Goch. . Versuchter Mord aus Eifersucht in Goch: Warum der psychiatrische Gutachter die Schuldfähigkeit des Angeklagten nur schwer einschätzen kann.

Manchmal sitzt der psychiatrische Gutachter Dr. Jack Kreutz zwischen allen Stühlen. Zum Beispiel, wenn eine Kammer von ihm verlangt, klare Aussagen über Dinge zu treffen, die sich kaum klar einschätzen lassen. So geschehen bei der gestrigen Verhandlung vor dem Landgericht Kleve gegen einen 25-jährigen Kosovo-Albaner, der im Verdacht steht, am 21. Juni vergangenen Jahres auf der Gartenstraße in Goch aus Eifersucht einen 22-jährigen Nebenbuhler beinahe erstochen sowie dessen 23-jährigen Bekannten ebenfalls mit einem Messer angegriffen zu haben, der seinem Kumpel zur Hilfe eilen wollte.

„Das sind alles Hypothesen“, wurde Kreutz nicht müde zu betonen, wenn es um den Versuch geht, zu verstehen, was in einem bis dahin unbescholtenen jungen Mann vorgeht, der mit einer solchen Bluttat auch für sich persönlich alles aufs Spiel setzt.

Cannabis und Alkohol im Blut

Heimtückisch und mit Tötungsvorsatz soll er aus Sicht der Staatsanwaltschaft gehandelt haben, als er in der Nähe des Aldi-Parkplatzes nach einem verbalen Schlagabtausch mit seinen angeblichen Konkurrenten das Messer zunächst gegen den Jüngeren der beiden richtete – die Anklage lautet neben gefährlicher Körperverletzung deshalb auf versuchten Mord.

Durch den vorherigen Genuss von Cannabis und Alkohol ging ihm die Tat wohl leichter von der Hand, doch von einem Vollrausch oder gar einer Art Verfolgungswahn könne keine Rede sein, machte Kreutz deutlich. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei während der Tat ausreichend erhalten gewesen – damit dürfte dieser juristisch wohl voll für die Vorwürfe zur Verantwortung zu ziehen sein.

Angeklagter verhält sich widersprüchlich

Einfach war es für den erfahrenen Forensiker Kreutz allerdings nicht, das oft widersprüchliche Verhalten des Angeklagten in der medizinischen Untersuchung zu deuten. Wie ein dämonisches Trauma fühlt sich dieser von einem angeblichen Vorfall in einer Shisha-Bar in Goch verfolgt, wo Unbekannte Männer ihn brutal zusammengeschlagen hätten. Hinter dem Angriff vermutete er Abgesandte der Familie seiner Ex-Freundin, damit er endgültig die Finger von ihr lässt. Immerhin sei die junge Frau seine erste große Liebe gewesen.

„Ich habe an diesem Tag meine Ehre verloren“, behauptete er im Gespräch mit Kreutz fest und redete sich den Kummer regelrecht von der Seele. Stellte der Psychiater aber kritische Nachfragen, wich er aus, blieb unklar und vage.

Freunde nannten ihn „Totti“

Dabei besitzt der Angeklagte nach Kreutz Einschätzung nicht von Natur aus eine gewalttätige Persönlichkeitsstruktur. Vielmehr habe neben dem Trennungsschmerz und dem erniedrigenden Gefühl, der „Gehörnte“ zu sein, eine Vielzahl von Faktoren dazu geführt, dass der junge Mann an jenem Tag im Juni die Kontrolle verlor. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass all diese begünstigenden Momente noch einmal zusammenkommen“, erläutert Kreutz und sieht somit keine Wiederholungsgefahr bei dem Albaner gegeben. Auch sei dieser kein klassischer Suchtpatient, sondern eher ein labiler Mensch, der seinen depressiven Gemütszustand gelegentlich mit Alkohol betäubt.

Auch ein Träumer steckt wohl in dem 25-Jährigen. Freunde in Albanien nannten ihn „Totti“ – in Anlehnung an den italienischen Fußballspieler Francesco Totti, dem er mit jugendlichem Ehrgeiz nacheiferte. Als dies im Gerichtssaal zur Sprache kommt, geht ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht.

Frage nach der Steuerungsfähigkeit

Wie die Kammer das psychiatrische Gutachten verwertet, zeigt sich bei der Urteilsverkündung am 6. März. Ehrliche Worte für das juristische Dilemma findet Richter Martin Laux: Als Kreutz ihn enttäuschen muss, dass er nun einmal „nicht ausschließen“ könne, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tat doch ausreichend erhalten war, kommentiert der Vorsitzende: „Sie wissen ja, wie das ist. Die Kammer muss nachher irgendwas schreiben.“