Bedburg-Hau. . Die Forensische Fachtagung „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ beschäftigte sich in diesem Jahr mit den gesetzlichen Neuerungen im Maßregelvollzug

„Sperrt sie weg für immer!“ – mit diesem griffigen Credo bestimmte noch vor Jahren Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder den Wahlkampf der SPD – und reagierte damit wohl auch populistisch auf den Ruf in weiten Teilen der Bevölkerung nach härterem Vorgehen gegen Sexualstraftäter und längeren Verweildauern in psychiatrischen Krankenhäusern. Der nächste öffentliche Stimmungswechsel folgte mit dem Fall Gustl Mollath, mutmaßlich Opfer eines Justizirrtums, der in der Politik Forderungen nach intensiverer Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßregel nach sich zog.

Eine Entwicklung, die das Thema der diesjährigen forensischen Fachtagung „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ des LVR-Klinikverbundes auf den Punkt bringt, war der Umgang mit psychisch kranken Straftätern doch stets auch ein Seismograph für gesellschaftliche Grundstimmungen. „Wind of Change – wird der Maßregelvollzug reformiert oder deformiert?“ fragt die Expertenrunde aus ganz Deutschland in diesem Jahr und beleuchtet das Thema dabei aus verschiedenen Blickwinkeln.

Für Dr. Jack Kreutz ist der „Wind of Change“ letztendlich eher ein laues Lüftchen, denn gravierende Änderungen für die Behandlungspraxis hat die Gesetzesnovelle, die am 1. August 2016 in Kraft trat, aus Sicht des Forensikers nicht nach sich gezogen. „In den häufigen Neuerungen der gesetzlichen Bestimmungen kommt auch ein gewisses Misstrauen der Politik gegen die Gerichte zum Ausdruck. Das ist sehr schade.“ So sei der bürokratische Aufwand schon enorm, wenn behandelnde Psychiater alle drei Jahre ein neues Gutachten über einen Probanden erstellen müssen. So baut das Maßregelrecht nunmehr Zeitschwellen ein, die jeweils erhöhte prognostische Anforderungen auslösen.

Behandlungsqualität verbessern

Eine Einschätzung von Kreutz, die Professor Dr. Norbert Nedopil aus München durchaus teilt – als Gerichtsgutachter war Nedopil schon in viele medienwirksame Verfahren involviert, darunter auch der Fall Mollath. „Ich wünsche mir da grundsätzlich mehr Gelassenheit und folge eher dem Motto: ‘Ändert nicht die Gesetze, verbessert die Einrichtungen’“, sagt Nedopil – und erntet damit zustimmenden Szenenapplaus seiner Kollegen, die ebenfalls für mehr Qualität in der Behandlung von psychisch kranken Straftätern plädieren. Denn: „Unsere Patienten haben keine Lobby“, so Nedopil.

So ist die Maßregel ein vielschichtiger Prozess, der eine gewisse Flexibilität der behandelnden Ärzte benötigt, um wirksam zu sein. Dabei misst sich der Erfolg keineswegs an einer „Heilung“ des Probanden, sondern allein an der Frage, ob der Patient am Ende seines Aufenthalts noch eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt oder nicht.

Diplom-Psychologe Christian Henrichs aus Köln führt für den Behandlungserfolg noch einen anderen Faktor ins Feld, der aus seiner Sicht in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden ist: „In der Forensik gibt es viele Patienten mit Migrationshintergrund. Die Psychotherapie muss viel stärker auf kulturelle Unterschiede in der Behandlung eingehen“, so die These des Psychotherapeuten. „Das Konzept eines Orientalen, wie er im Alter Leben möchte sieht beispielsweise komplett anders aus als das eines Westeuropäers“, erläutert Henrichs. „Der Orientale möchte vielleicht im Alter für seine Enkel da sein, während der Westeuropäer eine Kreuzfahrt machen möchte.“ Die kulturelle Dimension der Behandlung sei bislang nicht nur in der Forensik, sondern in der Psychotherapie allgemein vernachlässigt worden.

Harte Wertung

Ob der Maßregelvollzug nun reformiert oder deformiert wird, können die Tagungsteilnehmer nicht mit Bestimmtheit sagen, denn zu einer harten Wertung will sich keiner der Herren hinreißen lassen. Michael Bay, Diplom-Psychologe am LVR-Klinikum Bedburg-Hau, versucht es mit einer neutralen Feststellung, mit der alle leben können: „Der Maßregelvollzug entwickelt sich.“