Nimwegen. . Jeden Abend laufen niederländische Armeeveteranen über die neue Waalbrücke „De Oversteek“, um an 48 amerikanische Fallschirmjäger zu erinnern.
1944 starteten die Alliierten die gigantische Luftlandeoperation „Market Garden“, mit dem Ziel, Hitlers Westwall zu umgehen und schneller ins deutsche Kernland vorzustoßen. Zu dem Plan gehörte auch die Eroberung der Waalbrücke in Nimwegen. Doch die britischen und amerikanischen Soldaten stießen auf unerwartet starken Widerstand und mussten sich nach zehn Tagen zurückziehen. Am Ufer der Waal fanden 48 amerikanische Soldaten des 504. Fallschirmjäger-Regiments der 82. Luftlandedivision den Tod.
Die tägliche Erinnerung
69 Jahre danach wurde in Nimwegen die neue Waalbrücke „De Oversteek“ (Kreuzung) eröffnet. Sie steht etwa dort, wo die amerikanischen Soldaten im heroischen Kampf fielen. Daran erinnern die Niederländer mit der Beleuchtung der Brücke: Sie besteht aus 48 Laternenpaaren, die zum Sonnenuntergang nacheinander angehen und so in zwölf Minuten den Übergang über den Fluss symbolisieren.
Schon diese Art des Erinnerns ist einzigartig, doch der niederländischen Veteranenvereinigung Overbetuwe ist es zu verdanken, dass sie um eine Gedenkveranstaltung bereichert wurde, die weltweit ohne vergleichbares Beispiel ist – den Sunset March. Seit dem 19. Oktober 2014 laufen unter Führung von Veteranen – in Holland bezeichnet dieser Begriff, anders als in Deutschland, Soldaten, die von Einsätzen im Ausland zurückgekehrt sind, so dass auch jüngere Menschen als Veteranen gelten können – Menschen im Tempo der angehenden Straßenbeleuchtung über die 988 Meter lange Brücke.
Das sind, den gestrigen Freitag eingerechnet, exakt 1287 Tage, an denen jeweils für zwölf Minuten den Gefallenen gedacht wurde – bis jetzt also 15 444 Minuten Gedenken an den Kampf für die Freiheit. Jeden Abend ist mindestens ein Veteran am Ausgangspunkt – sie können sich online in einer Liste eintragen, ansonsten vertrauen die Initiatoren darauf, dass diese den jeweiligen Übergang wie vorgesehen abwickeln. „Das sind Soldaten, die wissen, was zu tun ist“, sagt Tim Ruijling, der Mann, der den Stein ins Rollen brachte.
Die Aktion beginnt mit der gemeinsamen Brückenüberquerung – würdevoll und schweigend – und endet auf dem gegenüberliegenden Ufer an einem Denkmal mit einem militärischen Gruß. Manchmal läuft nur eine Handvoll Menschen mit, am 20. September 2017, dem Jahrestag der Waalüberquerung, waren es 400. Und beim Sunset March mit der Nummer 504 kamen sogar die Soldaten des heutigen 504. Fallschirmjäger-Regiments der amerikanischen Streitkräfte und nahmen am Gedenken für ihre gefallenen Landsleute teil. „Ich habe eine Mail an das Regiment geschrieben und bekam postwendend die Zusage“, erinnert sich Ruijling.
Doch wie kommt man überhaupt auf so eine Idee? Ruijling hatte in der Zeitung „De Gelderlander“ einen Bericht über die Lichtinstallation an der Brücke gelesen. Für die niederländischen Luftstreitkräfte war er in Ägypten, Israel und Kroatien im Einsatz gewesen. Als Oberstleutnant a.D. bezweifelte er, dass die Marschier-Geschwindigkeit, mit der die Laternen nacheinander angingen, richtig benannt worden war und beschloss, dies zu überprüfen, indem er über die Brücke lief. Ruijling hatte recht, es war ein „langsamer Marsch“, doch diese Spitzfindigkeiten verblasste hinter der Idee, die ihm beim Laufen kam: Warum nicht jeden Tag im Tempo der Laternen über die Brücke gehen?
31 Veteranen machen mit
Im Kreise seiner Veteranenrunde stellte er das Projekt vor. „Und noch während ich davon erzählte, sah ich in ihren Augen die Zustimmung“, berichtet der Veteran. Sie setzten zunächst eine Website auf (www.sunsetmarch.nl), die das Projekt beschrieb und es Kameraden ermöglichte, sich für einen bestimmten Tag einzutragen. Drei Wochen später stand die Seite, und am Samstag, 19. Oktober 2014, startete der erste Sunset March. Presse und Fernsehen berichteten alsbald und sorgten für einen stetigen Zustrom von Interessenten. Mittlerweile haben die Organisatoren ein Kernteam von 31 Marschierern, so dass für jeden Tag des Monats auf jeden Fall ein Veteran bereitsteht, um die Kette der Übergänge nicht abreißen zu lassen.
Warum es ihm so wichtig ist, an diesen Kampf zu erinnern, erklärt Ruijling so: „Ich bin für mein Land auf Auslandseinsätzen und habe meine Pflicht erfüllt, für Frieden und Freiheit zu sorgen. Dass ich die Möglichkeit dazu hatte, dafür haben auch diese 48 Soldaten gesorgt. Doch sie haben den Kampf nicht überlebt. Wir sollten nie vergessen, was wir ihnen zu verdanken haben.“