Kleve. . Die Gründung der Klever Synagoge war ein Ausdruck neuen jüdischen Selbstbewusstseins – und der Wertschätzung.
Am 24. August 1821 wurde in Kleve eine neue repräsentative Synagoge eingeweiht. Durch ihre exponierte Lage zwischen Schwanenburg und Stiftskirche oberhalb der Hügelkette war sie ein weithin sichtbares Zeichen für die Veränderungen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen hatten.
1801 war das gesamte linke Rheinland an Frankreich gefallen und die Errungenschaften der Französischen Revolution hatten Einzug gehalten. Erstmals waren alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleichgestellt. Die für Juden geltenden Sonderregelungen wurden unwirksam. Auch wenn eine jahrhundertelange Diskriminierung nicht auf einen Schlag mit einem Gesetz beseitigt werden konnte, wurde hiermit doch eine Entwicklung in Gang gesetzt, die weiter wirkte, nachdem das Gebiet 1815 wieder preußisch geworden war.
Die Synagoge und die daneben errichtete jüdische Schule waren Ausdruck des neuen jüdischen Selbstbewusstseins, aber auch des Wohlwollens der christlichen Bevölkerung – zumindest des liberalen Bürgertums als der damaligen städtischen Führungsschicht.
Die ersten jüdischen Beamten
1840 schrieb Bürgermeister Ondereyck in seiner Stadtchronik: „Die Synagoge ist auf einem der schönsten Punkte der Stadt aufgeführt und gereicht zur Zierde der Umgebung des hiesigen Schlosses.“ Auch in anderen Bereichen nahm Kleve durchaus eine Vorreiterrolle ein.
Julius Meyer war während der französischen Zeit der erste jüdische Beamte in Kleve geworden und er blieb als Stadtregistrator auch nach 1815 im Amt. Die jüdischen Stadträte, die es in Kleve schon seit 1822 gab, dienten als Argument für die Forderung nach Zulassung von Juden zu den Gemeindeämtern im Rheinland. Bemerkenswert ist auch das große Berufsspektrum, das sich zuvor durch frühere Beschränkungen auf Handel und Geldgeschäfte konzentriert hatte. In den 1840er Jahren gab es in Kleve neben einigen Geldwechslern bzw. „Banquiers“ und Händlern auch jüdische Bäcker, Bürstenmacher, Uhrmacher, Goldarbeiter, Schreiner, Anstreicher und Klempner. Jacob Cosman, der zunächst Buchbinder gewesen war, gründete 1858 eine „lithographische und photographische Anstalt“. Anfang der 1850er Jahre kam Wolf Goldschmidt als Lohgerber nach Kleve.
Diese Entwicklung war im Verlauf allerdings rückläufig. Um die Jahrhundertwende betrieben die meisten Juden in Kleve Geschäfte in der Innenstadt, darunter die Kaufhäuser Weyl, Gonsenheimer, Leffmann und Cosman. Daneben gab es mit der Margarinefabrik van den Bergh und den Lederwerken von Abraham Haas auch zwei Industriebetriebe in jüdischem Besitz.
Seit der französischen Zeit besuchten alle jüdischen Kinder die öffentlichen Schulen. In der jüdischen Schule erhielten sie zusätzlich Hebräisch- und Religionsunterricht. Auch nachdem diese Schule 1860 eine vollwertige Volksschule geworden war, blieb der Anteil der jüdischen Kinder in den weiterführenden Schulen gemessen am Bevölkerungsanteil hoch.
Die Zahl der jüdischen Klever blieb im Verlauf des 19. Jahrhundert nahezu konstant. Allerdings sank ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Eingemeindung von etwa 1.7 Prozent auf unter 1 Prozent.
Jüdische Patrioten
Die rechtliche Gleichstellung war 1869 mit dem Gesetz betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung zunächst in Preußen und dem Norddeutschen Bund erreicht. Mit der Übernahme dieses Gesetzes in die Reichsverfassung von 1871 war die gesetzliche Emanzipation der Juden in Deutschland vollendet.
Gerade die Juden entwickelten sich zu deutschen Patrioten. Sie standen dem Kaiser nahe und sahen in ihm den Garanten ihrer Rechte. Dies wurde beim Besuch Wilhelms II. 1909 in Kleve noch einmal deutlich. Erna Cosman begrüßte ihn als eine der Ehrenjungfrauen am Amphitheater. Auf seinem Weg zur Schwanenburg kam der Kaiser an der festlich geschmückten Synagoge vorbei. „Über dem Portal“ hing „in einem großen, reich verzierten Bilde das Gebet [...], das nach jüdischer Vorschrift für das Kaiserpaar und dessen Familie verrichtet“ wurde. (Stadtchronik)
Zu dieser Zeit wurde das Zusammenleben mit der nichtjüdischen Bevölkerung jedoch schon wieder getrübt.
Gerade als die Emanzipation erreicht war, trat der latent vorhandene unreflektierte Antijudaismus wieder hervor und verbreiteten sich erneut religiös motivierte antijüdische Vorurteile wie die Ritualmordlegende, die man längst überwunden geglaubt hatte. Als 1891 in Xanten ein Kind ermordet wurde, war als Täter schnell der jüdische Metzger Adolf Buschhoff ausgemacht. Es kam zu Übergriffen gegen Juden und zu antijüdischen Manifestationen auch in den katholischen Zeitungen. Schnell war klar, dass Buschhoff nicht der Täter sein konnte. Er wurde schließlich vom Klever Schwurgericht freigesprochen, konnte aber nicht nach Xanten zurückkehren Das Klima blieb zudem nachhaltig vergiftet.
Gleichzeitig entstand mit dem modernen Antisemitismus eine neue Form der Judenfeindschaft.
Viele Juden begrüßten den Ersten Weltkrieg als Chance, alle Vorurteile ein für alle mal zu widerlegen und endlich beweisen zu können, dass sie echte Deutsche seien. Sie zeichneten sich wie Emil Leffmann als Frontkämpfer aus oder engagierten sich wie Siegfried Cosman für Kriegsopfer und deren Angehörige.
Die Judenzählung, die 1916 im Heer auf Betreiben antisemitischer Kreise durchgeführt wurde und die „Drückebergerei“ der Juden belegen sollte, machte alle diese Hoffnungen jedoch zunichte.