Kleve. . Am 1. Oktober 1898 erfolgte die erste große Erweiterung des Klever Stadtgebiets: Rindern, Donsbrüggen, Kellen, Hau und Materborn kamen hinzu.
Große Feierlichkeiten hat es damals nicht gegeben und die offizielle Stadtchronik übergeht das Datum stillschweigend, aber dennoch war der 1. Oktober 1898 ein Tag von epochaler Bedeutung in der Klever Stadtgeschichte: Es fand damals die erste große Stadterweiterung statt. Das Stadtgebiet vergrößerte sich durch die Eingemeindung von Teilen der Nachbarkommunen Donsbrüggen, Hau, Kellen, Materborn und Rindern um das Dreieinhalbfache, von 178,1 auf 659,9 Hektar.
Stadterweiterungen kamen im späteren 19. Jahrhundert in der Rheinprovinz öfter vor. Zu Mülheim an der Ruhr waren 1878 zwei Dörfer eingemeindet worden und Köln wurde 1888 sogar um sämtliche Gemeinden vor den alten Stadttoren erweitert. Viel zahlreicher sind aber die Stadterweiterungen im frühen 20. Jahrhundert. In der Regel waren sie die Antwort auf ein starkes Wachstum der städtischen Bevölkerung in Kombination mit der Industrialisierung.
Kaum Industrie
In Kleve kann davon für die Zeit um 1860, als die ersten Überlegungen zu einer Stadterweiterung angestellt wurden, nicht die Rede sein. Damals war hier noch kaum Industrie vorhanden und die Einwohnerzahl belief sich Ende 1855 auf 8171 Personen, nur knapp 1250 mehr als 1819. Die Argumente für eine Stadterweiterung, die damals und in den nachfolgenden Jahrzehnten genannt wurden, bezogen sich vor allem auf die wachsende Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur der Stadt. Kleve investierte in Eisenbahnverbindungen und meinte, es habe einen Anspruch auf das so erschlossene Gelände. Es sah hier Bauland vor, ähnlich wie am Spoykanal.
Sogar der Bahnhof lag nicht auf Klever Grundgebiet, als er 1862/63 errichtet wurde. Daneben stellte man in Kleve zähneknirschend fest, dass in den Nachbarkommunen nahe der Grenze zu Kleve Villen, Hotels und später zunehmend auch Mietwohnungen standen, deren teils sehr wohlhabende Eigentümer und Bewohner die Vorteile der Stadt genossen, aber hier keine Steuern zahlten. Ihre Kinder gingen hier zur Schule und die Bewohner des zu Rindern gehörenden Teils des Tiergartens erhielten beispielsweise Gasbeleuchtung und Wasserversorgung. Aus städtebaulicher Sicht zählten sie zu Kleve.
Bevölkerungswachstum durch Industrialisierung
Eine städtische Kommission, die eine „zweckmäßige Arrondierung des Gemeindebezirkes“ vorantreiben sollte, wurde bereits 1865 ins Leben gerufen, aber konkrete Resultate blieben lange Zeit aus. Die ab den 1880ern dann doch einsetzende Industrialisierung erhöhte den Handlungsbedarf, unter anderem weil auch die Bevölkerung stärker wuchs: Ende 1890 lebten in Kleve bereits 10 409 Personen.
Eine Teillösung bot der Erwerb eines Geländestreifens entlang des Spoykanals 1895, den die Stadt für den Ausbau des Hafens benötigte. Der große Durchbruch kam jedoch erst, als man den Regierungspräsidenten Georg von Rheinbaben bei seinem Antrittsbesuch in Kleve im Juli 1896 für sich gewinnen konnte. Bald erfolgte ein Grundsatzbeschluss zur Stadterweiterung durch Teileingemeindungen. Danach konnte mit den Nachbarkommunen über die Konditionen verhandelt werden. Am 4. April 1898 fiel der Kabinettsbeschluss zur Erweiterung zum darauffolgenden 1. Oktober.
Entschädigungen für Gebietsabtretungen
Eine Grundlage dafür bildeten Verträge der Stadt mit den einzelnen Nachbargemeinden. Dabei ging es vor allem um eine Entschädigung für Steuerverluste durch die Gebietsabtretungen. Man einigte sich in den meisten Fällen auf eine ewige Rente. Im Falle der Gemeinde Hau belief diese sich zum Beispiel auf 63 Prozent der entfallenden Steuererträge.
Ein Problem stellte hier allerdings das Gut Bellevue dar, dessen Eigentümerin, die Witwe Hiby, sehr wohlhabend war. Kleve wollte in diesem Falle keine feste ewige Rente zahlen, sondern einen Betrag, der sich jährlich auf 63 Prozent der tatsächlichen Steuerzahlung belief. Im Jahr 1898/99 zahlte die Stadt so für dieses Gut 1310 Mark. Dem standen 1418 Mark für das restliche durch Hau abgetretene Gebiet gegenüber. Weitere Entschädigungen betrafen die Schulen in Materborn und Rindern, die Kleve übernahm. In Sachen der Schule in Hau wurde bedingt, dass sie nur noch vorübergehend von Kindern im eingemeindeten Bereich besucht werden durfte. Auch gab es Regelungen zur Wasserversorgung. Die von den Gemeinden abgeschlossenen Jagdverträge behielten ihre Gültigkeit.
Wachsende Bevölkerung
Die Bevölkerung wuchs durch die Stadterweiterung von knapp 11 000 auf über 14 500 Personen, die Einkommensteuer von etwa 87 500 auf rund 111 000 Mark. Für die Zukunft erhoffte man sich eine „Entwicklung und Ausdehnung der Stadt nach jeder Richtung“: „Der Bautätigkeit ist jetzt neues Terrain erschlossen worden“.
Das betraf aber vor allem die Bereiche auf beiden Seiten der jetzigen Hofmannallee. Große Teile des hinzugewonnenen Gebiets sind grün geblieben. Das war teilweise auch so gewollt: Man hatte verstanden, dass eine Stadt mehr braucht als Häuser, Straßen und gewerbliche Anlagen. Nicht umsonst erwarb Kleve bald die großen Alleen in Materborn und den Moritzpark. Die Stadterweiterung von 1898 war ein Meilenstein in der Stadtgeschichte, aber sollte sich als unzureichend erweisen. Sehr bald begann die Diskussion um die Größe des Stadtgebiets erneut.