Kleve. . Das Institut der barmherzigen Schwestern und der evangelische Diaconissen-Verein schreiten „in der nützlichen Wirksamkeit voran“.
„Das Institut der barmherzigen Schwestern wurde zur Aufnahme von Kranken eröffnet, nachdem der Ausbau und die Ausstattung desselben ebenso zweckmäßig als schön im Laufe des Jahres beendigt und drey Schwestern dabei angestellt worden. Dasselbe hatte sich wiederum mehrer ansehnlichen Geschenke zu erfreuen. Ebenso schreitet der evangelische Diaconissen-Verein in seiner nützlichen Wirksamkeit voran. Bei demselben sind zwei Schwestern thätig.“
Mit diesen Sätzen vermerkt die Klever Stadtchronik im September 1845 einen tiefgreifenden Einschnitt in die Klever Sozialgeschichte, den Beginn der konfessionellen Armen-, Kranken- und Wohlfahrtspflege, die die Stadt mehr als hundert Jahre lang prägen sollte. Die Initiative zur Gründung des St. Antonius-
Hospitals war vom damaligen Vikar der Unterstadtkirche, Johann-Anton Ysermans, ausgegangen. Mit seiner Idee eines von katholischen Ordensschwestern betreuten Krankenhauses gelang es ihm, Förderer zu finden, mit deren Hilfe er das leerstehende Gebäude des ehemaligen Minoritenklosters erwerben und entsprechend umbauen konnte. Die größte Unterstützung fand er hierfür bei der Familie von Höevell zu Gnadenthal.
Auch Ysermans Suche nach einem geeigneten Orden war erfolgreich. Die 1808 in Münster gestiftete Genossenschaft Barmherziger Schwestern – die Clemensschwestern – erklärte sich bereit, eine Niederlassung in Kleve zu errichten.
Wachsendes Elend in der Bevölkerung
Diese neue Art von Frauenorden, die sich speziell pflegerischen und sozialen Aufgaben widmeten, war eine Folge der Umwälzungen durch die französische Revolution und die beginnende Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Dem wachsenden Elend in der Bevölkerung war durch die alten vorwiegend familiären Versorgungsstrukturen nicht mehr zu begegnen. Die Frauen, die nun in großer Zahl in die Krankenpflegeorden eintraten, erhielten eine entsprechende Ausbildung und waren anschließend in den allerorts neu entstehenden katholischen Einrichtungen tätig.
Anreiz: Berufstätigkeit außerhalb von Ehe und Familie
Sicher waren bei der Entscheidung der Frauen, in einen Orden einzutreten, die geistliche Berufung und das Bedürfnis nach tätiger christlicher Nächstenliebe bestimmend. Hinzu trat aber auch der Anreiz einer sinnvollen Berufstätigkeit außerhalb von Ehe und Familie.
Seit 1827 gab es in Kleve bereits eine städtische Armen- und Waisen-Anstalt – „die Münze“-, deren Geschichte bis in das 13. Jahrhundert zurückreichte. Damals war das „Gemeine Gasthaus“ entstanden, das später in ein Arbeitshaus umgewandelt worden war. Seinen Namen hatte das Gebäude am Kermisdahl in der Nähe der Alten Brücke erhalten, als dort in der Mitte des 18. Jahrhunderts für wenige Jahre eine preußische Münzprägestätte eingerichtet worden war.
Bis 1851 wurde die Münze durch einen weltlichen Inspektor geleitet. Dann beschloss die katholische Stadtratsmehrheit, diesen durch Angehörige der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Karl Borromäus (der Borromäerinnen) zu ersetzen. Vergebens hatten die evangelischen Stadträte gegen die Verletzung der Rechte des evangelischen Teils der Bürgerschaft protestiert.
Verhältnis zwischen den Konfessionen verändert
Für die Armen, Alten und Waisen der Stadt handelte es sich sicher um eine sehr gute Entscheidung und war in Anbetracht der Tatsache, dass die Klever Bevölkerung zu über 82 % katholisch und auch der größte Teil der Bedürftigen katholisch war, verständlich. Das Verhältnis zwischen den Konfessionen wurde hierdurch jedoch nachhaltig verändert.
Die Reaktion der evangelischen Gemeinde war 1853 die Gründung der „Neuen evangelischen Stiftung“. Mit besonderer Unterstützung von Amalie Prinzessin zu Waldeck und Pyrmont, geb. Gräfin zur Lippe Biesterfeld, die auf dem Prinzenhof einen Wohnsitz hatte, konnte ein geräumiges Anwesen an der Hagschen Straße gekauft werden. Die Betreuung der bedürftigen evangelischen Gemeindemitglieder wurde Diakonissen übertragen, die den katholischen Ordensschwestern in vielem ähnelten und für Aufgaben der häuslichen Pflege schon 1844 nach Kleve gekommen waren.
Für Kinder konfessionelle Bewahranstalten
Die konfessionelle Aufspaltung sozialer Einrichtungen in dieser Zeit ist jedoch nicht nur an den Kranken- und Pflegeanstalten festzustellen.
Für die 1836 vom patriotischen Frauen-Verein gegründete überkonfessionelle „Kleinkinder-Warteschule“ – ein Vorläufer der Kindergärten – war schon 1843 die Zeit vorbei. An ihre Stelle traten konfessionelle Bewahranstalten. Die katholische stand seit 1851 unter der Fürsorge der Schwestern vom armen Kinde Jesu. Ab 1891 wurde sie von den Schwestern von der göttlichen Vorsehung betreut.
Höhere Bildung für die Töchter des Bürgertums
Die evangelische Warteschule wurde von „mehreren achtbaren Damen“ aus der evangelischen Bürgerschaft geleitet. Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Wunsch nach höherer Bildung für die Töchter des Bürgertums aufkam, war es fast selbstverständlich, dass zwei konfessionelle Mädchenschulen entstanden.
Diese Entwicklung war Ausdruck des wachsenden Einflusses und Selbstbewusstseins der katholischen Bevölkerungsmehrheit und beschränkte sich nicht auf den caritativen Bereich. Sie war Teil der Ausbildung eines „katholische Milieus“ mit eigenen Institutionen, Vereinen und Zeitungen und mit dem 1870 gegründeten Zentrum auch mit einer eigenen politischen Partei.
Der Kulturkampf der 1870er Jahre, mit dem der preußische Staat versuchte, die Autonomie der katholischen Kirche zu beschränken und sie aus dem öffentlichen Bereich zu verdrängen, verstärkte diesen Prozess.