Kleve. . 1839 lehnten sich die Klever Katholiken gegen die preußische Ordnung auf, die sich immer stärker einmischte. Der Zorn richtete sich gegen Polizei-Kommissar Simons
Conrad Simons, ein Leutnant des 2. Klever-Landwehr-Regiments, der am 15. Februar 1838 auf Probe zum Polizei-Kommissar in Kleve ernannt wurde, war ein glühender Verehrer des preußischen Königshauses und ein überzeugter Protestant. In seinem vorigen Wohnort, Barmen, hatte er eine kleine Schrift über Luther und ein Buch über eine Bereisung von Westfalen und Preußen durch den preußischen Kronprinz im Herbst 1833 verfasst. Dort hatte er geschrieben, die Reise sei als erfreuliche Überraschung für die „biederen“ Einwohner der beiden Provinzen gekommen. Er ahnte damals noch nicht, dass er wenige Jahre später persönlich gezwungen sein sollte, in Kleve vor einer Meute von ‚biederen‘ Rheinländern die Flucht zu ergreifen.
„Schmähungen und Lästerungen“
Simons verteilte sein Luther-Büchlein unter Freunden. Auch der Klever Polizei-Sergeant Püschel, ein Katholik, erhielt ein Exemplar. Anschließend verbreiteten sich in Kleve Gerüchte über diese Veröffentlichung und Simons sah sich zu einer Stellungnahme genötigt. In einer Erklärung vom 21. März 1839, die am 23. März als Zeitungsanzeige veröffentlicht wurde, widersprach er dem Gerücht, dass er eine Schrift gegen die katholische Kirche verfasst habe, die über die Buchhandlung von Julius Cohen zu beziehen sei. Der Skandal ließ sich durch diese Anzeige aber nicht unterdrücken. Am Tag ihrer Veröffentlichung verurteilte Kaplan Theodor Laurenzen in einer Predigt in der Stiftskirche das Luther-Buch von Simons, das „mehrere Schmähungen und Lästerungen“ enthalte.
Am darauffolgenden Tag war Palmsonntag. Abends versammelte sich eine Menge von einigen Hundert Personen bei der Wohnung von Simons am Großen Markt und warf dort Fensterscheiben ein. Danach zog man lärmend durch die Stadt und warf Fensterscheiben bei der großen Reformierten Kirche, bei evangelischen Pastören sowie beim Buchhändler Cohen ein. Als Simons gesichtet wurde, stürzte die Masse sich auf ihn und er konnte nur mit Mühe entkommen. Bemühungen des Bürgermeisters Ondereyck, des Staatsprokurators Philippi und sogar des Dechanten Baur, die Masse zu beruhigen, halfen wenig, mäßigend wirkte erst ein Aufruf von Kaplan Laurenzen.
Am Montag herrschte noch Aufregung in der Stadt. Deshalb formierte der Bürgermeister eine Bürgerwache von angesehenen Bürgern und Mitgliedern des Schützenvereins. Ein vom Landrat eingefordertes Detachement von 100 Infanteristen und 20 Ulanen aus Wesel rückte am Dienstag in Kleve ein und beendete den Tumult definitiv. Allerdings wurde wohl noch im April das Festzelt der Schützen in Brand gesteckt, vermutlich aus Rache.
Bereits den Zeitgenossen war bewusst, dass dieser Ausbruch von Empörung tiefere Beweggründe gehabt haben muss. Die katholische Kirche sah sich im preußischen Rheinland in der Defensive. Zwar waren die Katholiken seit der Zeit der französischen Herrschaft als Staatsbürger mit den Protestanten gleichberechtigt, wie übrigens auch die Juden, aber dieser Gleichberechtigung stand eine verstärkte Einmischung des Staates in kirchliche Angelegenheiten gegenüber. Die Tendenz zur Bildung einer Staatskirche, um die sich bereits die Franzosen bemüht hatten, war unverkennbar.
Kritik am Staat
Es gab verschiedene Reibungspunkte. Der Staat hatte 1802 die Zahl der Feiertage am linken Niederrhein auf vier reduziert. Die preußische Festordnung von 1829 erhöhte ihre Zahl zwar auf 14, aber erlegte den Katholiken auch den altpreußischen Buß- und Bettag auf. Außerdem hatte man auf dem rechten Rheinufer bislang 18 Feiertage gekannt. Ein weiterer Reibungspunkt war die preußische Sprachpolitik: von den Pfarrern wurden Predigten und Religionsunterricht in der hochdeutschen, statt – wie bisher vielfach üblich – in der niederdeutschen oder niederländischen Sprache gefordert. Dem wiedersetzte sich der Straelener Pfarrer Tilmans so stark, dass er letztendlich im März 1832 nach Kleve ins Gefängnis gebracht wurde. Der Hauptstreitpunkt betraf die Erziehung von Kindern aus Mischehen. Staatlicherseits wurde der katholischen Kirche ein Verzicht auf ihre alte Forderung nach der katholischen Erziehung solcher Kinder abverlangt. Dieser Streitpunkt war ein Anlass für das ‘Kölner Ereignis’ von 1837, bei dem der Erzbischof vom Staat suspendiert und inhaftiert wurde.
Ein katholisches Milieu
Der Klever Stadtrat zählte 1839 16 katholische Mitglieder, gegen 13 evangelische und ein jüdisches Mitglied. Es waren also drei Konfessionen vertreten, aber ihr Verhältnis entsprach nicht dem demographischen Verhältnis: über 82 Prozent der Bevölkerung waren katholisch. Vielmehr zeigte sich hier das höhere Ansehen der Evangelischen. Sie waren auch einflussreich in karitativen Einrichtungen wo Katholiken betreut wurden. Das missfiel dem Klerus. Der Klever Vikar Johann-Anton Ysermann sprach von einem „unselige(n) Treiben mehrerer protestantischen Damen“, die in den Einrichtungen klammheimliche Bekehrungsarbeit geleistet haben sollen. Die Antwort sollte die Schaffung eines katholischen ‘Milieus’ mit eigenen Vereinen, Einrichtungen und Zeitungen sein.
Mehrere Beteiligte am Klever Tumult wurden zu schweren Haftstrafen verurteilt, Polizei-Kommissar Simons und Kaplan Laurenzen verließen Kleve bald. Bürgermeister Ondereyk sollte neun Jahre später Oberbürgermeister von Krefeld und dort sofort mit der Revolution von 1848 konfrontiert werden.