesel, der im März ein wundervolles neues Museum eröffnen konnte, das genau dieses Thema zum Schwerpunkt gewählt hat.
Erzählte Geschichte
Es gibt so viele Geschichten zu erzählen. Veit Veltzke hat die schönsten in einem prächtigen Begleitband („Wesel und die Niederrheinlande“) neu erforscht und für ein breites Publikum aufgeschrieben. Von der Christianisierung bis zur Säkularisierung erklärt er die Historie des Niederrheins neu und geht dabei ausführlich auf die Wechselwirkungen ein. Das Herzogtum Kleve, welches durch seine territoriale Verbindung zwischen den Niederlanden und dem Erzbistum Köln immer eine besondere Vermittlerposition eingenommen hat, wird von Veltzke auf vielfältige Art einbezogen. Denn Kleve als Residenzstadt und Kalkar als wichtige Hansestadt sind am unteren Niederrhein gemeinsam mit Emmerich und Wesel wichtige Bürgerstädte. „Sie waren die wirtschaftlich wichtigsten Zentren im Herzogtum“, erläutert Veltzke, der anhand von Lebensgeschichten herausragender Persönlichkeiten die besonderen Beziehungen in der territorialen Mischregion deutlich macht.
Zu nennen wäre da etwa der Heilige Willibrord. Der Missionar aus England wurde im 7. Jahrhundert zum „Apostel des Niederrheins“. Er christianisierte die heidnische Landbevölkerung von Friesland bis Luxemburg. Gleichwohl „wissen wir so gut wie nichts über seine Stationen und Aufenthalte“, schreibt Veltzke.
Das Wirken Willibrords in Emmerich ist „überliefert“, jedoch nicht nachweisbar. Ein Reliquienschatz von St. Martini macht seinen Aufenthalt in der Rheinstadt wahrscheinlich. Auch in Rindern und Wesel hat er seine Spuren hinterlassen, ebenso in der Bischofsstadt Utrecht.
Veltzke ist auf der Suche nach besonderen Geschichten. So erzählt er unter anderem die Grablege des ersten klevischen Herzogpaares, das auf Umwegen im Willibrord-Dom in Wesel begraben liegt, eine Ruhestätte, die nur die wenigsten Klever kennen.
Stundenbuch der Katharina von Kleve
Auch das Stundenbuch der Katharina von Kleve nimmt einen breiten Raum ein. „Das prachtvoll geschmückte Gebets- und Andachtsbuch, um 1440 entstanden, darf als einsamer Höhepunkt der nordniederländischen Buchmalerei gelten“, schreibt Veltzke. Der Historiker berichtet in seinem Aufsatz über das schwierige Verhältnis Katharinas zu ihrem Mann Arnold von Egmont, mit dem sie eine unglückliche Ehe führte. Sie wuchs in der Folge immer mehr in eine eigenständige Rolle hinein und verstand es, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen. Das üppige Stundenbuch ist ein Ausdruck ihres Selbstverständnisses. „Katharina greift immer stärker in das Getriebe der großen Politik ein“, schreibt Veltzke.
Der Autor weiß lebendig zu schreiben. So ist der „Klosterkrimi“ der Dominikaner in Wesel und Kalkar sehr lesenswert. Mitte des 15. Jahrhunderts führten die Mönche in Wesel offenbar ein Lotterleben. Die Brüder hielten sich nicht an die strengen Regeln. So wurde das Abendgebet nicht zum Abschluss des Tages gesprochen, sondern man betete erst und widmete sich dann dem Weingenuss. Dem Klever Herzog Johann I. (1419-1481) war dies ein Dorn im Auge und er begann von Kalkar aus nach dem Rechten in Wesel sehen. Der Kalkarer Dominikaner Hermann van den Rhyn sollte Ordnung schaffen. Und in der Tat wurden einige Weseler Dominikaner nach Kleve gebracht. Später erzielte man eine Einigung zwischen Kloster, Stadt und Herzog. In einem Punkt konnten sich die aufsässigen Dominikaner allerdings durchsetzen: Sie durften ihre dreimaligen Fleischspeisen pro Woche auch weiterhin genießen.
Humanismus am Niederrhein
Bedeutend in der Niederrhein-Historie ist die Rolle des Klever Herzogtums auch im 80-jährigen Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien. So haben die Städte sowohl katholische als auch protestantische Flüchtlinge aus den Niederlanden aufgenommen, und dies sei ein besonderer Ausdruck der religiösen Toleranz gewesen. Veltzke berichtet, dass zwischen 1611 und 1612 über 15 000 niederländische Katholiken sich in Emmerich firmen ließen. Der starke Jesuitenorden bildete die Stadt zu einem Bollwerk der katholischen Elite aus.
Überhaupt ist der Humanismus am Niederrhein ein Alleinstellungsmerkmal der damaligen Zeit. „Hier spielte der Niederländer Erasmus von Rotterdam eine prägende Rolle. Aber Konrad Heresbach, der Erzieher Herzog Wilhelm V., setzte eigene Akzente und war dem Luthertum nicht abgeneigt“, erzählt Veltzke.
In seinem Buch verläuft der Kulturtransfer im Wesentlichen in eine Richtung: von den Niederlanden an den Niederrhein. „Das entspricht wahrscheinlich auch der tatsächlichen Gewichtung. Viele Impulse kamen aus dem Westen“, so Veltzke.