Kranenburg. . Gul Mohamad Kakar ist aus Afghanistan geflohen. Der 26-jährige bewundert die vielen hilfsbereiten Deutschen, die er kennengelernt hat.
Ruhig leben. Diese Worte benutzt Gul Mohamad Kakar oft, wenn er von Deutschland spricht. Hier kann man ruhig leben. Hier kommen keine Terroristen und erschießen den Cousin. Hier müssen die Frauen sich nicht unter einer Burka verstecken. Hier fackeln Taliban keine Schulen ab. „Sie wollen, dass man dumm bleibt, damit man nicht durchschaut, was sie tun“, sagt er. Er wollte nicht dumm bleiben. Nicht erschossen werden. Nicht ständig zwischen bewaffneten Gruppen stehen. Noch dazu, wo sein Vater vor fünf Jahren gestorben ist. Als dann noch die Sache mit dem Cousin passierte, stimmte die Mutter endlich zu: Junge, flieh nach Deutschland.
Deutschland, das war das Land seiner Träume. Seine Vorstellung von Deutschland speiste sich hauptsächlich aus Fußballspielen des BVB. Die hatte er im Fernsehen gesehen. Zwei Monate dauerte seine Flucht. „Man kann sich das nicht vorstellen“, sagt er. Sein offener, fröhlicher Blick wird plötzlich ganz ernst. Durch Pakistan, Iran, die Türkei, dann über die Balkanroute. Unterwegs schon mal eine Woche Brackwasser trinken, nichts zu essen. Ohne Schuhe durchs Gebirge laufen, wobei einige Flüchtlinge in den Tod stürzen. Manche werden entführt, die Familien müssen zigtausend Dollar Lösegeld zusammenbekommen. Manche werden beklaut, manche geschlagen, manche festgenommen. Kakar hatte Glück. Er kam ohne größere Blessuren durch.
Fußball beim SV Nütterden
„Meine Mutter hat für mich gebetet, jeden Tag“, erzählt er. Sie war nach seiner Ankunft überglücklich. Er auch. Er kam nach Frankfurt, nach Minden, dann nach Kranenburg. Er findet es toll am Niederrhein. Ruhig leben. Hier sind so viele Menschen, die ihm helfen. Frauen lachen. Überhaupt ist so vieles anders als in Afghanistan. „Was man dort für gut hält, ist hier schlecht. Und umgekehrt“, hat er schnell festgestellt. Und daraus den Schluss gezogen: „Ich will leben wie die Leute hier, weshalb sollte ich sonst hier sein?“
Ein Jahr und acht Monate ist er jetzt in Deutschland. Seine Augen und Ohren haben sich geweitet, sagt er. Stolz zeigt er sein Portemonnaie: Bankkarte, Versichertenkarte, allerlei Bescheinigungen. Wenn man ihm so zuhört, gewinnt man den Eindruck, der 26-jährige habe den Ehrgeiz, ein Vorzeigedeutscher zu werden. Er tanzt, spielt im SV Nütterden Fußball, hat deutsche Freunde gefunden, macht Musik. Er sagt, er liebe Deutschland. So viele nette, hilfsbereite Menschen. Und zur Verabredung kommt er natürlich auf die Minute genau.
Hoffnung auf eine Ausbildung
Andererseits ist ihm bewusst, dass er vieles noch nicht kann – schließlich kam er ja nie in den Genuss von Schulbildung. Einen sechsmonatiges Praktikum als Schweißer hat er gemacht, hofft auf einen Ausbildungsplatz im August. Den Großteil seiner Zeit verbringt er mit Sprachkursen, mit dem Lösen von Aufgaben, mit Sprechen und Lesen. „Man kann hier alles machen“, schwärmt er. „Man kann sogar sagen, was man nicht gut findet.“ Und was findet er nicht gut? Da muss er lachen, weil ihm gerade nichts einfällt.
Er würde gerne mehr Zeit haben, um Billard oder Kickboxen zu lernen und um noch mehr Menschen kennenzulernen. „Ich bin glücklich, wenn ich Leuten helfen kann“, sagt er noch. „Denn ich brauche ja auch Hilfe.“ Ein Blick auf die Uhr. Er muss gehen. Schließlich will er ja pünktlich beim Sprachkurs sein.