Kleve. . Im Zuge der Kommunalreform 1969 verdoppelte sich die Einwohnerzahl Kleves. Der Widerstand in Kellen war enorm. Verfassungsbeschwerde in Münster.

So traurig es ist, Kleve war, wieder einmal, am Ende. Rückblickend schrieb Wolfgang Krebs, der langjährige technische Beigeordnete, in einem Zeitschriftenbeitrag einige Jahre später: „Die damalige Stadt Kleve gehörte mit ihren rund 7 qkm Fläche bis 1969 zu den am dichtesten besiedelten Städten weit und breit. Über 3000 Einwohner kamen auf einem Quadratkilometer. Die Kleinheit des Stadtgebietes und die fast unvorstellbare Bevölkerungsdichte setzten jeder Planung von vornherein enge Grenzen.“

Notwendiger Lebensraum

Dann kam, zum 1. Juli 1969, die kommunale Gebietsreform, ein Gesetz, das das Gesicht des Landes für immer veränderte. Mit einem Schlag hatte Kleve nicht mehr nur 22 803 Einwohner, sondern 45 283. Das Stadtgebiet wuchs um mehr als das zehnfache auf 97,4 Quadratkilometer.

„Mit diesem Gesetz erhält der Raum Kleve endlich den notwendigen Lebensraum. Was in den vergangenen Jahrhunderten nicht erreicht werden konnte wurde in der Gegenwart Wirklichkeit“, sagte der damalige Stadtdirektor Dr. Johannes Scholzen zu Jahresbeginn 1969 in einer Ausschusssitzung, als gerade über das neue Gesetz diskutiert wurde. Kleve war dafür.

Am 1. Juli 1969, einem Dienstag, erschien die NRZ in Kleve mit dem Aufmacher „Als Warbeyener eingeschlafen – als Klever heute erwacht“, und das brachte die Sache auf den Punkt, denn der Kern der Reform für Kleve war die Eingemeindung sämtlicher umliegender Dörfer, mit Ausnahme der Flecken, die dank des Wirkens des Hauer Landtagsabgeordneten Johann van Aken zu der Gemeinde Bedburg-Hau zusammengefasst wurden.

Die Seite 1 der Rheinischen Post hingegen hatte für das epochale Ereignis am 1. Juli nur eine einspaltige Meldung bereit. Darin ging es unter der Überschrift „Keine schweren Nachteile“ um den wohl wichtigsten Versuch, diese Reform, die uns heute allen selbstverständlich und logisch erscheint, zu stoppen – um die Verfassungsbeschwerde der Gemeinde Kellen und das sie begleitende juristische Feuerwerk.

Kellen contra Kleve

Der Widerstand der Gemeinden und Ämter, die ihre Selbstständigkeit verlieren sollten, war beträchtlich. Allen voran Kellen, durch die Margarineindustrie zu beträchtlichem Reichtum gelangt und seit jeher auf Eigenständigkeit bedacht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete der britische Kreiskommandant das Bürgermeisteramt Kleve-Kellen-Materborn. Kellen klagte dagegen, bekam 1951 Recht, doch Kleve zögerte, den Ort wieder in die Eigenständigkeit zu entlassen, so dass am 11. August 1951 zweitausend Kellener Bürger zum legendären „Marsch auf Kleve“ aufbrachen und vor dem Rathaus (damals Haus Koekkoek) protestierten. Mit Erfolg. Am 18. Mai 1960 verpflichtete sich Kleve sogar vertraglich, keine neuen Bemühungen zur Eingemeindung zu unternehmen.

Das alles sollte nun durch die von der Landesregierung initiierte Reform nicht mehr gelten. Die Gemeinde, deren Selbstbewusstsein sich im 1968 bezogenen Verwaltungsgebäude der Union-Lebensmittelwerke manifestierte, das mit seinen sechs Stockwerken sämtliche Gebäude der benachbarten Stadt überragte (Schwanenburg und Kirchen ausgenommen), beauftragte einen Gutachter, der darlegen sollte, warum Kellen nicht Kleve zugeschlagen werden sollte.

Der beauftragte Professor fand Dutzende Gründe, am eindrucksvollsten wohl der, der unter Punkt „n“ aufgelistet ist: „Auf dem Gebiet des Friedhofswesens hat die Gemeinde Kellen Vorbildliches geschaffen. Neben einem vorhandenen alten Friedhof wurde in 4 Bauabschnitten ein neuer Friedhof nebst Feierhalle und Glockenturm errichtet.“

Doch das Verfassungsgericht NRW in Münster schmetterte die Beschwerde ab. Auch die Proteste aus Rindern und den angrenzenden Düffel-Gemeinden, die teils an Kranenburg und teils an Kleve angeflanscht wurden, hatten trotz harscher Rhetorik keinen Erfolg.

In einer Stellungnahme der Gemeinden des Amtes Rindern ist von Brüskierung und Bitterkeit die Rede, und es heißt: „Die Bevölkerung des Grenzlandes hat es nicht verdient, dass ihre berechtigten Wünsche unberücksichtigt bleiben.“ Es ergebe sich „mit Recht die Frage, weshalb die bestehende Verwaltungseinheit ‚Amt Rindern‘ überhaupt auseinandergerissen werden soll“.

Mission erfüllt

Nur Kleve selbst sah vor allem die Vorteile. „Die alte Stadt Kleve hat damit ihre Mission erfüllt“, schrieb Stadtdirektor Scholzen. Die große Linie setzte sich vollständig durch, so dass einige Jahre später der technische Beigeordnete Krebs in dem eingangs erwähnten Artikel eine beachtliche Würdigung für das Ergebnis fand. Unter Verweis auf ein barockes Zitat, demzufolge Kleve eine Art Paradies sei, berichtete er über die vielen Planungen, die durch die kommunale Neuordnung ausgelöst worden seien. Damit habe Kleve einen „wichtigen Schritt in die Richtung“ gemacht. Richtung Paradies.